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Kultur

»Eine Metapher für die Hölle«

Opernregisseur Francisco Negrin über »Lady Macbeth von Mzensk« und den Reiz von Massenevents

  »Eine Metapher für die Hölle« | Opernregisseur Francisco Negrin über »Lady Macbeth von Mzensk« und den Reiz von Massenevents  Foto: Xavi Montojo

Immer weiter bis ins Lager. Mit »Lady Macbeth von Mzensk« schuf Dmitri Schostakowitsch  eine finstere Parabel, bei der die Protagonistin Katharina schließlich im Lager landet. Wie man das inszeniert, erklärt Opernregisseur Francisco Negrin.
 

Ist »Lady Macbeth von Mzensk« die tragischte Tragödie, die Sie kennen?

Es ist keine Tagödie, es ist schlimmer. Es ist eine Warnung an die Menschheit, dass unser normales Verhalten in die absolute Dunkelheit führen kann. Es ist eine Art zu sagen: Menschen tendieren zur Entropie.

... zum Chaos...

Ja, Psychologisch gesehen. Wir enden im Chaos, egal was wir tun. Wir kreieren Utopien, Ideale, Gesellschaften. Und wenn diese nicht funktionieren, ersetzen wir sie durch Dinge, die noch weniger funktionieren etc. Die spezielle Warnung in der Ober betrifft unseren Hang zu Gier, Gewalt, Macht. Das steckt schon in Shakespeares »Macbeth«. Eine Sache führt zu einer schlimmeren Sache, die zu einer schlimmeren führt, was final zum Wahnsinn führt. Der ist eine Metapher für die Hölle. Bei Schostakowitsch führt das nach Sibirien, was eine Metapher für die Hölle ist.

Katharina endet im Zwangsarbeiterlager.

Es geht die sieben Höllenkreise in Dantes »Inferno« hinunter. Dieses Stück ist buchstäblich ein Abstieg. Wir machen das auch in der Inszenierung sichtbar. Immer wenn ein Charakter versucht, etwas besser zu machen, öffnet sich ein Höllentor. Und bei der nächsten Tat wird der Schlund größer, bis am Ende alles darin verschwindet. Es ist ein nihilistisches Stück.

Wie würden Sie die Musik beschreiben?

Dieser Abstieg kommt direkt von der Musik. Die Art, wie Schostakowitsch den Stoff transformiert, zeigt das. Er verwendet verschiedene Musikstile, um uns eine Art realistische Welt zu zeigen, die dann immer grotesker wird, immer vulgärer, gewalttätiger und absurder. Da finden sich Referenzen zu seltsamen Musiken, zu Zirkusmusik, Stummfilmmusik und Referenzen zum »Rosenkavalier« und Fafner. Er nutzt Karikaturen, um die Welt immer grotesker zu zeichnen. Die Schönheit dieses Stückes besteht darin, dass Schostakowitsch diese dunkle Parodie mit unglaublichen Schleifen immer dann unterbricht, wenn Katharina versucht, die Welt zu verbessern. Angesichts solcher Dunkelheit werden wir fähig, Schönheit zu erkennen, fähig, uns für anderer, schöne Dingen zu entscheiden.

Haben Sie die Oper ausgewählt?

So läuft das nicht. Ich habe noch nie eine Oper selbst ausgesucht. Man wird normalerweise gefragt, ob man sich vorstellen könne, diese oder jene Oper zu machen. Und man denkt: »Nicht wirklich, aber ich brauche den Job. Also mache ich es.« Und dann sind es oft die Opern, an die ich gar nicht gedacht habe, bei welchen ich die Arbeit daran am meisten genieße. So war es in diesem Fall. Ich hatte nie erwogen, es zu inszenieren, wusste aber, dass es ein außergewöhnliches Stück ist. Und ich kann jetzt sagen, dass es eine der schönsten Opern ist, die ich je inszenieren durfte. In jeder Probe entdecke ich neue Details, neue Schönheit.

Sie arbeiten mit einer Intimitätstrainerin zusammen?

Nun, das ganze Stück handelt von Sex und Gewalt. Daher ist das ein Weg, im Probenprozess zu helfen, wenn Menschen nicht immer in der Lage sind zu sagen, dass sie sich in Situationen unwohl fühlen. Die Trainerin schafft eine sichere Umgebung für Menschen, sich auszudrücken und für uns in vertrauensvoller Atmosphäre zu arbeiten.

Wie kamen Sie zum Musiktheater?

Ich studierte in Aix-en-Provence Film. Die Stadt hat ein großes Opern-Festival, was die Gelegenheit für Studentenjobs bot. Ich war zum Beispiel Statist. Weil ich mehrere Sprachen beherrschte und ein Regieassistent krank wurde, übernahm ich. Und später fing ich dann an, selbst Regie zu führen. Ich hatte auch Musik studiert, aber nie zuvor an Oper gedacht. Und trotz meines Studiums habe ich nie einen Film gedreht.

Aber Sie sind auch außerhalb von Opernhäusern aktiv?

Ja, ich inszeniere Massenevents wie Ice-Shows in Arenen, eine Museumseröffnung in Dubai oder Eröffnungen von Sport-Events wie den Asian Martial Arts Games. Das war eine der größten Shows, die je gemacht wurden mit 6.000 Performern und einem Riesenbudget. Das ist eine ganz andere Sache als Oper. Ich kann hier am Reißbrett bei Null beginnen, während ich bei Opern interpretiere und eine Welt kreiere, in der sie stattfindet. Bei diesen Events gestalte ich alles, natürlich entlang des Auftrags. Ich liebe es, Technologie wie Drohnen einzusetzen. Bei der Oper fehlt dazu oft das Geld, bei den Shows ist das kein Thema.

Was sagen Sie Menschen, die Berührungsangst vor Opern haben?

Das gibt es in Deutschland? Hier verfügt doch fast jede Stadt über eine Oper. Gut, ich würde sagen: Spring ins Becken und sieh, wie genussvoll es ist!
 

> »Lady Macbeth von Mzensk«, 25.5., 19 Uhr (Premiere), 29.5., 19.30 Uhr, 2.5., 17 Uhr, 5.6., 19.30 Uhr, Oper Leipzig


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