anzeige
anzeige
Politik

Schwarze Balken

Seit anderthalb Jahren verpflichtet ein neues Gesetz Sachsens Behörden zu mehr Transparenz, doch bisher tut man sich schwer

  Schwarze Balken | Seit anderthalb Jahren verpflichtet ein neues Gesetz Sachsens Behörden zu mehr Transparenz, doch bisher tut man sich schwer  Foto: Chris Schneider

Nichts als schwarze Balken auf weißem Papier. Über mehr als 180 Seiten hinweg. Ausgedruckt und verschickt durch das sächsische Innenministerium. So sieht die Antwort auf eine Anfrage nach dem neuen sächsischen Transparenzgesetz aus. Es ist zugleich eine Antwort darauf, wie es um die Transparenz in Sachsen steht und ob die hiesigen Behörden sich mittlerweile damit angefreundet haben, dass sie seit einiger Zeit ein wenig mehr Einblick in ihre Arbeit geben müssen. Kurze Antwort auf beides: Eher so semi.

Seit dem ersten Januar 2023 gilt in Sachsen ein neues Gesetz: das Sächsische Transparenzgesetz, oder kurz, aber nicht weniger sperrig, das SächsTranspG. Der Gedanke dahinter: Alle Interessierten können bei Behörden den Einblick in interne Dokumente, wie etwa Dienstanweisungen oder Verträge, beantragen und dadurch deren Arbeit besser nachvollziehen. Die preußische Vorstellung des Herrschaftswissens im Behördenhinterzimmer wird ersetzt durch Informationsfreiheit in einer Demokratie auf Augenhöhe. So geht zumindest die Theorie. Nahezu alle anderen Bundesländer haben seit Jahren schon entsprechende Gesetze. Auch die Bundesregierung muss durch solch eine Regelung – das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) – ganze Umzugskartons voller Aktenordner herausgeben, wenn jemand nach Unterlagen fragt.

Dass dies auch in Sachsen möglich werden sollte, war vor allem ein Anliegen der Grünen, die dafür sorgten, dass das Thema 2019 in den Sächsischen Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. »Wir wollen den freien Zugang zu behördlichen Informationen und Dokumenten. Dazu schaffen wir bis Ende 2020 ein Transparenzgesetz«, heißt es dort. Die Tatsache, dass dieses Vorhaben einige Jahre länger brauchte, um umgesetzt zu werden, deutet bereits an, dass nicht alle Regierungsparteien gleichermaßen begeistert waren vom Streben nach mehr Transparenz. Insbesondere die sächsische CDU betonte vor, während und nach Verabschiedung des Transparenzgesetzes kontinuierlich, wie problematisch es wäre, wenn Sachsen plötzlich ebenso transparent sein müsste wie fast der gesamte Rest der Republik oder nahezu ganz Europa. Das Ergebnis dieser regierungsinternen Grabenkämpfe ist ein Transparenzgesetz, das weder seinem Namen gerecht wird noch dem hehren Gedanken, der dahinter steht.

Keine Zuständigkeiten

Seit anderthalb Jahren läuft der große Praxistest. In dieser Zeit habe ich – mal gezielt als Journalist, mal als interessierter Bürger – mehrere Dutzend Mal einen »Antrag nach dem SächsTranspG« an sächsische Behörden gestellt – so heißt es juristisch korrekt. Ich wollte vom Justizministerium die Gutachten haben, die erörtern, ob der rechtsextreme AfD-Politiker Jens Maier wieder als Richter arbeiten darf. Ich habe bei der sächsischen Polizei die Verträge mit externen Dienstleistern zu ihrem emsig beworbenen Podcast angefordert. Und vom Kultusministerium habe ich die Unterlagen zum 2023 eingeführten Verbot von geschlechtergerechter Sprache an Schulen bekommen. Was ich allerdings auch dutzendfach bekam: geschwärzte Seiten und horrende Rechnungen. Und viel zu oft gab es einfach gar keine Antwort, oder wenn, dann erst nach mehreren Monaten Wartezeit.

Tatsächlich ist in den meisten sächsischen Behörden bisher wenig passiert, damit dem Versprechen nach mehr Transparenz auch entsprochen werden kann. In keinem einzigen Ministerium wurde seit Einführung des Gesetzes auch nur eine einzige Person abgeordnet oder gar neu eingestellt, die dafür zuständig wäre, die Anträge von Bürgerinnen und Bürgern zu bearbeiten. In anderen Bundesländern und vor allem in den großen Bundesministerien gibt es seit Jahren ganze Abteilungen, die für nichts anderes zuständig sind. In Sachsen sind laut Auskunft der Ministerien hingegen einfach »grundsätzlich alle Mitarbeiter« dafür eingeplant, dies neben ihren bisherigen Aufgaben mitzuerledigen. Wer sich dafür interessiert, wie gut »grundsätzlich alle Mitarbeiter« für diese Aufgabe geschult werden, kann so wie ich einfach die entsprechende »Dienstanweisung zur Bearbeitung von Anträgen nach dem SächsTranspG« anfordern. Darin findet sich neben den wichtigen und vermutlich in weiten Teilen der Bevölkerung ebenso wie in Ministerien wenig präsenten Hinweisen »Alle Behörden sind transparenzpflichtig« und »Jedermann hat einen voraussetzungslosen Transparenzanspruch« zugleich eine lange Liste mit Möglichkeiten, wie eine Behörde den Antrag einfach ablehnen kann.

Fehler im System

Wie bereits erwähnt, verspricht das Sächsische Transparenzgesetz etwas, das es nicht einlöst – und enthält Dutzende Regelungen, die seinem angeblichen Ziel zuwiderlaufen. Um nur die drei wichtigsten zu nennen: Anders als in allen anderen Bundesländern ist der gesamte kommunale Bereich von dem Gesetz aktuell gar nicht erfasst. Der Bereich, in dem viele Menschen unmittelbar mit der Verwaltung zu tun haben, bleibt also weiter intransparent.

Ebenfalls anders als in allen anderen Bundesländern ist in Sachsen der gesamte Schriftverkehr innerhalb einer Behörde von der Transparenzpflicht ausgenommen, ebenso alle Dokumente im Entwurfsstadium. Wer sich also dafür interessiert, wie genau eine Entscheidung oder ein Gesetz zustande gekommen ist, wird weiterhin keinen Einblick bekommen – obwohl gerade dies meist die interessanteste Frage sein wird.

Hinzu kommt ein ebenso einmaliger Umgang mit Gebühren, die Bürgerinnen und Bürgern für die Bearbeitung ihres Transparenzbegehrens in Rechnung gestellt werden können. Während diese nahezu überall in Deutschland bei 500 Euro gedeckelt sind, fangen sie in Sachsen überhaupt erst bei 600 Euro an. Kleinere Anfragen, die weniger Kosten verursachen würden, sollen gratis bleiben. Allerdings reichen bereits drei Arbeitsstunden eines Beamten, um die Grenze zu überschreiten. Zwar muss die Behörde bei möglichen Gebühren vorwarnen und die Möglichkeit geben, den Antrag zurückzuziehen. Zugleich wirken diese drohenden Summen vor allem abschreckend.

Verteidigung des Herrschaftswissens

Diesen theoretischen Unterbau nutzen sächsische Behörden vehement, um Anfragen abzulehnen und ihr Herrschaftswissen zu verteidigen – zuweilen so vehement, dass es absurd wird. So erklärte mir das Innenministerium kurzerhand, es sei »Kommunikation innerhalb einer Behörde«, wenn es sich mit der Stadt Leipzig austauscht. Die Staatskanzlei schrieb, dass Ministerpräsident Kretschmer nicht in seiner Rolle als Ministerpräsident aus einem Wirtschaftsverband mit AfD-Politikern ausgetreten sei – der Spiegel titelte damals »Sachsens Ministerpräsident Kretschmer verlässt Wirtschaftsverband« –, sondern als einfacher Landtagsabgeordneter. Deshalb gebe es in der Behörde auch keine Unterlagen dazu, die man herausgeben müsse. Auf eine Anfrage nach der Akte »Umsetzung Transparenzgesetz – Bürgeranfragen« bekam ich die eingangs geschilderten 180 geschwärzten Seiten. Ausgedruckt und amtlich zugestellt in gelbem Umschlag. Lediglich meine eigene Anfrage nach dieser Akte, die ebenfalls Teil des Ordners war, wurde nicht zensiert.

Erste positive Erfahrungen

Aber es gibt auch erste positive Erfahrungen. Das wohl prominenteste Beispiel, das auch bundesweit beachtet wurde: Die Polizei Leipzig gab auf Anfrage ihre Einsatzprotokolle zum sogenannten Tag X im Juni 2023 heraus. Zwar brauchte es dafür erst einen Widerspruch gegen die erste Ablehnung und insgesamt dauerte es mehr als ein halbes Jahr statt der im Gesetz festgeschriebenen Bearbeitungszeit von vier Wochen. Doch am Ende war ein genauerer Einblick in den stellenweise chaotischen Polizeieinsatz möglich, bei dem mehr als 1.200 Menschen über Stunden hinweg in der Südvorstadt eingekesselt wurden. Mittlerweile gibt die Leipziger Polizei ähnliche Unterlagen, etwa die Einsatzprotokolle zu Demonstrationen oder dem Polizeieinsatz am Connewitzer Kreuz in der Silvesternacht 2020, auch ohne Widerspruch heraus – und meine Anträge werden seitdem vom Polizeipräsidenten persönlich bearbeitet.

Keine Antwort ist auch eine Antwort

Zudem zeigt die Erfahrung, dass sich mit dem Transparenzgesetz auch herausfinden lässt, worüber Behörden gar nicht so viel wissen, wie sie vorgeben. So können selbst abgelehnte Anfragen einen kleinen Erfolg bieten. Besonders deutlich zeigte sich das bei der Debatte um stationäre Kontrollen an der sächsisch-polnischen Grenze, wie sie von Innenminister Schuster zeitweise bei jeder Gelegenheit gefordert wurden. Meine Anfrage nach Gutachten, Studien und Berichten zu dem Thema lehnte das Innenministerium ab, weil es dort keine entsprechenden Unterlagen gebe und diese auch nirgendwo sonst für den Minister bereitgehalten würden. Zudem wies es darauf hin, dass es sich um eine Frage handele, die Aufgabe der Bundespolizei sei und somit nicht in die Zuständigkeit Sachsens falle. Mit anderen Worten: Das Ministerium räumte ein, dass der Innenminister zu seiner liebsten Forderung weder fundiertes Wissen hat noch überhaupt dafür zuständig ist.

Wer jetzt auf den zarten Hauch des Transparenzgeschmacks gekommen ist, kann sich recht einfach daran versuchen. Anträge nach dem Transparenzgesetz brauchen keine spezielle Form und können einfach als E-Mail an die jeweilige Behörde geschickt werden. Lediglich Name, Anschrift und die gewünschten Unterlagen sollten klar genannt werden. Eine Begründung ist nicht nötig. Behörden müssen zudem bei der Antragstellung unterstützen und sie müssen auf ihrer Website prominent darauf hinweisen, dass sie transparenzpflichtig sind. Hilfe bei solchen Anträgen gibt das kostenfreie und gemeinnützige Portal Frag den Staat.

 

> Transparenzhinweis: Aiko Kempen ist investigativer Journalist und seit 2022 im Recherche-Team von Frag den Staat. Er recherchiert seit Jahren zu den Themen Polizei und Rechtsextremismus. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an ihn als Online-Redakteur beim kreuzer.


Kommentieren


0 Kommentar(e)