anzeige
anzeige
Kultur

Szenen einer Jugend

Ein Grünauer Projekt bringt Jugendlichen das Filmschauspiel bei

  Szenen einer Jugend | Ein Grünauer Projekt bringt Jugendlichen das Filmschauspiel bei  Foto: Poeten-Schauspiel

Vor der Tür passiert an diesem Winterabend nichts. Um achtzehn Uhr liegt Grünau in Dunkelheit gehüllt, vermummte Gestalten führen ihre Hunde Gassi oder fahren mit dem Rad am Theatrium vorbei. Umso stärker ist der Kontrast, wenn man den Proberaum des Jugendtheaters betritt, wo sich rund ein Dutzend Grünauer Jugendliche in Socken um einen Tisch versammelt haben. Im Kurs »Poeten« wollen sie das Filmschauspiel erlernen. Drei Coaches begleiten sie dabei. Ein Spiel, bei dem Becher, Hände und auf Zuruf verschiedene Emotionen zum Einsatz kommen, bildet den Auftakt. Dann folgen Schauspielübungen mit einem leeren Stuhl als Gegenüber. 

Regisseur Dino Weisz hat die »Poeten« 2022 ins Leben gerufen. Ausschlaggebend für ihn waren dafür zwei Erlebnisse: eine Podiumsdiskussion beim Filmfest in München, auf der es um die fehlende Diversität in der deutschen Filmindustrie ging, sowie die Recherche zu einem Spielfilm, während der Weisz eine Reihe Grünauer Jugendlicher kennenlernte und merkte, wie interessiert sie am Filmschauspiel waren. »Letztendlich bin ich da so reingeschlittert«, erinnert er sich. »Ich habe die Kids auf der Straße angequatscht und sie gefragt, ob sie Bock auf Schauspiel haben. Sie haben dann ihre Freunde mitgebracht und so ist das immer weiter gewachsen.« 

»Ich möchte, dass die Kids sich sicher fühlen können«

Nach dem Aufwärmen verteilen sich die Jugendlichen auf kleine Grüppchen. Gemeinsam mit den Coaches – neben Weisz die beiden Schauspielerinnen Marcella Matos und Luana Gregory – üben sie Filmszenen ein, die Weisz für sie geschrieben hat und die sie in den nächsten Wochen mit professionellen Kameras in den Zimmern und Gärten der Jugendlichen aufnehmen werden. 

»Unser Ziel ist, dass wir die Szenen halbjährlich im Cineplex hier in Grünau zeigen können«, sagt Weisz. Auch ein eigenes Tiktok-Profil soll bald an den Start gehen. 

Kijan ist seit etwa einem Jahr dabei und träumt davon, als Schauspieler groß durchzustarten: »Ich bin richtig motiviert, auch weil ich sonst so viel struggle gerade.« Außerdem habe er im Kurs viele Freunde gefunden: »Es ist schon wie eine kleine Familie geworden.« 

Ein Eindruck, den Coachin Marcella Matos teilt. In ihrer brasilianischen Heimat machte sie einst bei einem ähnlichen Projekt ihre ersten Schritte als Schauspielerin, ehe sie über ein freiwilliges soziales Jahr nach Deutschland kam – und dann blieb. Was ihr wichtig ist bei der Arbeit mit dem Nachwuchs? »Ich möchte, dass die Kids sich sicher fühlen können, dass sie hier einen Safe Space finden, an dem sie auch neue Seiten von sich entdecken können.« 

Gespräche über zukünftige Förderung der Stadt laufen

Zu den gemeinsamen Ritualen der »Poeten« gehört, dass sie sich noch vor den Übungen im Kreis über die Woche austauschen. Drei Viertel der Gruppe sind BIPoC, das heißt Black, Indigenous and People of Color, also Menschen, denen von der weißen Mehrheitsgesellschaft zugeschrieben wird, »anders« zu sein. Das schafft Vertrauen unter jungen Menschen, die sonst in ihrem Alltag oft die Erfahrung machen, einer Minderheit anzugehören. 

Hamed ist über einen Freund dazugestoßen. Inzwischen hat er sogar erste Erfahrungen an Sets gesammelt. Er ist in einem deutschen und einem französischen Film zu sehen, außerdem in Folgen von »Soko Leipzig« und »In aller Freundschaft«. »Das ist ein cooles Adrenalingefühl«, erzählt er von seinen Einsätzen, »vor allem, wenn du mit deiner Szene fertig bist und allen bewiesen hast, dass du es kannst.« 

Die Kontakte zu Komparsen-Agenturen herzustellen, ist nicht das Hauptanliegen der »Poeten«, eher ein erwünschter Nebeneffekt. »Wir zeigen der Filmindustrie damit auch, dass sie diverser besetzen kann, wenn sie es möchte«, sagt Weisz. 

Zum Ende der Stunde treffen sich alle wieder im Proberaum. Gemeinsam reflektieren sie noch mal über ihre Szenen, verabreden sich für die nächsten Dreharbeiten. »Es fühlt sich gut an. Es fühlt sich an, als würden wir etwas Richtiges machen. Die Kids lieben es herzukommen. Das hat irgendwie Sinn«, sagt Weisz zum Abschluss. Für die nähere Zukunft wünscht er sich eine solidere Förderung (die Gespräche mit der Stadt laufen bereits) und mehr BIPoC-Coaches, die Lust und Zeit haben, mit den Jugendlichen zu arbeiten

> Mehr Infos zum Projekt finden Sie hier.


Kommentieren


0 Kommentar(e)