Die Filmproduktionsfirma von Christian Schulz und Ulli Wendelmann war viele Jahre Untermieter in der Redaktion des kreuzer, Schulz selbst war in den Neunzigern mal Chefredakteur. Seit 2022 sitzt er mit seiner Firma in der obersten Etage eines Gebäudes in der Paul-Gruner-Straße. Erst durch die Recherchen von Radio Blau, das im selben Haus ansässig ist, habe Schulz von den genauen Baumaßnahmen auf dem Nachbargrundstück erfahren. Genau wie die anderen Mietparteien des Hauses wurde auch er darüber nicht informiert. Als der Bau begann, habe ein Zettel im Briefkasten gelegen, auf dem um Verständnis für kurzfristige Lärmbelästigung gebeten wurde, das war’s. Welche Ausmaße die Baumaßnahmen noch annehmen würden, ahnten Schulz und Co. da noch nicht.
Radio Blau hat seine Senderäume im Erdgeschoss und der ersten Etage des Hauses in der Paul-Gruner-Straße nahe dem Floßplatz. Am 4. Oktober 2023 veröffentlichte der freie Radiosender ein Video auf Facebook, das die laufenden Bauarbeiten vor dem Gebäude zeigt. Dort zu sehen ist der Rohbau der ersten Etage des Neubaus. Mit einem Abstand von wenigen Zentimetern wird an die Außenwand des Gebäudes, in dem Radio Blau sitzt, herangebaut. Dabei wird nicht nur die Sicht versperrt, sondern auch jede Möglichkeit für Tageslichtzufuhr genommen: Die Fenster des freien Radios werden quasi zugemauert.
Diese Fenster wurden vor Jahrzehnten in die eigentlich Brandschutzmauer des Gebäudes eingesetzt. Das war zwar nicht rechtmäßig – Brandschutzmauern dürfen keine Fenster haben –, aber auch nicht unüblich und wurde toleriert. Da diese Brandschutzmauer zudem als Grundstücksgrenze fungiert, wurde das Bauvorhaben nebenan mit einer Wand ohne Fenster geplant. Diesem Vorhaben wurde 2021 durch die Eigentümerin des Radio-Blau-Hauses, die in Hamburg lebt, zugestimmt. Nur sie hätte Einspruch gegen das geplante Bauvorhaben erheben können.
Neben der »Raumwirkung, die eine Katastrophe ist«, so Frank Eichhorn von Radio Blau, sei ein großes Problem, dass die Toiletten des Senders über die Fensterseite auslüften. Es gebe »momentan keine Lüftungsmöglichkeiten«, weil der kleine Spalt zwischen den Häusern dafür nicht reiche. Eine Mietminderung, also Kostenersparnis aufgrund der erheblichen Einschränkungen und des »unangenehmen Raumgefühls« sei für den Sender jedoch nicht möglich, da die Miete direkt von der Stadt übernommen werde. Der Sender verliert durch die geschlossene Baulücke nebenan etwa die Hälfte seiner Fenster. Auch Filmemacher Christian Schulz geht bei Redaktionsschluss davon aus, dass er durch die Fenster seines Büros noch etwa drei Wochen schauen können wird. Dann wird es auch bei ihm dunkel.