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Stadtleben

Frust im Niedriglohnsektor

Reinigungskräfte in Leipzig fordern einen Inflationsausgleich und beklagen prekäre Arbeitsbedingungen

  Frust im Niedriglohnsektor | Reinigungskräfte in Leipzig fordern einen Inflationsausgleich und beklagen prekäre Arbeitsbedingungen  Foto: Dariush Movahedian

Auf der Kundgebung der Gewerkschaft IG BAU fordern Reinigungskräfte eine Inflationsausgleichsprämie und Jahressonderzahlung. Bereits eine Corona-Sonderprämie blieb für einen Großteil der Beschäftigten aus.

Knapp 50 Reinigungskräfte haben sich versammelt, in übergezogenen Warnwesten blasen sie zustimmend in ihre Trillerpfeifen. Auf dem Willy-Brandt-Platz nahe des Leipziger Hauptbahnhofs wollen die Beschäftigten am Freitagvormittag mit ihren Forderungen in die Öffentlichkeit gehen: Die Arbeitgeber sollen den Reinigungskräften eine Inflationsausgleichsprämie zahlen, außerdem fordern sie eine Jahressonderzahlung an Weihnachten. Bereits im Vorjahr hat die Gewerkschaft mehrfach den Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks zur Zahlung der Inflationsausgleichsprämie aufgefordert. Auf die Forderungen sei die Innung aber nicht eingegangen, berichtet Stella Prott, die in Sachsen als Gewerkschaftssekretärin bei der IG BAU für den Bereich Gebäudereinigung arbeitet. In der Gewerkschaft ärgere man sich über die Blockadehaltung: »Wir wollen noch einmal zeigen, dass die Arbeitgeber damit nicht durchkommen. Das ist die größte Branche im Niedriglohnsektor, die keinen Inflationsausgleich bekommen hat.«

Die Bundesinnung vertritt die Interessen deutscher Reinigungsunternehmen. Auf Anfrage des kreuzer will sich diese zu den Forderungen nicht konkret äußern. Der Verband verweist darauf, dass im Kontext einer schwächelnden Wirtschaft die diesjährigen Tarifverhandlungen besonders herausfordernd werden würden.

Ernüchterung nach Coronapandemie

»Gefühlt haben sich die Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren verdoppelt, der Lohn ist aber nicht so mitgewachsen, das merkt man«, sagt ein Schul-Reiniger auf der Kundgebung. Seit Beginn des Jahres liegt der tarifliche Mindestlohn in der Gebäudereinigung bei 13,50 Euro pro Stunde. Laut Prott verstärke der ausbleibende Inflationszuschlag nun ein Ungerechtigkeitsgefühl in der Branche, das auch mit der Coronapandemie zusammenhänge. Betriebsräte forderten eine Corona-Sonderprämie bei den Arbeitgebern ein, überwiegend blieb eine Zahlung aber aus, insbesondere großer Reinigungsunternehmen. »Das wirkt bis heute nach«, sagt die Gewerkschaftssekretärin. So ist die Pandemie auch auf der Kundgebung Thema.»Reinigungskräfte haben alles desinfiziert, haben Leben gerettet. Und dafür wollen die Arbeitgeber nicht zahlen«, sagt eine im Krankenhaus arbeitende Reinigungskraft

Eine prekäre Arbeit zu den Randzeiten

In Leipzig arbeiten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit über 8.000 Beschäftigte in der Reinigungsbranche. Die Arbeit in Büros, Industriehallen oder Krankenhausfluren ist von der Fenster- bis zur Spezialreinigung ein körperlich belastender Job, der oft unter prekären Bedingungen stattfindet. Prott spricht von einem großen Anteil an Reinigungskräften, die durch Arbeitgeber Repression erfahren und sich von diesen schnell einschüchtern lassen. Befristete Arbeitsverträge würden oft nicht verlängert werden, wenn Beschäftigte sich organisierten, um Missstände zu kritisieren. Dazu zählen unbezahlte Überstunden, falsche Eingruppierungen in Lohngruppen oder auch die Leistungsverdichtung nach Tariferhöhungen, also die Erhöhung des Arbeitsvolumens, um Mehrkosten zu kompensieren. Zudem sei die Branche geprägt davon, dass Reinigungskräfte wenig miteinander vernetzt seien, sagt Prott, auch weil die Arbeit verteilt in einzelnen Objekten stattfinde: »Menschen kennen kaum mehr als zwei oder drei Kollegen.«

Die Beschäftigten der Reinigungsbranche arbeiten meist in befristeten Arbeitsverhältnissen. Überwiegend sind sie in Teilzeit angestellt, obwohl viele von ihnen gerne mehr arbeiten würden. In Leipzig sind es rund 70 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in Teilzeit reinigen. Ein solcher Anteil an Teilzeitstellen ist auch auf die traditionelle Taktung der Gebäudereinigung rückzuführen, denn Reinigungsarbeiten finden zumeist zu kurzen Randzeiten statt, also zum Beispiel nachts, wenn Büros leer stehen. Doch das ist nicht immer erforderlich. So sprachen sich Abgeordnete des Europäischen Parlaments im vergangenen Sommer in einem offenen Brief dafür aus, dass die Parlamentsbüros nicht mehr nachts gereinigt werden müssen. Die Gewerkschaft UNI Europa fordert ebenfalls die Tagesreinigung – neben der erhöhten Sicherheit und den längeren Schichten auch, damit Reinigungskräfte in der Gesellschaft verstärkt sichtbar werden.

Neuer Druck am Verhandlungstisch

Die Reinigungskräfte, die sich auf der Kundgebung versammelt haben, hoffen darauf, von ihren Arbeitgebern doch noch einen Inflationsausgleich zu bekommen. Möglich ist das noch bis Ende dieses Jahres. Mehr Druck ausüben kann die Gewerkschaft dann in den im April beginnenden Verhandlungen für den neuen Lohntarifvertrag: Bei den Tarifverhandlungen müssten sich die Arbeitgeber immerhin an den Verhandlungstisch setzen, sagt Gewerkschafterin Prott. Und falls diese bis dahin den Inflationsausgleich immer noch ignorierten, könne die Gewerkschaft in der Lohnrunde eine Kompensation fordern.


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1 Kommentar(e)

ed fer 30.03.2024 | um 09:53 Uhr

Hoch die Revolution!