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Stadtleben

»Es müssen Risikobereiche erkannt werden«

Psychologe Gerald Gruß im Interview über Kinderschutz in Sportvereinen

  »Es müssen Risikobereiche erkannt werden« | Psychologe Gerald Gruß im Interview über Kinderschutz in Sportvereinen  Foto: Privat

Das Kinderschutz-Zentrum in Leipzig ist Ansprechpartner für Fälle der Kindeswohlgefährdung. Auch wenn in Sportvereinen etwa Kinderschutzverletzungen vermutet werden, kann ein zuständiger Psychologe wie Gerald Gruß konsultiert werden. Erreichbar ist das Zentrum über den monatlichen Anmeldetag oder eine telefonische Einmalberatung, die wöchentlich angeboten wird. 

Wie läuft eine Beratungsstunde im Kinderschutz-Zentrum für gewöhnlich ab? 

Das ist sehr unterschiedlich. Wenn eine Form von sexuellem Missbrauch in einem Verein aufgedeckt wird, sind die Eltern oft sehr besorgt und wollen sofort Hilfe und Unterstützung für ihre Kinder. Manchmal ist es aber auch so, dass sich die Kinder eher entspannen, weil die Eltern angemessen reagiert haben, weil sie für Schutz gesorgt haben. Dennoch finde ich, dass die Kinder ein Angebot bekommen sollten und trotzdem das Recht haben zu sagen: »Ich will mir das jetzt nicht angucken« oder vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt. Manchmal merken auch Ehrenamtliche, die im Verein arbeiten, dass etwas nicht stimmt. Es kann aber auch sein, dass Trainer oder Anleiter sehen, dass es einem Kind nicht gut geht. Dann wenden sie sich an uns.

 

Was gehört zu einem guten Schutzkonzept in Sportvereinen? 

Im Schutzkonzept muss festgehalten sein: Was ist akzeptabel? Was ist im grünen Bereich? Worauf einigen wir uns? Das fängt schon damit an, wie man die Kinder kontaktiert. Können oder dürfen die Eltern alles wissen? Interne Beschwerdewege und Rückmeldewege für Jugendliche müssen klar sein. Und an der Stelle ist es auch ein Aushandlungsprozess zwischen den Beteiligten, weil es manchmal sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt. Gerade im Sport sind zum Beispiel private Übernachtungen wirklich in Ordnung und oft ein großer Gewinn, aber es muss klar sein: Wer muss was wissen und welche Rückmeldewege gibt es. Ich möchte auch betonen, dass die Trainer Dinge sehen, blaue Flecken zum Beispiel. Oder sie merken, dass ein Kind aus verschiedenen Gründen nicht nach Hause gehen will. Dann ist es ganz wichtig, dass es eine Möglichkeit gibt, schnell und ohne großen Aufwand Menschen zu erreichen, die eingreifen. Das kann das Kinderschutz-Zentrum sein, das könnte auch das Netzwerk für Kinderschutz sein, das kann aber auch Sven Heinze, der Koordinator für Sportjugend und stellvertretende Geschäftsführer des Leipziger Stadtsportbundes, sein.

 

Sollten Kinderschutzkonzepte in Sportvereinen verpflichtend sein? 

Das würde ich mir schon wünschen. Aber es ist ein sehr langsamer Prozess. Es müssen Risikobereiche erkannt werden und es muss Ansprechpersonen geben, die sich diese Rolle zutrauen. Ist zum Beispiel klar, welche Wege im Fall der Fälle gegangen werden müssen? Das braucht Zeit. Aber ich glaube, dass die Beratungsstellen der Stadt eine hohe Bereitschaft haben zu unterstützen. 

 

Wie viele Kinderschutz-Fälle kommen aus dem Sport? 

Ich würde schätzen, ein bis zwei Fälle kommen regional pro Jahr an. Ich denke aber schon, dass es eine Dunkelziffer gibt und dass Dinge nicht gesehen werden. Wenn man sich nicht mit dem Thema auseinandersetzt und vielleicht auch nicht weiß, wie man damit umgeht, dann ist die Gefahr groß, dass man etwas nicht sieht oder wegschaut.

 

Kümmert sich das Zentrum vor allem um die »Härtefälle«? 

Vor allem sexuelle Übergriffe kommen bei uns an. Möglicherweise, weil das besonders mit unserer Einrichtung in Verbindung gebracht wird. Anfragen wie »Ich mache mir Sorgen um mein Kind« hatten wir in letzter Zeit nicht, das ist schon länger her. Wir haben solche Themen wie Grenzverletzungen im Verein oder auch außerhalb des Trainings, wenn jemand eine Beziehung ausnutzt.

 

Welche Folgen haben solche Übergriffe für die Betroffenen?

Die Bandbreite ist sehr groß. Das können massive Folgen sein. Das hängt immer davon ab, wie wichtig diese Person, dieser Trainer ist. So jemand kann eine gute Vorbildfunktion haben und dadurch zum Beispiel einen fehlenden Vater oder eine fehlende Mutter ersetzen. Dann ist auch wichtig: Wie reagiert das Umfeld? Wird derjenige, der das anspricht, als Störenfried abgestempelt oder wird er ernst genommen? Je besser die Intervention und je besser die anderen Kollegen im Sportverein reagieren, desto besser sind auch die Chancen für den Jugendlichen. Menschen bewältigen Krisen auf unterschiedliche Weise. Grenzverletzungen jeglicher Art können aber auch massive Folgen haben, die therapeutisch begleitet werden müssen. 

 

In vielen Vereinen müssen von Haupt- und Ehrenamtlichen Führungszeugnisse vorgelegt werden, halten Sie das für sinnvoll? 

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es manchmal sinnvoll ist, bei dem Verein, bei dem jemand zuletzt aktiv war, nachzufragen, warum es nicht weiterging. Jeder Verein freut sich, wenn jemand kommt und unterstützen möchte. Aber es gibt eben auch Menschen, die von Verein zu Verein wechseln, bis ein Punkt erreicht ist und jemand sagt: »Nein, das geht so nicht«, und das ist oft eine Grauzone, oft schon vor dem Eintrag ins Führungszeugnis. Dennoch können Führungszeugnisse Signale senden. Die Schwierigkeit ist, ob sich die Person dann unter Generalverdacht fühlt. Wenn aber das Gleiche für alle gilt, könnte man das umgehen. 

 

> Mehr zum Thema Kinderschutz finden Sie in unserem Artikel »Kindermund tut Wahrheit kund«

> Kinderschutz-Zentrum Leipzig, Brandvorwerkstr. 80, 04275 (Südvorstadt) u. Bornaische Str. 101, 04279 (Lößnig), Tel. 03 41/9 60 28 37, info@kinderschutz-leipzig.de, www.kinderschutz-leipzig.de

> Wenn Sie Erfahrungen mit Kinderschutzverletzungen im Sport haben und für einen Artikel im kreuzer darüber sprechen wollen, kontaktieren Sie unsere Kinder- und Familienredakteurin Nastasja Kowalewski per E-Mail an familie@kreuzer-leipzig.de. Über den Grad der Anonymität dabei entscheiden selbstverständlich Sie. 


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