Film der Woche: Thelma, eine alleinerziehende Mutter, arbeitet in einer Getränkespedition und wohnt mit ihrem 14-jährigen Sohn Louis zusammen, mit dem sie sich weitestgehend gut versteht. Sie hält auch zu ihm als es eines Tages Ärger in der Schule gibt, nachdem der Teenager einen älteren Jungen geschlagen hat, weil der ihn regelmäßig mobbt. Das Leben der beiden nimmt jedoch eine schlimme Wendung, als Louis beim Skateboarden von einem Lastwagen angefahren wird. Er fällt ins Koma und es ist unklar, ob er jemals wieder aufwachen wird. In ihrer Ohnmacht blättert Thelma im Tagebuch ihres Sohnes, in dem dieser »Zehn Dinge, die man vor dem Ende der Welt tun sollte« notiert hat. Beseelt vom Wunsch, ihrem Jungen nahe zu sein, beginnt sie damit, seine Liste selbst abzuarbeiten – von einer Autogrammjagd in Tokio bis hin zum Schwimmen mit Walen. Lisa Azuelos Adaption des Erfolgsromans von Julien Sandrel ist anrührend, ohne dabei ins Kitschige abzudriften, und punktet sowohl mit Hauptdarstellerin Alexandra Lamy wie auch mit der Skizzierung der zahlreichen Nebenfiguren – unsympathisch und überzeichnet ist hier niemand. Vor allem aber macht es bei aller Dramatik durchaus Spaß zu erfahren, welcher To-Do-Wunsch als nächstes angegangen wird, dafür mit Thelma auf Reisen zu gehen und mitzuerleben, wie sie selbst durch die neuen Erfahrungen, die sie stellvertretend für Louis macht, reift und ihre Hoffnung aufrechterhält. PETER HOCH
»Das Zimmer der Wunder«: ab 16.5., Passage-Kinos, Kinobar Prager Frühling, Schauburg, Regina Palast
Das großangelegte Familiendrama ist eine ureigene italienische Filmgattung. Im Laufe der Jahrzehnte taucht es immer wieder im Kino auf. Alleine Hauptdarsteller Pierfrancesco Favino hat mit „Il Traditore“ und „Nostalghia“ in den vergangenen Jahren in gleich zwei dekadenumspannenden Dramen mitgewirkt. „Il colibrì“ will nun ganz groß hinaus: Die Verfilmung von Sandro Veronesi preisgekrönter fiktionaler Biographie ist eine sechs Jahrzehnte, drei Generationen umspannende Familienchronik. Regisseurin und Co-Autorin Francesca Archibugi erzählt diese Geschichte aber nicht chronologisch, sondern springt über ein halbes Jahrhundert hin und her. Alles beginnt wie so oft in einem Sommer am Meer. Hier verlieben sich die Teenager*innen Marco (erwachsen gespielt von Favino) und Luisa (Bérénice Bejo) ineinander. Doch ihre Liebe wird durch eine Familientragödie auseinander getrieben, bevor sie erblühen kann. In den folgenden Jahrzehnten leben sie ihre respektiven Leben und Beziehungen, schreiben sich und begegnen sich aber immer wieder, durch das Schicksal gebunden. Die Erzählung und Esmeralda Calabrias Schnitt agieren dabei äußert assoziativ. So kommt es vor, dass wir in einer Szene Marcos schwierige Kindheit erleben und in der nächsten praktisch an seinem Sterbebett stehen. Mit der Vielzahl der Figuren ist das eine mittlere Herausforderung für Kinogängerinnen und Kinogänger. Pierfrancesco Favino ist dabei ein enormer Gewinn für den Film und stellt erneut heraus, warum er zu den derzeit gefragtesten Mimen seiner Generation gehört. Es gelingt ihm, seine Figur zu erden und eine Projektionsfläche zu bieten. Er navigiert seinen Marco durch ein ausladendes Porträt der italienischen Oberschicht, das bis in die Nebenrollen stark besetzt ist und vortrefflich aussieht, einen am Ende aber seltsam unberührt lässt.
»Der Kolibri«: ab 16.5., Passage-Kinos
Tierwohl und Fleischkonsum sind brisante Themen, man kennt Videos grausamer Transporte und Massenhaltung und die familieninternen Gefechte, wer was zu den Feiertagen essen will/darf/kann. Viel Stoff – oder besser Fleisch – für einen Film. »Die Q ist ein Tier« ist aber kein gewöhnlicher Film – leider. Beim örtlichen Schlachthofbesitzer werden aus Protest Tierreste vors Haus gekippt, zwei Polizisten ermitteln. Es folgt: viele sprechende Köpfe, Monologe von Dorfbewohnern, skurrilen Mitarbeitern, leidenschaftlichen Tierschützern u.a. 53 (!) verschiedene Rollen, ein Großteil mit leichten psychischen Auffälligkeiten oder starkem Klischeeeinschlag, wie die Eso-Frau, die das Polizeibüro mit Räucherhölzchen von bösen Geistern befreien will. Man erhält Einblicke in Säugetier- und Insektenrecht, die monotone Maschinerie des Schlachtens, politische Seilschaften – und in welche Qualitätskategorie der Schweinepimmel fällt. Der mimische Anteil der Polizeidarsteller besteht im interessierten Zuhören. All das ist zwar gut gespielt, aber weder überaus spannend noch witzig. Da hilft es wenig, dass die engagierte Volontärin der Lokalzeitung in einem weiteren Handlungsstrang durch die Institutionen marschiert, um einen möglichen Skandal hinter dem Schlachthof aufzudecken. Durch den fast völligen Verzicht auf andere filmische Mittel wirkt der Film teils wie aneinandergereihte Showreels der unzähligen Protagonisten und weniger wie gesellschaftlich relevanter Augenschmaus für die große Leinwand – weder Fisch noch Fleisch. MARKUS GÄRTNER
»Die Q ist ein Tier«: ab 16.5., Luru-Kino in der Spinnerei
Weitere Filmtermine der Woche
Donnie Darko
USA 2001, R: Richard Kelly, D: Jake Gyllenhaal, Jena Malone, Drew Barrymore, 113 min
Richard Kellys außergewöhnlicher Mystery-Thriller. Ein Lynch für die Gen Z und Jake Gyllenhaals Durchbruch als Schauspieler.
Passage-Kinos, 17.05. 20:30 (OmU, Passagen-Werke)
Therapie für einen Vampir
AT/CH 2015, R: David Rühm, D: Tobias Moretti, Jeanette Hain, Karl Fischer
Ein mysteriöser Graf mit spitzen Zähnen sucht Rat und Hilfe beim Psychologen Sigmund Freud.
Stadtbibliothek, 17.05. 17:00
Valeria Is Getting Married
ISR/UKR 2022, R: Michal Vinik, D: Dasha Tvoronovich, Lena Fraifeld, Yaakov Zada Daniel, 80 min
Eine Ukrainerin reist nach Israel, um dort eine arrangierte Ehe einzugehen.
Schaubühne Lindenfels, 17.05. 18:00 (Aktuelles Kino aus Israel, OmU)
Year of the Horse
USA 1997, Dok, R: Jim Jarmusch, 105 min
Jarmuschs Doku über Neil Young und seine Band Crazy Horse kommt dem Gestus der Musik sehr nah: geradlinig, ohne modischen Firlefanz. Ein Musikfilm im besten Sinne des Wortes.
Schaubühne Lindenfels, 19.05. 16:00 (OmU, The Independent Cinema of Jim Jarmusch)
»Kennen Sie Kafka?«
D 2024, Dok, R: Pavel Šimák
Der Dokumentarfilm wirft anlässlich des 100. Todestags von Franz Kafka einen neuen Blick auf Werk und Mensch und nimmt den hartnäckigen Kafkakult um den angeblich lebensfremden, introvertierten und humorlosen Schriftsteller genauer unter die Lupe.
Haus des Buches, 16.05. 19:30 (mit Einführung von Reiner Stach)
Erlauben Sie eine letzte Frage
D 2004, Dok, R: Hellmuth Henneberg, 45 min
Dokumentarfilm über die Fernsehinterviews von Günter Gaus.
Kinobar Prager Frühling, 16.05. 18:00 (mit dem Regisseur)
Black Block
D 2023, Dok, R: Fred Kowasch, 94 min
Der Dokumentarfilm nähert sich dem Phänomen und dem Mythos »Schwarzer Block« über eine Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten. Der Film berücksichtigt u. a. die Ereignisse des G-20-Gipfels in Hamburg, die Vorgänge am Hambacher Forst und das jüngste Gerichtsverfahren in Dresden sowie die Geschehnisse am sogenannten Tag X in Leipzig.
UT Connewitz, 17.05. 20:00
Das leere Grab
D/TZ 2024, Dok, R: Cece Mlay, Agnes Lisa Wegner, 97 min
Während der deutschen Kolonialisierung Afrikas wurden in Tansania Zehntausende Schädel und Knochen geplündert und in Museumsdepots aufbewahrt. Der Dokumentarfilm folgt zwei tansanischen Familien in der Gegenwart, die auf der Suche nach ihren gestohlenen Vorfahren nach Deutschland kommen.
Passage-Kinos, 16.05. 18:30 (mit den Regisseurinnen)
Neo Rauch – Gefährten und Begleiter
D 2017, Dok, R: Nicola Graef, 105 min
Doku über die Kunst des Leipziger Malers Neo Rauch.
Passage-Kinos, 19.05. 11:00
Chicken Run – Hennen rennen
GB/F/USA 2000, R: Nick Park, Peter Lord, 81 min
Erster abendfüllender Knetfiguren-Film der »Wallace & Gromit«-Macher aus dem Aardman-Studio mit witzigen Anspielungen auf Klassiker wie »Gesprengte Ketten«.
Schaubühne Lindenfels; 19.05. 14:00, 25.05. 14:00
Aznavour by Charles
F 2019, Dok, R: Marc di Domenico, 83 min
Der französische Dokumentarfilm taucht mit der Hilfe von dessen Videotagebuch ein in das Leben des französischen Chanson-Sängers und Entertainers Charles Aznavour.
Passage-Kinos, 22.05. 19:00 (Musikkiste)
Blut muss fließen
D 2012, R: Peter Ohlendorf, 90 min
Undercover unter Nazis: Der Journalist Thomas Kuban auf seiner Reise durch Deutschland und Europa, um Neonazi-Konzerten und Rechtsextremismus auf den Zahn zu fühlen.
Cinémathèque, 23.05. 20:00 (mit Diskussion)
Cow
GB 2023, Dok, R: Andrea Arnold, 94 min
Die Oscar-gekrönte Regisseurin Andrea Arnold dokumentiert das Leben einer Milchkuh namens Luma.
Cinémathèque, 25.05. 19:00
Hundswut
D 2024, R: Daniel Alvarenga, D: Christian Tramitz, Christine Zierl, Christine Neubauer, 124 min
1932 werden in einem kleinen bayrischen Dorf vier Teenager ermordet aufgefunden. Schnell wird ein Einsiedler beschuldigt, die Morde begangen zu haben, und eine Lynch-Jagd droht loszubrechen.
Cineplex, 22.05. 19:00 (Leipzig-Premiere mit dem Regisseur)
Johnny & Me − John Heartfield
D/A/CH 2023, Dok, R: Katrin Rothe, 104 min
Eine junge Grafikdesignerin und eine animierte Cartoon-Figur nehmen das Publikum mit auf eine Reise durch das Leben von John Heartfield, Antifaschist und Pazifist, der als einer der Ersten Kunst als politische Waffe verwendete.
Cinémathèque, 21.05. 19:00 (mit Diskussion, OmU)
Queer Exile Berlin
D 2023, Dok, R: Jochen Hick, 105 min
Sechs queere Menschen unterschiedlichster Herkunft haben Berlin als ihre Heimat gewählt – entweder weil sie es wollten oder weil sie es mussten. Persönliche Geschichten werden in der Doku mit historischen und aktuellen Entwicklungen verglichen und bilden das Porträt einer Stadt, die Sehnsuchtsort und Herausforderung zugleich ist.
Kinobar Prager Frühling, 17.05. 21:00 (mit Regisseur), 19.05. 18:00, 21.05. 17:45
Shorts Attack: Cannes Competition Shorts
Die besten Kurzfilme aus dem Wettbewerb des letztjährigen Cannes-Filmfestivals.
Kinobar Prager Frühling, 22.05. 19:00 (OmU)
Something You Said Last Night
CDN/CH 2022, R: Luis De Filippis, D: Carmen Madonia, Ramona Milano, Paige Evans, 96 min
Ren fährt mit ihrer dysfunktionalen Familie in den Sommerurlaub. Im engen Feriendomizil kommen nach und nach so einige Konflikte auf und Geheimnisse ans Licht.
Kinobar Prager Frühling, 17.05. 17:00 (OmU)
Falke überm Haus
D 2023, Dok
Luru-Kino in der Spinnerei, 24.05. 18:00 (Premiere)
The Wanted 18
CA/FR/PS 2014, Dok, R: Amer Shomal, Paul Cowan
18 Kühe zwischen zwei Fronten: Dokumentarfilm über einen Protest der besonderen Art im Jahrzehnte währenden Konflikt zwischen Israel und Palästina.
Ost-Passage-Theater, 22.05. 20:00 (OmdU)
Kenny
CAN/J, Dok, R: Claude Gagnon, 95 min
Kenny wächst ohne Beine und ohne Unterleib auf. Im Alter von 13 Jahren wird er von einem franko-kanadischen Filmteam begleitet, die dokumentieren, wie er sich ohne Beine durchs Leben schlägt.
Bibliothek Volkmarsdorf, 23.05. 18:00
Klassenverhältnisse am Bodensee
CH 2023, R: Ariane Andereggen, Ted Gaier, D: Susanne Lorenz, Esther Höppli, Beat Schüpbach, Peter Dransfeld, 82 min
Zwischen vorstädtischem, dörflichem Leben und künstlerischer Sonderzone hinterfragt die Autorin, gemeinsam mit Klassenkameraden, ihrer Familie und ehemaligen Lehrern, die Selbstverständnisse derer, die dort zwischen den 70er und 90er Jahren aufwuchsen.
Cinémathèque in der Nato, 22.05. 19:00 (mit Regiegespräch, OmU)
Paterson
USA 2016, R: Jim Jarmusch, D: Adam Driver, Golshifteh Farahani, Kara Hayward, 115 min
Der Alltag eines dichtenden jungen Busfahrers, seiner quirligen Frau und ihres Hundes ist eigentlich völlig unspektakulär. Regisseur Jim Jarmusch gelingt es dennoch, das Besondere aus der gezeigten Banalität des Lebens herauszudestillieren.
Passage-Kinos, 24.05. 20:00 (Psychoanalyse trifft Film)
Moritzkino: DUMB MONEY – SCHNELLES GELD
Keith Gill (Paul Dano) ist Finanzmarktanalyst und dreht zu diesem Thema auch Youtube-Videos. So weit, so unscheinbar – bis zu dem Tag, an dem er alle seine Ersparnisse in die strauchelnde Aktie von Gamestop steckt.
Moritzbastei, 23.05. 20:00
Filmriss Filmquiz
Wie viele Statisten tummeln sich in »Ghandi«? Welcher Film erhielt die meisten Oscars? Wie heißt Zendaya mit vollständigem Namen? Fragen über Fragen – für die Antworten winken Preise über Preise beim Filmriss Filmquiz, der unterhaltsamen Filmquizshow mit André Thätz und kreuzer-Redakteur Lars Tunçay.
Moritzbastei, 22.05. 20:00