Am Mittwochabend sorgte die Teilnahme der Klimaaktivistin Greta Thunberg an einer pro-palästinensischen Demonstration auf dem Leipziger Marktplatz für Aufsehen. In unmittelbarem Anschluss an die Kundgebung wurde ein Videojournalist von Sachsen Fernsehen zusammen mit seinem Begleiter Opfer eines körperlichen Angriffs. Im Folgenden schildert er die Ereignisse und seine persönlichen Erfahrungen.
Was ist nach der Pro-Palästina-Kundgebung genau passiert?
Ich habe mich an den Rand gestellt und meine Videodateien versendet, damit sie von der Redaktion verarbeitet werden konnten. Danach habe ich mit meinem Kollegen vereinbart, dass wir einen kleinen Umweg laufen, um mögliche Verfolger zu erkennen. Statt direkt vom Markt zum Augustusplatz sind wir über das Steigenberger Hotel zum Augustusplatz gelaufen. Da haben wir dann mitbekommen, dass uns ein Kundgebungsteilnehmer verfolgt hat. Er hatte uns bereits auf der Kundgebung mehrfach bedroht. Dass es zu einem Übergriff kommt, hatte ich nicht gedacht. Erst als an der Haltestelle aus der einen Person drei Personen wurden, die sich noch dazu vermummten, wirkte die Situation bedrohlich.
Was haben Sie in der Situation gemacht?
Statt auf unsere Straßenbahn zu warten, sind wir in die nächstbeste eingestiegen. Beim Einsteigen habe ich dann mehrere Schläge auf den Hinterkopf bekommen und bin dadurch zu Boden gegangen. Auf dem Boden wurde mehrfach auf mich eingetreten. Als ich mitbekommen habe, dass mich nur eine Person attackierte, habe ich versucht, wieder auf die Beine zu kommen, ihn von der Straßenbahntür weg zu halten. In der Situation entstand auch das von »Vue Critique« veröffentlichte Video.
Wie geht es Ihnen nach dem Übergriff?
Ich glaube, ich habe den Angriff psychisch relativ gut verkraftet. Physisch habe ich in unregelmäßigen Abständen Kopfschmerzen. Zudem schmerzen die Prellung am Rücken und die Schulter.
Haben Sie eine Erklärung für den Angriff?
Nein. Wir haben im Nachgang noch mit einigen Leuten darüber gesprochen, die es ebenfalls nicht verstehen. Ich kann nur vermuten, dass sie keine Presse dahaben wollten, die Fotos oder Videoaufnahmen macht.
Inwiefern hat der Vorfall Konsequenzen für Ihre Arbeit als Journalist? Hat sich Ihre Perspektive auf die Berichterstattung während Demonstrationen verändert?
Ich werde nach wie vor von solchen Demonstrationen berichten. Das Einzige, was sich ändert, ist, dass ich schneller Videoaufnahmen anfertigen werde. Wir wurden auf dieser Kundgebung häufiger bedroht – recht eindeutig und von mehreren Personen. Rückblickend wäre es besser gewesen schon dies dokumentiert zu haben.
Welche Maßnahmen könnten Veranstalterinnen ergreifen, um die Sicherheit von Journalisten bei Demonstrationen zu gewähren?
Letztendlich haben die Veranstalterinnen ja keinen direkten Einfluss darauf, ob Journalistinnen angegriffen werden oder nicht. Klar könnten Ordnerinnen eingreifen, wenn sie so etwas mitbekommen. In dem Fall jedoch wurden wir auch von Ordnerinnen zur Seite geschoben, die uns in die Kamera gegriffen haben.
Stellen Sie das Material den Behörden zur Verfügung?
Wir wissen, dass der Staatsschutz die Ermittlungen zu diesem Fall sehr ehrgeizig betreibt. Presse sollte keine Ermittlungsarbeit betreiben. Zugleich kann ich sagen, dass uns die vergangene Hausdurchsuchung bei einem Journalisten zu schaffen macht – auf so etwas können wir verzichten.
Wie sehen Sie die Rolle der Medien bei Berichterstattung über politisch aufgeladene Themen wie Pro-Palästina-Demonstrationen?
Ich finde die Rolle der Medien bei solchen Thematiken super relevant, weil kleine Kundgebungen meist keine große Öffentlichkeit erreichen. Viele bekommen davon nichts mit, und Passantinnen reagieren meist irritiert. Deshalb finde ich es wichtig, darüber zu berichten und zu versuchen, das einzuordnen, um damit zur Meinungsbildung beizutragen.
Wie sollten Medien Ihrer Meinung nach mit potenziell konfliktgeladenen Ereignissen umgehen, um eine objektive Berichterstattung zu gewährleisten?
Sie sollten so berichten wie von sämtlichen anderen Ereignissen. Gleichwohl sollte man berücksichtigen, dass Themen wie der Nahostkonflikt von sehr viel Emotionen getragen werden. Der Verantwortung sollte man sich bewusst sein.
Was meinen Sie, wie wir als Gesellschaft dazu beitragen könnten, das Bewusstsein für die Bedeutung der Pressefreiheit und den Schutz von Journalistinnen zu stärken?
Das ist eine relativ schwierige Frage. Zumal momentan eher eine pressefeindliche Stimmung in Deutschland vorherrscht. Man hört immer wieder irgendwelche Narrative über eine vermeintliche »Lügenpresse« und dass die Medien alles steuern würden. Die Wahrnehmung von journalistischer Arbeit und auch von Medien an sich in Deutschland hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Da müsste man stärker präventiv ansetzen und Verständnis für die Rolle der Presse und Pressefreiheit stärken.
Jörg Reichel von dju/ver.di ordnet den Vorfall gegenüber dem kreuzer wie folgt ein:
»Der Angriff in Leipzig ist seit dem Messerangriff auf zwei Journalisten in Fretterode 2018, das Brutalste was in den letzten Jahren passiert ist. Schläge und Tritte gegen den Kopf und Rücken sind beispiellos. Wir haben seit dem 7. Oktober 2023 bundesweit einen Anstieg an körperlichen Übergriffen auf Journalisten festgestellt. Die Palästina-Protestbewegung agiert in Teilen pressefeindlich wie die Querdenker. Wir erwarten, dass die Polizei aktiv die Journalisten auf diesen Demos schützt!«
*Zum Schutz der Identität des Journalisten wurde er auf seinen Wunsch im Interview anonymisiert. Der Redaktion ist der Name des Journalisten bekannt.