Mit über 78 Jahren ist Wim Wenders aktiver denn je. In diesem Jahr war der Autorenfilmer mit gleich zwei Werken in Cannes zu sehen: Seine Künstlerbiographie »Anselm« und die wundervolle Liebeserklärung an Tokyo, »Perfect Days« (ab 21.12.). Anlass genug für eine kleine Werkschau, die mit seinen zentralen Spielfilmen »Himmel über Berlin« (15.12.) und »Paris Texas« (28.12.) und dem oscarnominierten Dokumentarfilm »Buena Vista Social Club« (4.1.) einen Querschnitt durch sein Schaffen zieht.
»Wim-Wenders-Retrospektive«: 15., 21., 28.12, 4.1., Passage-Kinos
Film der Woche: Rigoros ringen die galizischen Cowboys die Wildpferde nieder, um sie gefügig zu machen. Regisseur Rodrigo Sorogoyen wählt diesen Akt der Gewalt, in Zeitlupe eingefangen, als kraftvolle Eröffnung für seinen Film. Das Ehepaar Antoine und Olga ist vor zwei Jahren aus Frankreich in die idyllische Berglandschaft gezogen, auf der Suche nach Abgeschiedenheit. Hier wollen sie sich mit einem Ökobetrieb zur Ruhe setzen. Antoine geht Abend für Abend in die örtliche Kneipe, trinkt und spielt mit den heimischen Bauern Domino. Doch besonders die Brüder Xan und Lorenzo sind ihm feindlich gesonnen. Der Grund dafür liegt in der geplanten Investition eines Windenergieunternehmens. Als es um die Errichtung eines Windparks ging, stimmten Antoine und Olga dagegen. Für die armen Bauern im Dorf ist die Aussicht auf schnelles Geld allerdings verlockend. So setzen die Brüder das französische Paar immer mehr unter Druck. Von der visuellen Brutalität des Einstiegs verlegt Sorogoyen die Kraft zunächst auf die Dialoge, schafft mit Worten Druck, der seiner Hauptfigur zunehmend den Atem raubt. Charakterdarsteller Denis Menochet (»Peter von Kant«) spielt das grandios mit einer Mischung aus Kraft und Hilflosigkeit. In der zweiten Hälfte rückt Marina Foïs (»Poliezei«) und Olgas Verhältnis zu ihrer Tochter in den Mittelpunkt des Films. Das verdichtet die vielschichtige Handlung und trägt die Spannung bis zum Ende der 137 Minuten dieses in seiner Heimat mit neun Goyas ausgezeichneten, meisterhaften Dramas.
»Wie wilde Tiere«: ab 14.12., Passage-Kinos, Schauburg, ab 16.1., Schaubühne Lindenfels
Die Prämisse ist einfach: vier Menschen finden während eines stürmischen deutschen Herbstabends am Münchener Hauptbahnhof zusammen. Und weil sie ganz dringend weiter nach Hamburg müssen, beschließen sie sich ein Taxi zu teilen. Gemeinsam mit dem verschlossenen Taxifahrer geht es durch die Nacht, wo zwischen der bunt zusammengewürfelten Reisegruppe schnell alle Themen auf den Tisch kommen, die Deutschland derzeit beschäftigen. Persönliches wie die Verluste geliebter Menschen oder eine beginnende Demenzerkrankung, genauso wie Politisches (Klimawandel, Geschlechterfragen und Rassismus) machen im engen Innenraum des Autos die Runde, bis die Köpfe rauchen oder erschöpft auf die Schulter des Nebensitzers sinken. Selten ist ein Casting in einem deutschen Film der letzten Jahren so perfekt aufgegangen. Neben Iris Berben als politisch engagierte Professorin im Ruhestand und Joachim Król als Taxifahrer ohne Führerschein, denen man beiden den Spaß an ihren Rollen deutlich anmerkt, brillieren die Nachwuchsschauspieler Nilam Farooq, Ben Münchow und Lena Urzendowsky. Gute Dialoge, ein perfekter Soundtrack und die Neonlichtromantik hiesiger Autobahnen runden das Erlebnis ab und machen aus »791 KM« vielleicht den Feelgood-Film des Winters. Eine Leistung, die man bei all den schweren Dramen, die sonst oft erscheinen, gar nicht genug würdigen kann. JOSEF BRAUN
»791 KM«: ab 14.12., Passage-Kinos, CineStar, Regina Palast, Cineplex
Weitere Filmtermine der Woche
Golden Shorts 2023
»Shorts Attack« präsentiert in diesem Monat die Publikumslieblinge der internationalen Festivals des bald endenden Jahres.
UT Connewitz, 14.12. 20:00
Der Himmel über Berlin
D 1987, R: Wim Wenders, D: Bruno Ganz, Solveig Dommartin, Otto Sander, 128 min
Liebesgeschichte in Schwarz-Weiß vom Engel, der auf die Erde kommt und sich dort in eine Trapezkünstlerin verliebt. Schöner, poetischer Film, mit Texten von Peter Handke.
Passage-Kinos, 15.12. 20:00 (Wim-Wenders-Retrospektive)
A Girl Walks Home Alone At Night
USA 2014, R: Ana Lily Amirpour, D: Sheila Vand, Arash Marandi, Marshall Manesh, 101 min
In der iranischen Geisterstadt Bad City, einem Ort, der nach Tod und Einsamkeit riecht, sind sich die Bewohner der Stadt nicht bewusst, dass sie von einem einsamen Vampir verfolgt werden. Düstere Gesellschaftskritik im Gewand eines kunstvollen Vampirfilms.
Passage-Kinos, 14.12. 20:00 (OmU, Passagen-Werke, mit Einführung & Gespräch)
Nightmare Before Christmas
USA 1993, R: Tim Burton, 75 min
Stop-Motion-Kultfilm aus Tim Burtons Produktionsschmiede.
Moritzbastei, 15.12. 20:00 (Eintritt frei, Moritzkino)
12. Kurzfilmtag
Am kürzesten Tag des Jahres gibt es wieder einen Tag lang Kurzfilm satt an vielen Orten in der Stadt.
Kinobar Prager Frühling, 21.12. 18:00 (Best-of Kurzfilmprogramm)
Schaubühne Lindenfels, 21.12. 19:00 (Mitteldeutsche Kurzfilmnacht)
Grassi-Museum für Angewandte Kunst, 21.12. 20:00
Passage-Kinos, 21.12. 19:00 (Balanceakt), 21:00 (Das ungewisse Dasein)
Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod
D 2022, Dok, R: Cem Kaya, 102 min
Mit viel mitreißend geschnittenem Archivmaterial erzählt die Doku die weitgehend unbekannte Geschichte der Lebensrealität türkischer Einwanderer in Deutschland anhand der lebendigen Musikszene.
Kinobar Prager Frühling, 17.12. 16:00
Das Mädchen mit den roten Haaren
ISR 2018, R: Tsivia Barkai Yacov, D: Avigayil Koevary, Gal Toren, Moran Rosenblatt, 90 min
Die 17-jährige Benny wird von ihrem strenggläubigen Vater, einem jüdischen Religionsgelehrten, vieles verwehrt. Mit ihm zu brechen, das traut sie sich jedoch noch nicht. Die Dinge werden besonders kompliziert, als sie sich in die gleichaltrige Yael verguckt.
Schaubühne Lindenfels, 19.12. 18:30 (OmU)
DOK Kids
Eine einstündige Auswahl der schönsten Kurzfilme aus zehn Jahren DOK Kids.
Schauburg, 17.12. 16:00
Drei Frauen
D 2023, Dok, R: Maksym Melnyk, 85 min
Postbotin Maria, Biologin Nelya und Farmerin Hanna erzählen von ihrem Leben an einem unbekannten Ort Europas irgendwo zwischen Ukraine, Slowakei und Polen.
Cinémathèque in der Nato, 19.12. 19:30 (mit Regiegespräch, Neiße-Filmfestfestival-Nachspiel)
Drei Haselnüsse für Aschenbrödel
CZ/D 1973, R: Vaclav Vorlicek, D: Libuše Šafránková, Pavel Trávnícek, Carola Braunbock, 75 min
Der Weihnachtsdauerbrenner auf der großen Leinwand.
Cinestar, 16.12. 15:00
Feinkošt – Tschechisch-deutsches Kurzfilmprogramm
Drei deutsche und drei tschechische kurze Dokumentarflme in 85 Minuten.
UT Connewitz, 21.12. 20:00
Filmriss Filmquiz
Wie alt war Christian Bale, als er vor der Kamera von Steven Spielberg stand? Welche Farbe hat Freddy Kruegers Pulli? In wie vielen Marvel-Filmen stand Robert Downey Jr. als Tony Stark vor der Kamera? Egal, ob Popcorn oder Arthouse – André Thätz und kreuzer-Redakteur Lars Tunçay quizzen sich mit euch durch die Filmgeschichte. Als Lohn gibt’s feine Preise.
Moritzbastei, 20.12. 20:00
Im Westen nichts Neues
D 2022, R: Edward Berger, D: Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer, 148 min
Netflix versucht sich an einer erneuten Adaption der Erlebnisse von Erich Maria Remarque in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Der groß besetzte Film wurde für neun Oscars nominiert und gewann vier der Goldjungen, unter anderem für den besten internationalen Film.
Kinobar Prager Frühling, 19.12. 15:45
Shoplifters
J 2017, R: Hirokazu Koreeda, D: Kirin Kiki, Lily Franky, Sôsuke Ikematsu, 121 min
Der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda (»Nobody Knows«) findet eine warmherzige Antwort auf die essenzielle Frage, was Familie bedeutet.
Ost-Passage-Theater, 20.12. 20:00 (OmU)
Tár
USA 2022, R: Todd Field, D: Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant, 158 min
Lydia Tár ist die erste weibliche Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters und muss sich in einer Männerwelt behaupten. Starkes Schauspielerinnenkino mit einer herausragenden Cate Blanchett.
Kinobar Prager Frühling, 19.12. 18:30