Friedhof ist nicht gleich Friedhof. Selbst bei kleinen Details herrschen in Leipzig riesige Unterschiede – Stichwort Gießkannen: Auf dem Lindenauer Friedhof liegen sie jeweils hinter den Grabsteinen. Das mag bei großen, aufrecht stehenden Steinen eines Erdbegräbnisses noch gut aussehen, weil sich die Gießkannen hinter dem großen Grabstein verstecken können. Bei kleinen Urnengrabsteinen, die nur leicht über dem Boden angekippt sind, wirkt es sehr komisch, weil der Blick nicht zuerst auf den Grabstein, sondern auf das dahinter hervorragende meist bunte Plasteding gelenkt wird. Auf dem Ostfriedhof hingegen schließen die Menschen ihre Gießkannen mit Fahrradschlössern an das eingegitterte Kompostfeld an. Auf dem dortigen muslimischen Grabfeld wiederum gibt es ein Regal mit Gartengeräten, Stühlen und Gießkannen zur allgemeinen Verfügung. In Gohlis hängen die Gießkannen an Haken für alle zugänglich in Reih und Glied neben der Wasserstelle. Mit anderen Worten: Der Friedhof bildet die Gesellschaft der Lebenden ebenso ab, wie er die der Toten strukturiert.
Daher ist es sehr verdienstvoll vom Stadtgeschichtlichen Museum, erstmals den Tod samt all den damit verbundenen Orten, Artefakten und Zeremonien in den Mittelpunkt einer Ausstellung zu setzen. »R. I. P. – Die letzte Adresse. Tod und Bestattungskultur in Leipzig« gliedert sich in einzelne Kapitel und lässt unter anderem in Videos unterschiedliche Religionen zu Wort kommen. Die dazugehörige Publikation vertieft einzelne Aspekte – wie etwa die Entwicklung der Bestattungskultur in Leipzig vom Mittelalter bis zur Moderne. Einen Pestkarren aus dem 17. Jahrhundert zeigt die Ausstellung ebenso wie eine Abbildung von einem Weckapparat in einem Leichenhaus. Wie sich die Stadtgesellschaft beispielsweise auf dem Neuen Johannisfriedhof (heute Friedenspark) mittels aufwendig gestalteter Grabanlagen für die Ewigkeit präsentierte, zeigt ein Plan mit den darauf eingezeichneten ehemaligen Grabstellen. Einige von ihnen befinden sich heute auf dem Alten Johannisfriedhof.
Die Kosten einer Beerdigung im Laufe der Zeit sind hier ebenso zu finden wie auch ein Aquarell des ersten Leipziger Bestattungsunternehmens »Pietät«, gegründet 1878. Mit der Feuerbestattung und dem heute noch größten Leipziger Friedhof – dem Südfriedhof – wird anhand des ehemaligen Sozialistischen Ehrenhains auch der Aspekt der sozialistischen Bestattungskultur beleuchtet. In dem Hain ist unter anderem die Grabplatte für William Zipperer. Seine Frau Rosa Zipperer erhielt – wie hier ausgestellt – vom Oberreichsanwalt beim Volksgericht am 17. Januar 1945 Post mit der Nachricht: »Das Urteil des Volksgerichtshofes vom 23. November 1944 gegen Ihren Ehemann ist am 12. Januar 1945 vollstreckt worden. Die Veröffentlichung einer Todesanzeige ist unzulässig.«
Der Leipziger Historiker Steffen Held stellt die jüdischen Friedhöfe in der Stadt vor.
Deren ältester entstand an der Stephanstraße 5, wo heute der Eingang zur Kleingartenanlage Johannistal liegt: 1814 beantragten Kaufleute aus Brody die Anlage des Friedhofes auf 1.200 Quadratmetern, die ursprünglich dem Johannishospital gehörten. Bis 1864 fanden hier Bestattungen statt, dann wurde der heutige Alte Jüdische Friedhof an der Berliner Straße 123 eingeweiht. 1937 kündigte die Stadt den Erbpachtvertrag mit der israelitischen Gemeinde für den Friedhof in der Stephanstraße. Gräber wurden auf den Neuen Israelitischen Friedhof in der Delitzscher Straße 224 umgebettet, das Gelände eingeebnet. An diesen ersten Friedhof erinnern heute noch der Eingangsbereich und Reste der Umfassungsmauer. 2022 beschloss der Stadtrat, dass sich das Kulturamt um eine Erinnerungstafel kümmern soll. Laut Plan entsteht über Spenden eine Erinnerungsstele anlässlich der Eröffnung vor 210 Jahren und der Schließung vor 160 Jahren in diesem Jahr.
Über die heute noch sichtbaren Spuren jüdischer Friedhöfe informiert die kleine Präsentation »Haus der Ewigkeit« im Capa-Haus. Organisiert vom Freundeskreis zum Erhalt der jüdischen Friedhöfe im mitteleuropäischen Kulturraum, der von 2004 bis 2024 siebzig jüdische Friedhöfe in Deutschland, Polen, Tschechien und der Ukraine auf analogen Schwarz-Weiß-Fotografien dokumentiert hat. Im vorletzten Jahr erschien dazu das gleichnamige Buch bei Hentrich & Hentrich. Zu sehen sind nun im Capa-Haus Bilder ausgewählter Friedhöfe, deren jeweilige Sepulkralkultur sowie ausgewählte Biografien der beerdigten Personen, verbunden mit dem »Anspruch, die noch vorhandenen Spuren für die nachfolgenden Generationen sicht- und erlebbar zu machen«. Neben den bekannten Berliner Friedhöfen an der Schönhauser Allee und in Weißensee ist Dresden mit dem ältesten erhaltenen sächsischen Friedhof von 1751 in der Neustadt vertreten.
> »R. I. P. – Die letzte Adresse. Tod und Bestattungskultur in Leipzig«, bis 1.9., Stadtgeschichtliches Museum, Haus Böttchergäßchen
> »Geeint im Tod und doch getrennt«: Fahrradtour zu Leipziger Friedhöfen, 25.5., 10 Uhr, Start: Haus Böttchergäßchen
> Ulrike Dura, Anselm Hartinger, Steffen Poser (Hg.): R. I. P. – Die letzte Adresse. Tod und Bestattungskultur in Leipzig. Leipzig: Stadtgeschichtliches Museum 2024. 119 S., 10,50 €
> »Haus der Ewigkeit. Jüdische Friedhöfe im mitteleuropäischen Kulturraum«, bis 26.5., Capa-Haus, www.capa-haus.org
> Klaus Jacobs u. Marcel-Th. Jacobs: Haus der Ewigkeit. Jüdische Friedhöfe im mitteleuropäischen Kulturraum. Leipzig: Hentrich & Hentrich 2022. 172 S., 28 €
> www.jüdische-friedhöfe.de