Weil sie nicht das »Potenzial« habe, die Demokratie in Deutschland zu beseitigen, wies das Bundesverfassungsgericht 2017 den Antrag auf ein zweites Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD (heute: Die Heimat) ab – das erste war 2003 aus »Verfahrensgründen« eingestellt worden. Die ebenfalls rechtsextreme AfD hat nun in Ostdeutschland Volksparteicharakter. Wir sprachen mit Bijan Moini über ein mögliches Verbot der Partei. Moini ist Jurist und Legal Director der Gesellschaft für Freiheitsrechte, ein Verein, der sich juristisch für Grund- und Menschenrechte einsetzt. Uns erklärt er, warum er ein Verbotsverfahren gegen die AfD nicht für undemokratisch hält und warum er trotzdem dagegen ist.
In Sachsen sitzt eine vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei im Landtag. Macht Ihnen das Sorgen?
Mir macht das große Gewicht, das die Partei jetzt im Landtag hat, große Sorgen. Der Diskurs hat sich in den letzten Jahren extrem nach rechts verschoben und damit auch die politischen Mehrheiten. Auch wenn die AfD davon noch nicht unmittelbar profitiert: Umso größer sie wird, desto schwieriger wird es, funktionale Regierungen gegen sie zu bilden. Und desto größer wird natürlich auch die Versuchung, eine Regierung mit ihr zu bilden. Spätestens wenn das passiert ist, drohen einige der klar rechtsextremen Positionen, die in der Partei vertreten werden, Politik zu werden.
Die AfD in Sachsen wird als gesichert rechtsextrem eingestuft, ein Verbot gibt es trotzdem nicht. Wie erklärt sich das?
Das liegt zunächst daran, dass die Einstufung von einer Behörde stammt, dem Landesamt für Verfassungsschutz, aber nur das Bundesverfassungsgericht eine Partei verbieten kann. Außerdem verfolgen die Einstufung als rechtsextrem und das Verbot einer Partei unterschiedliche Zwecke. Der Verfassungsschutz hat in erster Linie die Aufgabe, Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung aufzuklären. Ein Parteiverbotsverfahren hingegen hat den Zweck, eine Partei aufzulösen. Dadurch soll verhindert werden, dass extremistische Parteien Regierungsgewalt erhalten.
Sind die Hürden für ein Verbot höher?
Für ein Parteiverbot muss über die gesichert extremistische Einstellung hinaus nachgewiesen werden, dass die Partei darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Jenseits der Einstellungen, die in der Partei vertreten sind, muss also auch ein planvolles Vorgehen nachgewiesen werden und zumindest die Möglichkeit bestehen, dass die Partei ihre Pläne umsetzen kann. Diese beiden Elemente braucht man für die Einstufung als gesichert rechtsextrem nicht.
Wenn das Verbotsverfahren scheitern sollte, was würde das bedeuten? Dass die AfD nicht gefährlich ist?
Das kommt auf die Gründe für das Scheitern an. Sollte es daran scheitern, dass das Bundesverfassungsgericht der Partei nicht nachweisen kann, dass sie verfassungswidrig ist, dann heißt das nicht unbedingt, dass sie nicht gefährlich ist. Das könnte auch einfach nur heißen, dass sie ihre wahren Ziele gut genug verbirgt. Das kann man sich vorstellen wie in einem Strafverfahren. Da erhält die Staatsanwaltschaft die Anklage und das Gericht entscheidet dann, ob diese Anklage überhaupt zugelassen wird, weil sie hinreichend begründet erscheint. Wenn das Parteiverbotsverfahren schon an dieser Hürde scheitern sollte, könnte es schnell erneut in Gang gesetzt werden.
Und wenn einmal in der Sache entschieden wurde?
Wenn es eine Verhandlung gab und das Gericht sich das im Detail angeguckt hat, dann kann man einen neuen Antrag nur stellen, indem man ihn auf neue Erkenntnisse stützt. Das ist eine hohe prozessuale Hürde, ein neuer Antrag wäre also schwierig. Ganz abgesehen davon, dass das politische Kapital, so was zu tun, nach einem Versuch auf absehbare Zeit aufgebraucht wäre. Der erste Schuss muss also sitzen.
Was wären denn Alternativen zu einem Verbotsverfahren?
Ich wünsche mir mehr politische Gegenwehr durch die demokratischen Parteien. Das heißt, AfD-Positionen nicht hinterherzulaufen und die Partei nicht zu imitieren. Das ist in der Sache falsch und es gewinnt politisch nur die AfD selbst. Die Zivilgesellschaft ist natürlich auch gefragt. Ein Verbotsverfahren ersetzt das alles überhaupt nicht, im Gegenteil. Wenn man ein Verbotsverfahren betreibt, müssen Parteien und Zivilgesellschaft erst recht gegen die Partei arbeiten. Denn sie machen sich ja auch unglaubwürdig, wenn sie die Hände in den Schoß legen und einfach alles dem Bundesverfassungsgericht überlassen.
Was ist mit der Ebene der Vorsorge? Es gibt Bestrebungen, das Bundesverfassungsgericht besser vor Extremisten zu schützen.
Für das Bundesverfassungsgericht gibt es noch immer Regeln, die sich schon mit einer einfachen Mehrheit verändern ließen, gerade, was seine Zusammensetzung und Entscheidungsbefugnisse angeht. Im Moment wird angestrebt, zentrale Punkte wie Kompetenzen und Verfahrensvorschriften in das Grundgesetz zu übernehmen. Das hätte zur Folge, dass diese Rahmenbedingungen nur noch mit Zweidrittel-Mehrheiten geändert werden könnten. Dadurch wäre es für eine AfD-Regierung praktisch unmöglich, sie nach einer Regierungsübernahme zu ändern und zumindest die gerichtliche Kontrolle wäre gesichert. Es mag ein bisschen deprimierend klingen, Vorsorge zu betreiben, sie ist bitter nötig.
Wie gehen Sie persönlich mit dem Widerspruch um, den Eindruck zu haben, die AfD ist gefährlich für die Demokratie, der Nachweis dafür aber rechtlich bisher nicht hinlänglich erbracht wurde?
Als Jurist kann ich das aushalten. Wenn man jemandem etwas nicht nachweisen kann, dann darf man auch kein entsprechendes Urteil fällen. Davon bin ich fest überzeugt. Als Privatmensch fällt mir das natürlich schwerer, weil ich das Gefühl habe, dass da eine große Gefahr auf uns zurollt und ich mir wünschen würde, dass man alle Instrumente, die es gibt, dagegen in Stellung bringt. Aber letztlich überwiegt meine Überzeugung für den Rechtsstaat. Ein Parteiverbot steht zurecht vor hohen Hürden. Wenn wir die einfach reißen, statt sie zu überspringen, könnte das Recht sehr schnell gegen uns verwendet werden und das kann keiner wollen.
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