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Kultur

Zum Kuckuck

Der gebürtige Leipziger Tilman Singer über seinen zweiten Spielfilm »Cuckoo« und die Leidenschaft fürs Horrorgenre

  Zum Kuckuck | Der gebürtige Leipziger Tilman Singer über seinen zweiten Spielfilm »Cuckoo« und die Leidenschaft fürs Horrorgenre  Foto: Felix Dickinson

Grüne Wälder, sonnige Wiesen, dazu das Alpenpanorama: »Cuckoo« spielt selbstbewusst mit Klischees. »Es geht auch ein wenig darum, wie der Rest der Welt sich Deutschland vorstellt«, sagt Regisseur und Autor Tilman Singer im kreuzer-Gespräch. »Alles ist Bayern, ein bisschen märchenhaft, viele Berge.«

In dieser Postkartenkitschidylle kommt die 17-jährige Gretchen an. Widerwillig zieht sie mit ihrem Vater und der Stiefmutter aus ihrer US-amerikanischen Heimat in die niederbayrische Provinz. Ihr Vater soll hier einen Erweiterungsbau überwachen. Das Feriendomizil in der Nachsaison ist verwaist. In der Ödnis und Langeweile ist Gretchen allein mit der Trauer über den Verlust ihrer kürzlich verstorbenen Mutter. Nur Herr König, der Hausherr, zeigt ein seltsames Interesse an der Heranwachsenden und ihrer kleinen Schwester. Er besorgt Gretchen einen Job am Empfang des Hotels. Hier wird sie schon bald Zeugin seltsamer nächtlicher Ereignisse und macht sich daran, dem Geheimnis des scheinbar friedlichen Resorts auf den Grund zu gehen.

Tilman Singer war als Kind schon begeistert von den Horrorgeschichten seiner Oma. Später experimentierte er mit Stop-Motion-Animation und Fotografie und kam so zur Kunsthochschule in Köln. Seine Begeisterung fürs Set-Design, die er dort entdeckte, wird in der atmosphärischen Kunstwelt sichtbar, die er für »Cuckoo« kreierte.

Seit »Luz«, seinem vielbeachteten Abschlussfilm, fühlt sich Singer im Genre sichtlich wohl. »Der Horrorfilm ermöglicht es mir, schnell irgendwo hinzukommen und mit den Erwartungen des Publikums zu spielen«, erklärt er. Sich durch die Filmgeschichte zu zitieren, gehört für ihn dazu. »Es gibt keine wirkliche Blaupause für den Film, aber natürlich funktioniert der kreative Prozess so, dass man sich durch andere Filme inspirieren lässt.« Dazu zählt etwa eine Vorliebe für den italienischen Horrorstil des Giallo. »Mir gefällt die Lust am Ausprobieren, expressionistisch mit der Kamera umzugehen.«

Die Inspiration zu »Cuckoo« kam allerdings durch eine BBC-Dokumentation, in welcher David Attenborough über den Kuckuck referiert. Singer war fasziniert. »Ich habe wochenlang über diesen Film nachgedacht und darüber, wie ich das jetzt auf Menschen projizieren kann.« Das Drehbuch hatte er nach rund vier Monaten fertig. Schließlich fand er mit dem US-Indie Neon, der neben den letzten fünf Cannes-Gewinnern auch Horrorhits wie »Immaculate« in die Kinos gebracht hat, einen kreativen Partner und Geldgeber. »Neon gab uns große kreative Freiheiten. Es war ihnen wichtig, dass das, was einzigartig und besonders ist an dem Film, auch erhalten bleibt.«

Die Rolle der Gretchen übernahm Hunter Schaefer, die durch ihre Rolle in der Serie »Euphoria« bekannt wurde und auch als Model arbeitet. Beim Dreh begeisterte ihn ihre entspannte Professionalität vor allem in den emotionalen Szenen, so Singer. Ihr gegenüber steht Dan Stevens als Herr König, der seine Deutschkenntnisse schon in Maria Schraders »Ich bin dein Mensch« unter Beweis stellte.

Den Drehort fand man auf einem stillgelegten Gelände der Royal Airforce an der Grenze zu Belgien. »Das war praktisch eine Kleinstadt, in der wir uns richtig zu Hause gefühlt haben.« Hier begeisterte Singer auch die Hotellobby, die für ihn den Vibe von »The Shining« ausstrahlte. Diese Atmosphäre ist im Film spürbar, den Singer im 35-Millimeter-Format drehte. Er arbeitete viel mit Atmosphäre, Sound und Sets. Die Geschichte dreht zunehmend frei und findet zu einer irrwitzigen Klimax. Auf der Berlinale und beim Sundance Filmfestival wurde »Cuckoo« dafür gefeiert.

Seinen neuen Stoff nach »Cuckoo« entwickelt Singer erneut für ein internationales Publikum. »Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass ich mich im positiven Sinne nie so richtig zugehörig gefühlt habe«, erklärt der Regisseur. Geboren wurde Tilman Singer in Leipzig, aufgewachsen ist er allerdings in Köln. »Als ich ein Jahr alt war, ist meine Familie in den Westen geflohen. Das war kurz vor dem Mauerfall. Aber meine restliche Familie war noch in Leipzig und meine Eltern leben zwischenzeitlich auch wieder dort. Wenn ich dort bin, hab ich immer das Gefühl: Das ist die Heimat. Auch wenn mir das natürlich von meinen Eltern suggeriert wurde.« Heute wohnt Singer in Berlin, ein Stück näher an seinem Geburtsort. »Nachdem wir uns von Nordrhein-Westfalen verabschiedet haben, sind wir jetzt wieder eine Ostfamilie.«

Verraten, worum es in seinem neuen Projekt geht, will er allerdings noch nicht. Dafür ist er zu abergläubisch. »Aber wenn man sich meine bisherigen Filme anschaut, ergibt der neue Stoff glaube ich Sinn. Er bewegt sich ein wenig vom Horrorfilm weg, in eine Thriller-Richtung.« Handlungsort ist der Nordwesten der USA. Wo Singer schließlich drehen wird, steht noch nicht fest.


> »Cuckoo«: ab 29.8., Passage-Kinos, Regina Palast


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