Willkommen in der schwarzweißen Handkamerawelt von »Lola«. Andrew Legge führt die Zuschauerinnen und Zuschauer in die Welt der alternativen Geschichtsschreibung. Im Zentrum: Lola, eine Maschine, die Radio- und TV-Wellen aus der Zukunft empfangen kann. Die Schwestern Thom und Mars haben sie im Jahr 1940 entwickelt und verhindern damit Todesopfer während der Luftschlacht um England. Erst anonym durch Radioanzeigen, dann immer offener. Was äußerlich als fast schon kitschiger Erzählfilm daherkommt, behandelt in Wirklichkeit ohne Aufdringlichkeit und Plakativität die großen Fragen: Darf man Menschenleben opfern, um das Wohl der Allgemeinheit zu schützen? Übersieht man etwas, wenn man sich auf Prognosen verlässt? Gibt es eine Alternative? Das alles macht »Lola« zu einem cleveren Planspiel. Aber seine wahre Stärke zeigt der Film dann, wenn er mitten in Krieg und Vernichtung Menschen zu Popmusik aus den Sechzigern tanzen lässt. Alles mithilfe von »Lola«, die ja die Zukunft kennt. Doch dann biegt der Film falsch ab. Das Drama zwischen den beiden Schwestern gerät zu altbekannt und unbeholfen. Seinen Höhepunkt hatte der Film da schon. Warum immer das Schreckensszenario? Warum nicht tanzende Menschen mitten im Krieg? Auch das gehört dazu und legitimiert den eskapistischen Besuch von Kinos inmitten der zerrütteten Weltlage. DANIEL EMMERLING
»Lola«: ab 28.12., Passage-Kinos, Luru Kino in der Spinnerei
Das Leben von Joan Baez ist filmreif, keine Frage. Schließlich ist die amerikanische Sängerin eine lebende Folk-Legende, hat mit ihrer Stimme und ihrem Stil Generationen anderer Musikerinnen beeinflusst – unter anderem Patti Smith, die nun auch Produzentin dieses Films ist. Baez marschierte mit Martin Luther King, engagierte sich immer wieder gegen Krieg und Gewalt und war nicht nur mit dem jungen Bob Dylan liiert, sondern hat ihn auch beim Starten seiner Karriere unterstützt. All diese Anekdoten finden in »I Am A Noise» Erwähnung, aber nur beiläufig, denn der Dokumentarfilm erzählt nicht straight den klassischen Lebensweg einer begnadeten Musikerin, sondern vielmehr die sehr persönliche Geschichte einer humorvollen, sympathischen Frau, die nach dunklen Phasen wie Depression und Missbrauch nun mit rund 80 Jahren Lebenserfahrung das Licht am Ende des Tunnels erreicht hat und tanzt. Denn eigentlich wollte sie einst Tänzerin werden, erfährt man in diesem Film dreier Regisseurinnen, mit denen Baez auch befreundet ist – und daher sehr ehrlich das gut gepflegte Familienarchiv öffnet, in dem sich Tagebucheinträge, Therapiesitzungen und viele Audio- und Filmaufnahmen befinden. So ist ein ungewöhnliches Künstlerinnen-Porträt gelungen, das nebenbei auch zeigt, wie man in Würde altern kann. JULIANE STREICH
»Joan Baez – I Am A Noise«: ab 28.12., Passage-Kinos
Wer die täglichen Grabenkämpfe zwischen (sich festklebenden) Klima-Aktivisten und Autofahrern sieht, weiß: Das Thema Umweltschutz bietet an sich jede Menge Nervenkitzel und Drama. Auch »Black Friday for Future« widmet sich dem Klimawandel der Erde und zeigt das Spannungsspektrum zwischen leidenschaftlichen Umweltschützern und Opfern der für den Planeten-Gau mitverantwortlichen Konsumspirale. Albert und Bruno, beide hochverschuldet, schlingern durch Zufall und Freibier in eine Gruppe ideologisch gefestigter Klimaretter, in deren Mittelpunkt die bezaubernde »Kaktus« steht. Die beiden Finanzfatalisten erkennen ihre Chance, aus den Protestaktionen der Gruppe ein paar Euros für sich abzuzweigen. Und natürlich haben beide auch ein Auge auf die Anführerin geworfen. Das Regieduo Olivier Nakache und Éric Toledano hat mit seinem Welterfolg »Ziemlich beste Freunde« sein Gespür für dynamische Beziehungen und Situationskomik bewiesen. Das geht ihm bei seinem aktuellen Werk ab. »Wir wollten zwei Themen miteinander verbinden, wie zwei Flussufer – Überschuldung und Umwelt – die augenscheinlich nicht viel miteinander zu tun zu haben«, so die Idee. Zwar harmonieren die Charaktere und kleine Gags zünden, aber insgesamt erscheint alles zu unausgegoren, zu nett. Am Ende wird ein Hauptteil der Story nicht auserzählt und dafür eine weitere völlig unglaubwürdige Liebesgeschichte etabliert. MARKUS GÄRTNER
»Black Friday for Future«: ab 28.12., Passage-Kinos, Regina-Palast, Schauburg
Weitere Filmtermine der Woche
Buena Vista Social Club
F/D/GB/CUB/USA 1999, Dok, R: Wim Wenders, 97 min
Die Begegnung des Gitarristen Ry Cooder mit berühmten Musikern Kubas. Hinreißende, sinnliche und oscarnominierte Dokumentation auch über das Land selbst.
Passage-Kinos, 04.01. 19:00 (Wim-Wenders-Retrospektive)
Der Junge und der Reiher
J 2023, R: Hayao Miyazaki, 124 min
Der zwölfjährige Mahito muss den Tod seiner Mutter verarbeiten und in einer überbordenden Fantasiewelt über sich hinauswachsen. Ein würdevolles Abschiedsgeschenk des Großmeisters Hayao Miyazaki.
Passage-Kinos, 29.12. 20:30 (OmU, Preview)
Cineplex, 31.12. 19:30 (Preview)
Regina-Palast, 01.01. 17:15 (Preview)
Die Feuerzangenbowle
D 1944, R: Helmut Weiss, D: Heinz Rühmann, Erich Ponto, Hans Richter, 97 min
Pünktlich zum Jahreswechsel zeigt die Passage einmal mehr den Klassiker, in dem sich Heinz Rühmann als Gymnasiast tarnt, um nie gemachte Pennälerstreiche nachzuholen.
Passage-Kinos, 31.12. 15:00, 17:30
Linoleum – Das All und all das
USA 2022, R: Colin West, D: Jim Gaffigan, Rhea Seehorn, Katelyn Nacon, 101 min
Wissenschaftler Cameron beschließt, in der Garage eine eigene Mondrakete zu bauen, um den alten Traum vom Astronautendasein wieder aufleben zu lassen.
Schauburg, 01.01. 20:15 (Neujahrsburgempfang mit Glühwein zur Kinokarte, OmU)
Mittagsstunde
D 2022, R: Lars Jessen, D: Charly Hübner, Lennard Conrad, Peter Franke, 93 min
Norddeutsches Familien-Drama von Lars Jessen (»Dorfpunks«) nach dem Roman von Dörte Hansen.
Passage-Kinos, 05.01. 20:00 (Psychoanalyse trifft Film)
Pakt der Wölfe
F 2001, R: Christophe Gans, D: Vincent Cassel, Monica Bellucci, Samuel Le Bihan, 142 min
Regisseur Christophe Gans serviert einen unbekümmerten, stylishen Genremix zwischen Historienfilm und Martial-Arts Abenteuer – spannend, finster und sehr unterhaltsam.
Cinestar, 02.01. 19:30 (Best of Cinema)
Cineplex, 02.01. 20:00 (Best of Cinema)
Regina-Palast, 02.01. 20:00 (Best of Cinema)
Saint Omer
F 2022, R: Alice Diop, D: Kayije Kagame, Guslagie Malanda, Valérie Dréville, 123 min
Die dreißigjährige Rama trifft auf die senegalesische Mutter Laurence Coly, die vor einem Schwurgericht angeklagt wird, ihr Baby getötet zu haben. Das überzeugende Spielfilmdebüt gewann den Silbernen Löwen in Venedig.
Ost-Passage-Theater, 03.01. 20:00 (OmU)
The Palace
F/PL/I/CH 2023, R: Roman Polanski, D: Oliver Masucci, Fanny Ardant, John Cleese, 100 min
Die neue Ensemblekomödie von Altmeister Roman Polanski erntführt uns in ein Schweizer Luxus-Hotel am Silvester-Abend des Jahres 1999.
Passage-Kinos, 31.12. 16:00 (Silvester-Preview)