Finnlands Finest Aki Kaurismäki ist zurück mit seinem lakonischen Liebesfilm »Fallende Blätter« (Rezension im Septemberkreuzer) – eine schöne Gelegenheit für eine kleine Retrospektive im Rahmen der Nordischen Filmwoche. Daneben gibt es wie gewohnt spannende neue Filme aus dem Norden zu entdecken, darunter neue Werke von Niels Arden Opley (»Rose«), Paprika Steen (»Väter und Mütter«) und Jessica Hausner (»Club Zero«). Außerdem jazzverliebte Tauben, fliegende Feiglinge und saunende Schwestern.
»Nordische Filmwoche«: ab 26.10., Kinobar Prager Frühling
Kein Zweifel: Multiversen liegen im Trend. Marvel hat daraus in seinen Kinowelten eine ganze Phase gestrickt, die Daniels mit »Everything Everywhere All At Once“ ganze sieben Oscars gewonnen. Da überrascht es eigentlich nicht, dass sich auch das deutsche Kino an der Hyppothese der Vielwelten versucht. »Die Theorie von Allem« ist der zweite Langfilm von Timm Kröger und landete gerade erst als einziger deutscher Film im Wettbewerb von Venedig. Kröger und sein Co-Autor Roderick Warich (»The Trouble with Being Born«) wählen dabei einen weitaus akademischeren Zugang zum Thema.
Der junge Student Johannes Leinert (Jan Bülow) feilt an seiner Doktorarbeit, als er eine bahnbrechende Entdeckung macht: Neben der uns bekannten Welt existieren Parallelwelten, Alternativen zu unserer Existenz. Sein Doktorvater (Hanns Zischler) lehnt die Idee des Protegés als Hirngespinst ab. Gemeinsam reisen sie zu einem Kongress in die Schweizer Alpen, wo Johannes auf den lauten ungehobelten Professor Blum (Gottfried Breitfuß) trifft, der sich für seine Idee begeistern kann. Als Blum jedoch kurz darauf verschwindet, dunkle Männer auftauchen und Johannes auf die undurchschaubare Karin (Olivia Ross) trifft, die ihn genau zu kennen scheint, findet er sich als Spielball mysteriöser Mächte wieder.
Mit großem Selbstbewusstsein erzählt der junge Regisseur und Autor Timm Kröger seine Geschichte, wobei ihm natürlich ein deutlich geringeres Budget zur Verfügung stand als bei den Abenteuern der Superhelden. Kröger setzt ganz auf die Atmosphäre und inszenierte seinen Film im Stil von Größen wie Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau. Das Schwarz der Schatten im Schwarz-Weiß der Bilder wirkt bedrohlich und undurchdringlich. Charakterköpfe wie Hanns Zischler (»München«) und Gottfried Breitfuß spielen die Palette ihrer Schauspielerfahrung aus. Bei der Premiere in Venedig gab es dafür viel Applaus.
»Die Theorie von Allem«: ab 26.10., Passage-Kinos
Der Rentner Harold Fry (Jim Broadbent) lebt ein unauffälliges Leben ohne Überraschungen. Die Liebe zu Maureen (Penelope Wilton) ist eingerostet. Da erreicht ihn ein Brief seiner alten Freundin Queenie, in dem sie ihm mitteilt, dass sie im Sterben liegt. Harold schreibt ihr einen Brief, verlässt sein Haus, geht zum Postamt und hört nicht auf zu gehen – bis zu dem 627 Meilen entfernten Hospiz, was ihn bald über die Grenzen seiner Kleinstadt hinaus bekannt werden lässt. Wie im Reisefilmgenre üblich trifft der Kauz dabei auf viele verschiedene Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, die ihn auch im übertragenen Sinne ein Stück näher an sein Ziel bringen. Wirklich überraschend ist Hettie Macdonalds Adaption des Bestsellers von Autorin Rachel Joyce dabei nicht. Das Herz des etwas anderen Roadmovies liegt aber am rechten Fleck und Jim Broadbent (»Another Year«) trägt die Reise bis zum herzerwärmenden Finale.
»Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry«: ab 26.10., Passage-Kinos
Für den jungen Autoren Liam ist es die Chance seines Lebens: Das Engagement als Tutor von Bertie ermöglicht ihm nicht nur, den gefeierten Schriftsteller J.M. Sinclair kennen zu lernen. Er hofft so auch, die entscheidende Inspiration zu finden, um seinen Debütroman zu vollenden. Doch Liams Schüler kommt ganz nach seinem Vater und entpuppt sich zunächst als ebenso egozentrisches Arschloch. Auch der eitle Autor lässt ihn abblitzen. Nur dessen Frau Hélène scheint sich wirklich für Liam zu interessieren. Der verfolgt scheinbar ganz eigene Pläne und beginnt die Struktur innerhalb der zerrütteten Familie zu analysieren – bis er schließlich die eigentliche Leiche im Keller der Sinclairs entdeckt. »Gute Autoren leihen. Große Autoren stehlen« ist das Mantra von J.M. Sinclair – ohne zu erwähnen, dass es sich dabei um ein Zitat von T. S. Eliot handelt. Es sind diese augenzwinkernden Einblicke in den kreativen Schreibprozess, die »The Lesson« seinen Reiz verleihen. Dies und die Spannung herauszufinden, wer hier die Fäden in der Hand hat. So führen dann eben auch einige ins Leere und der letzte Akt wirkt vielleicht ein wenig zu clever konstruiert. Aber alleine dem tollen Cast zuzuschauen lohnt die Lektion: Richard E. Grant ist herrlich ätzend, Julie Delpy ungewohnt unterkühlt und Stephen McMillan als Bertie eine echte Entdeckung. Das Regiedebüt von Alice Troughton gehört aber vor allem Daryl McCormack (»Meine Stunden mit Leo«), der nicht umsonst als einer der heißesten Nachwuchsstars des britischen Films gehandelt wird.
»The Lesson«: ab 26.10., Passage-Kinos
Weitere Filmtermine der Woche
Lateinamerikanische Tage
Die diesjährigen Lateinamerikanischen Filmtage sind zweigeteilt. Die ersten Filme waren bereits Ende September im Mühlstraße 14 e.V. zu sehen, dazu gab es Hintergrundgespräche zur Geschichte Lateinamerikas und Workshops zum Thema Entwicklungspolitik. In der Mühlstraße fanden kleinere Produktionen einen Platz. Ab dieser Woche stehen nun die größeren Produktionen in der Schaubühne Lindenfels auf dem Programm, das Sie hier einsehen können.
25.–31.10., Schaubühne Lindenfels
An einem schönen Morgen
F/GB/D 2022, R: Mia Hansen-Løve, D: Léa Seydoux, Pascal Greggory, Melvil Poupaud, 112 min
Realistisch und einfühlsam schildert Mia Hansen-Løve das Schicksal einer Frau in den Dreißigern. Ihr Spiel aus Entscheidungen, verpassten Chancen und möglichen Abzweigungen auf dem Weg des Schicksals wird getragen von starken Darstellern.
Passage-Kinos, 26.10. 18:00 (anschl. Gespräch, Filme vom Abschied)
Clueless – Was sonst!
USA 1995
Moritzbastei, 26.10. 20:00 (Moritzkino)
Final Girls Berlin
74 min
Das Final Girls Berlin Film Festival präsentiert Horror-Kurzfilmkino, in welchem Frauen Regie geführt haben, und Filme, die von Frauen geschrieben oder produziert wurden.
Cineding, 28.10. 19:00
Ich suche einen Mann
D 1966, R: Alfred Weidenmann, D: Ghita Nørby, Walter Giller, Brigitte Horney, 87 min
Eine junge Modezeichnerin auf Männersuche: Deutsches Lustspiel in 35 mm.
Luru-Kino in der Spinnerei, 29.10. 18:00 (OF, Luru-Archive 35 mm)
Helga – Vom Werden des menschlichen Lebens
D 1967, R: Erich F. Bender, D: Ruth Gassmann, Eberhard Mondry, Asgard Hummel, 77 min
Deutscher Aufklärungsfilm mit fast fünf Millionen Kinobesuchern in der Bundesrepublik in einem Jahr und weltweit etwa 40 Millionen Zuschauern
Luru-Kino in der Spinnerei, 29.10. 20:00 (Luru-Archive 35 mm)
Katrins Hütte
DDR/D 1991, Dok, R: Joachim Tschirner
Am Beispiel der Abwicklung der thüringischen Maxhütte begleitet die Langzeitdokumentation die Blockwalzerin und Volkskammerabgeordnete Katrin Hensel in den letzten Jahren der Deutschen Demokratischen Republik. Im Anschluss Gespräch mit der Protagonistin.
Neues Schauspiel Leipzig, 31.10. 20:00 (Globale)
Magnetizdat DDR: Post-Punk und Film – Eine Fernbeziehung
Film-Lecture mit Dr. Claus Löser (Die Gehirne/Archiv ex oriente lux)
Galerie KUB, 29.10. 20:00
The Hunger
USA 1983, R: Tony Scott, D: David Bowie, Catherine Deneuve, Susan Sarandon, 100 min
In der Reihe »Passagen-Werke« zeigen die Passage-Kinos fortan regelmäßig Lieblingsfilme, wissenschaftlich aufgearbeitet. Den Beginn macht die ungewöhnliche Studie über Begierde und Abhängigkeit von Tony Scott im Gewand eines Vampirfilms.
Passage-Kinos, 30.10. 20:00 (Einführung und Gespräch, Passagen-Werke)
Triangle of Sadness
S/F/GB/D/TRK/GR 2022, R: Ruben Östlund, D: Harris Dickinson, Charlbi Dean, Woody Harrelson, 147 min
Nach der Kunstszene nimmt sich Regisseur Ruben Östlund (»The Square«) die Welt der vermeintlich Schönen und Reichen vor und inszenierte seinen überlangen Dreiakter als ebenso cleveren wie ätzenden Gesellschaftskommentar.
Passage-Kinos, 26.10. 18:30 (Weitblick)
Vento Na Fronteira – The Wind Blows The Border
BRA 2022, Dok, R: Laura Faerman, Marina Weis, 77 min
An der gewalttätigen Grenze zwischen Brasilien und Paraguay – dem Herzen der brasilianischen Agrarindustrie – verfolgt der Film das Wachstum der politischen Macht der Landbevölkerung und ihre engen Verbindungen zur Regierung Bolsonaro.
Passage-Kinos, 26.10. 20:30 (Globale)