anzeige
anzeige
Stadtleben

Unerwiderte Liebe?

Das erste Mal in ihrer Geschichte wird die Leipziger Messe bestreikt

  Unerwiderte Liebe? | Das erste Mal in ihrer Geschichte wird die Leipziger Messe bestreikt  Foto: Maika Schmitt

Aus den Lautsprechern dröhnen die Backstreet Boys, um kurz vor neun sorgt die Nachricht, dass es nun Essen und Kaffee gibt für fröhliche Gesichter. Die neongelben Warnwesten mit Verdi-Logo zeigen aber, um was es an diesem Dienstagmorgen auf dem Messegelände wirklich geht: es wird gestreikt. Etwa hundert Menschen haben sich versammelt. Es ist ein historischer Tag, denn es ist das erste Mal, dass die Leipziger Messe bestreikt wird. Grund sind die Tarifverhandlungen, die am 3. September in die nächste Runde gehen.

Es sind drei Punkte, die in Sprechbeiträgen und Interviews immer wieder als Gründe genannt werden, warum ein neuer Tarifvertrag nötig ist: die hohe Kündigungsrate, die fehlende Wertschätzung und das niedrige Gehalt. 2022 haben die Mitarbeitenden der Messe ihren ersten Tarifvertrag überhaupt bekommen. Doch der habe viele traurig und sprachlos zurückgelassen, sagt IT-Mitarbeiter Rico Mücke in seinem Redebeitrag. Deshalb sei nun der Zeitpunkt gekommen, nachzuverhandeln und der Streik die einzige Möglichkeit, einen konstruktiven Austausch auf Augenhöhe zu schaffen. »Es ist für mich keine Option, das Unternehmen zu verlassen, nur weil ich meinen Lebensstandard halten möchte«, sagt Mücke, der seit seiner Ausbildung an der Messe arbeitet. »Wir wollen klar symbolisieren, dass wir unsere Lieblingsmesse mitgestalten wollen«. Umso unverständlicher sei die Haltung der Geschäftsführung, die einen Inflationsausgleich ablehne.

Denn das ist es, was die Mitarbeitenden derzeit fordern: Eine Erhöhung der Tabellenentgelte um 650 Euro im Monat bei einer Laufzeit von 12 Monaten und die Einführung von Urlaubsgeld und Zulagen bei der Übernahme zusätzlicher Tätigkeiten. Was erst einmal viel klingt, wird in den Redebeiträgen eingeordnet: eine Mitarbeiterin berichtet, dass sie ihr Fahrrad nicht reparieren lassen könne. Eine andere, dass sie für zusätzliche Ausgaben wie zahnärztliche Behandlungen ihre Mutter nach Geld fragen müsse – ausgelernt und mit einer Vollzeitstelle. »Moderat« nennt deshalb Lena Kirschenmann von Verdi die Forderungen. »Betriebswirtschaftlich in keiner Weise darstellbar«, heißt es dagegen in der Pressemitteilung der Messe. Und weiter: »Die Höhe der Forderung genauso wie der völlig unnötige Streik erwecken den Anschein, als ob man sich gar nicht einigen möchte«. Man habe den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein »sehr gutes Angebot gemacht«, dass die Monatsgehälter um durchschnittlich 13,1 Prozent steigern würde.

Dass es den Mitarbeitenden nicht nur um Geld geht, wird in Gesprächen deutlich. Immer wieder fällt das Wort »Wertschätzung«. Diese bekämen sie im Moment weder durch ihr Gehalt noch durch Gesten. Martina Richter arbeitet seit zehn Jahren für die Messe, sitzt im Betriebsrat. Der Job sei immer ihr großer Traum gewesen. Aber inzwischen: Große Erfolge würden von den Vorgesetzten nicht mal erwähnt werden, erzählt sie, geschweige denn gefeiert. Verständlich sei es dann, dass viele junge Menschen schnell wieder kündigen würden, wenn zusätzlich das Gehalt nicht stimmt. »Viele bekommen nicht mal einen Rentenpunkt pro Jahr«.

Am Abend soll in der Kongresshalle am Zoo der Geschäftsbericht der Messe von 2023 vorgestellt werden. Die Messemitarbeitenden werden deshalb ab 17 Uhr ihren Streik vor den Zoo verlegen, um auch dort auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. 


Kommentieren


0 Kommentar(e)