Die Zeiten für Freunde des abwegigen Films sind gut: Das UT Connewitz präsentiert am 4.10. ein Gegenkino-Doppel mit »Café Flesh« und »Dr. Caligari« – zweimal US-Porno-Trash vom Feinsten. Für Freunde der Yakuza-Action hat das Luru-Kino am Wochenende »Tokyo Drifter« zu bieten, ein echtes Juwel unter den Massenproduktionen des japanischen Yakuzafilms der sechziger Jahre. Und die Schaubühne zeigt am 2.10. den surrealistischen »Tausendschönchen«, einer der zentralen Filme der Tschechoslowakischen Neuen Welle.
Film der Woche: Eine Baustelle und ein Film haben viel gemeinsam: Beide brauchen viel Material und Arbeiter, langsam entsteht etwas Anschauliches – und ist hoffentlich nicht nur Fassade. Doch das Aufrechterhalten von Letzterer ist in dem Kinofilm »Rohbau« die große Aufgabe von Peter Schneider.
Der Leipziger Mime ist eher bekannt für seine Nebenrollen in »Als wir träumten«, »Gundermann« oder der deutschen Netflix-Erfolgsserie »Dark«. In Tuna Kaptans Werk aber darf der Mann mit dem Allerweltsnamen mal wieder in die erste Reihe. Als Bauleiter Dietrich Lutz verantwortet er darin eine Großbaustelle – und somit auch einen tödlichen Unfall eines illegalen albanischen Arbeiters, den er vertuscht. Als bald Irsa (Angjela Prenci), die Tochter des Toten, auftaucht und hartnäckig nach ihrem vermissten Vater sucht, muss der einsame Wolf, der die Billiglöhner bei Nacht und Nebel angeheuert hat, mit seinem Gewissen ringen und eine moralisch saubere Fassade aufrechterhalten. Nach und nach vertrauen sich die beiden und starten schließlich sogar einen (Zwangs-)Roadtrip, der das unwissend verwaiste Mädchen zu ihrer Oma nach Albanien bringen soll. Doch während die Teenagerin in Lutz eine Chance auf Hilfe und später sogar einen Freund sieht, ist sie für ihn steter Ballast auf seiner Seele und eine Bedrohung für seine Karriere.
Denn ein weiteres Sujet und eine Parallele zwischen den beiden Figuren ist der Kampf gegen Hierarchien und um sozialen Aufstieg: Irsa, als illegales ausländisches Mädchen ohne Obdach quasi fast am Ende der gesellschaftlichen Nahrungskette, spricht hervorragend Englisch und will Chirurgin werden und Lutz, dessen Firma insolvent und Ehe in die Brüche ging, der sich unterwürfig sowohl mit seinem Vorgesetzten und dem Zoll rumschlagen als auch um die Gunst von Investoren für einen Auftrag buhlen muss. Als die beiden schließlich in Albanien landen, verkehren sich nach einer Autopanne die Rollen plötzlich: Nun braucht der in sich gekehrte Mann Hilfe von Irsa.
Das changierende emotionale Tauziehen zwischen den beiden ungleichen Charakteren trägt das knapp 90-minütige Drama, das nebenbei die problematischen Zustände und die gegenseitigen Abhängigkeiten in der Baubranche aufzeigt – und nicht nur die zwischen Hilfskräften und Bau-Managern, sondern auch zur obersten Etage der Finanziers. Einziger Baumangel des Films ist das allzu abrupte Ende.
Regisseur Kaptan erklärt seine Motivation: »Was mich im Kern an der Geschichte von ›Rohbau‹ faszinierte, war die Frage, wie ein deutscher Bauleiter mit seiner Verantwortung gegenüber einem albanischen Mädchen umgeht. Lutz, ein Außenseiter aus der ehemaligen DDR, strebt danach, in diesem System westdeutscher Bauherren und Immobilienfinanziers Anerkennung zu finden.« Bereits in seinen Dokumentarfilmen »Nacht Grenze Morgen« sowie »Schildkröten Panzer« hat sich Kaptan den Themen Flucht und Migration angenommen. »Rohbau« ist der erste lange Spielfilm des deutsch-türkischen Regisseurs und erhielt den Förderpreis Neues Deutsches Kino bei den Hofer Filmtagen und beim diesjährigen Neiße-Filmfestival den Publikumspreis.
Karoline Henkel, Jasper Philipp Mielke und Arto Sebastian, die Produzenten von Wood Water Films, sagen: »Ob durch szenisch-dokumentarische Mischformen, harten Realismus oder eine poetische Bildsprache: Wir wollen nicht nur die Schönheit des Lebens in Bilder bannen, sondern auch Missstände aufzeigen und uns den Geschichten widmen, die die Tiefen und auch Abgründe der menschlichen Seele widerspiegeln.«
Peter Schneider agiert dabei meist mit zurückhaltender Akkuratesse, um im passenden Moment sanft zu eskalieren. Die Kunst der Zwischentöne beherrscht der in Zeitz Aufgewachsene übrigens nicht nur visuell, sondern auch musikalisch: Vor seinem Schauspielstudium an der HMT studierte er ebenfalls dort Klarinette und Saxophon und wirkt seitdem auch als musikalischer Leiter, Komponist und Musiker in den Bands »Ground Control« und »Saitlinge Singers«.
Regisseur Kaptan arbeitet schon an weiteren konfliktträchtigen Projekten: In »Ishaq« geht es um eine Großmutter, die ihren Enkel aus dem Irak nach Deutschland holen möchte, denn dessen Mutter hat sich dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen. MARKUS GÄRTNER
»Rohbau«: ab 26.9., Passage-Kinos, am 27.9.,18:45 (Premiere im Rahmen von »Junges Deutsches Kino«, Regisseurin und Hauptdarsteller zu Gast)
Wahn und Obsession bestimmen das Werk von Francis Ford Coppola. Von »Apocalypse Now« (»The Horror!«) über die Pate-Trilogie bis hin zu »Bram Stoker’s Dracula« zieht sich das Thema wie ein roter Faden durch seine Filmographie. Selbst in seinem Spätwerk mit »Jugend ohne Jugend« oder dem Horrorfilm »Twixt« verfallen sie ihr. Demnach sollte »Megalopolis», dem Coppola nahezu seine gesamte zweite Lebenshälfte opferte, wohl in jeder Hinsicht sein Opus Magnum werden – und ist es in gewisser Hinsicht auch geworden.
Cesar Catilina, den Adam Driver als enigmatischen Einzelgänger verkörpert, ist ein Getriebener. Seine Vision, die Metropole New Rome im Licht der Zukunft erstrahlen zu lassen, ist sein einziger Antrieb. Das Megalon, eine von ihm entwickelte, revolutionäre Baufaser, sein Werkzeug. Doch der Widerstand ist groß. Bürgermeister Cicero (Giancarlo Esposito) hat sich Cesar als Erzfeind erkoren, seit er ihm als Staatsanwalt im Gerichtssaal gegenüberstand. Cesar sollte Schuld am tragischen Tod seiner Frau gewesen sein. Er wurde freigesprochen, auch aufgrund des mächtigen Einflusses seiner Familie. Doch der Geist der Verstorbenen lässt ihn nicht los.
Während Cesar seine Vision verfolgt, heiratet der betagte aber immer noch einflussreiche Patriarch Hamilton Crassus III (John Voigt) die machtgierige Wow Platinum (Aubrey Plaza), die ebenso wie Cesars Cousin Clodio Pulcher (Shia LaBeouf) einen Plot zur Machtübernahme schmiedet.
Soweit also ein Intrigantenstadel wie er aus den Überlieferungen des alten Rom stammen könnte. Coppolas Version ist all das und viel zu viel mehr. Die Schlagzahl der auftretenden Figuren ist ebenso hoch wie die an bekannten Mimen. Die computergenerierten Effekte, die diese dystopische Welt zum Leben erwecken sollen, sind überbordend. Zahlreiche Elemente verwirren, ganze Szenen sind überflüssig, die ausladenden Dialoge unbeholfen – es ist als hätte Coppola Angesichts des letzten Vorhangs alles in einen Topf geworfen und zentimeterdick auf die Leinwand gekleistert. Was dabei herauskam, ist alles andere als gut und macht über weite Strecken schlicht überhaupt keinen Sinn. Eine gewisse Faszination kann man dem überlangen Werk aber keineswegs abstreiten.
»Megalopolis«: ab 26.9., Cineplex, CineStar, Passage-Kinos, Regina-Palast
Weitere Filmtermine der Woche
Alles andere zeigt die Zeit
D 2015, Dok, R: Andreas Voigt
Letzter Teil des Leipzig-Zyklus: 25 Jahre nach »Leipzig im Herbst« besucht Andreas Voigt einige seiner Protagonisten.
Alte Handelsbörse, 27.09. 18:00 (mit Regiegespräch, Umbruch hautnah − Leipzig in Filmen der 90er)
The Limits of Control
F/USA 2005, R: Jim Jarmusch, D: Isaach De Bankolé, Bill Murray, Tilda Swinton, 111 min
Ein geheimnisvoller Fremder mit einem Auftrag reist in Spanien umher. Allerhand mysteriöse Gestalten übermitteln ihm auf verschiedenen Stationen rätselhafte Botschaften, die ihm helfen sollen, den Auftrag auszuführen – nur, was ist eigentlich der Auftrag?
Schaubühne Lindenfels, 29.09. 19:30 (OmU)
Tokyo Drifter
J 1966, R: Seijun Suzuki, D: Tetsuya Watari, Eiji Go, Tamio Kawaji, 82 min
Knallbunter, schräger Gangsterfilm-Klassiker von Seijun Suzuki, der seine Geschichte des moralischen Konflikts zwischen Ehre und Überleben in einer Zwischenwelt des Künstlichen einfängt. Seine gewagten Farbkompositionen und Einstellungen machen »Tokyo Drifter« zu einem echten Juwel unter den Massenproduktionen des japanischen Yakuzafilms der sechziger Jahre.
Luru-Kino in der Spinnerei, 27.09. 21:00 (OmU), 29.09. 19:00 (OmU)
Unsere Kinder
DDR 1989, Dok, R: Roland Steiner, 88 min
Porträt der Skinheads, Anti-Skins, Punks und Grufties in der DDR.
Cinémathèque in der Nato, 01.10. 19:30 (mit Einführung)
Westwind
HUN/D 2011, R: Robert Thalheim, D: Friederike Becht, Luise Heyer, Franz Dinda, 90 min
Die 17-jährigen Zwillinge Doreen und Isabel sind ambitionierte Leistungssportlerinnen aus der DDR. Ein Jahr vor der Wende dürfen sie ihr kleines Heimatdorf verlassen und ins sozialistische Ausland. Dort verliebt sich Doreen und stellt sich die Frage, ob sie zurückwill.
Passage-Kinos, 03.10. 11:30 (Matinée-Spezial zum Tag der Deutschen Einheit)
West Side Story (1961)
USA 1961, R: Robert Wise, Jerome Robbins, D: Natalie Wood, Richard Beymer, George Chakiris, 153 min
Shakespeares »Romeo und Julia« – als Musical im New York der 1950er Jahre: Klassiker nach dem Bühnenstück von Jerome Robbins.
Passage-Kinos, 29.09. 20:00 (Passagen-Werke, OmU)
Nosferatu. Eine Sinfonie des Grauens
D 1922, R: F. W. Murnau, D: Max Schreck, Greta Schroeder, Gustav von Wangenheim, 94 min
Murnaus Klassiker des Vampirfilms, nach einer Geschichte von Bram Stoker, erhält in diesem Jahr eine Neuauflage von »The Lighthouse«-Regisseur Robert Eggers.
Budde-Haus, 28.09. 18:00
Interstellar
USA 2014, R: Christopher Nolan, D: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Michael Caine, 169 min
Weil die Erde durch den Klimawandel bald unbewohnbar sein wird, bricht eine Raumschiffcrew auf, um nach Planeten zu suchen, die der Menschheit ein neues Zuhause bieten könnten. Vielschichtiger und brillanter Science-Fiction-Film von Christopher Nolan.
Cinestar, 26.09. 20:00
Frauen in Landschaften
D 2023, Dok, R: Sabine Michel, 87 min
Vier Frauen in der Politik, in Führungspositionen. Vier Frauen mit ostdeutscher Vergangenheit.
Budde-Haus, 29.09. 16:00 (mit Regiegespräch)
Architecton
D/F 2023, Dok, R: Victor Kossakovsky, 98 min
Der russische Regisseur Victor Kossakovsky präsentiert einen bildgewaltigen, poetischen Dokumentarfilm über Beton – einen Baustoff, der uns alle umgibt.
Passage-Kinos, 02.10. 18:45 (Premiere in Anwesenheit des Regisseurs)
Aretha Franklin: Amazing Grace
USA 2018, Dok, R: Alan Elliott, Sydney Pollack, 89 min
1972 zeichnete Regisseur Sydney Pollack ein Konzert der legendären Aretha Franklin in einer Kirche in Los Angeles auf, das Jahrzehnte später das Licht der Leinwand erblickt.
Passage-Kinos, 01.10. 18:45 (zum Weltmusiktag)
Blue Jean
GB 2022, R: Georgia Oakley, D: Rosy McEwen, Kerrie Hayes, Deka Walmsley, 97 min
Jean ist Sportlehrerin an einer Mädchenschule und setzt sich für ihre Schülerinnen ein. Sie ist zudem lesbisch, taucht nach Feierabend tief in die Szene und ihre geheimen Clubs ein. Doch diese Kombination geht im Großbritannien des Jahres 1988 nicht zusammen.
Ost-Passage-Theater, 02.10. 20:00 (OmU)
Café Flesh
USA 1982, R: Steven Sayadian, D: Andrew Nichols, Paul McGibboney, Michelle Bauer, 73 min
Pornofilm mit New-Wave-Ästhetik der 1980er Jahre.
UT Connewitz, 04.10. 20:00 (Gegenkino, OmeU)
Dr. Caligari
USA 1989, R: Stephen Sayadian, 80 min
US-Avantgarde-Horror-Erotikfilm als Fortsetzung von Robert Wienes Horrorklassiker.
UT Connewitz, 04.10. 22:00 (Gegenkino, OmeU)
Element of Crime in Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin neu
D 2024, R: Charly Hübner, 90 min
Regisseur Charly Hübner begleitet die Band Element of Crime im Sommer 2023 auf einer einwöchigen Tournee durch Berlin und einem Streifzug durch die Bandgeschichte.
Kinobar Prager Frühling, 01.10. 18:00 (Preview)
Regina-Palast, 01.10. 19:30 (Preview)
Schauburg, 01.10. 19:45 (Preview)
Passage-Kinos, 01.10. 20:30 (zum Weltmusiktag, mit einer Flasche Ur Krostitzer und digitaler Fragestunde mit Regisseur Charly Hübner, Preview)
Die Kinder aus Korntal
D 2023, Dok, R: Julia Charakte, 90 min
Die sensible Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in einem evangelikalen Kinderheim in Baden-Württemberg. Aussagen der Opfer werden mit beschämenden Relativierungen der Kirche konfrontiert.
Schauburg, 29.09. 19:00, 30.09. 17:30
Joker Double-Feature
Todd Phillips’ Kinohit von 2019 und die frische Fortsetzung im diabolischen Doppel.
Passage-Kinos, 02.10. 18:00 (mit Einführung, OmU, Retrospektive Joaquin Phoenix)
Cineplex, 02.10. 19:00
Cinestar, 02.10. 19:45
Look Back
J 2024, R: Kiyotaka Oshiyama, 57 min
Anime über die selbstbewusste Fujino und die verschlossene Kyomoto und ihre Liebe zum Manga-Zeichnen.
Cineplex, 01.10. 18:00 (OmU)
Cinestar, 01.10. 20:00 (OmU)
Tausendschönchen / Sedmirkrásky
CZ 1966, R: Věra Chytilová, D: Jitka Cerhová, Ivana Karbanová, Julius Albert, Jan Klusák, Marie Češková, 76 min
Der surrealistische Spielfilm ist einer der zentralen Filme der Tschechoslowakischen Neuen Welle.
Schaubühne Lindenfels, 02.10. 19:30 (im Rahmen von »Concert & Film Vol. 2«)