Seit zwei Jahren lädt die AG Psychiatrie und Gesellschaft der Uni Leipzig zu einer Filmreihe mit anschließendem Gespräch im Luru-Kino in der Spinnerei. Gezeigt werden Klassiker des »Drogenfilms«. Zur diesjährigen Woche für Seelische Gesundheit gibt es Terry Gilliams Adaption von Hunter S. Thompsons » Fear and Loathing in Las Vegas«. In den Abend leiten die Drug Scouts. ein szenenahes, stadtweit arbeitendes Drogen-Info-Projekt greifbare Aufklärungsarbeit leistet und ebenso wie die Veranstaltungsreihe zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen und Drogenkonsum beitragen will.
»Fear and Loathing in Las Vegas«: Luru-Kino in der Spinnerei, 10.10. 19 Uhr
Film der Woche: Sylvia fühlt sich unwohl. Das ist ihr ins Gesicht geschrieben. Das Verhältnis der alleinerziehenden Mutter zu ihrer Teenagertochter ist schwierig. Sylvias Ängste stehen ihr im Weg. Ihren Alltag in einer Pflegeeinrichtung vollzieht sie mit stumpfer Routine. Als sie zu einem Highschool-Jahrgangstreffen eingeladen wird, sitzt sie teilnahmslos am Tisch. Bis sich Saul zu ihr setzt und ihr nicht mehr von der Seite weicht. Er folgt ihr nach Hause, übernachtet vor ihrer Tür. Saul ist allerdings kein aufdringlicher Stalker. Er leidet an Demenz. Zwischen den beiden entsteht eine fragile Beziehung, die Regisseur Michel Franco in seinem Drehbuch mit vielen Fallstricken versieht. Je mehr wir über die beiden Figuren und ihre Vergangenheit erfahren, desto komplexer wird die Geschichte. Traumabewältigung, Krankheit, Drogensucht – der mexikanische Regisseur von so außergewöhnlichen Filmen wie »Sundown« und »New Order«, macht es seinen Figuren ebenso wenig leicht, wie dem Publikum. Dass der Film nicht in überdramatischen Kitsch abgleitet, ist seinen Darstellenden zu verdanken. Jessica Chastain verkörpert Sylvias vielschichtigen Charakter absolut überzeugend. Peter Sarsgaard, verleiht Saul Güte aber auch Ambivalenz in Sylvias Augen. Beide glänzen durch Zurückhaltung, geben ihren Figuren und dem Gegenüber Raum. Ein eindringliches, aufrichtiges Drama mit herausragenden Schauspielleistungen.
»Memory«: ab 3.10., Passage-Kinos
Erst im Juli war Joachim A. Langs »Führer und Verführer« in den Kinos zu sehen. Nach dem Dokudrama über NS-Propagandaminister Joseph Goebbels legt der Regisseur nun ein ebenso ungewöhnliches Projekt über eine gänzlich andere, diesmal kulturhistorische und deutlich erfreulichere Persönlichkeit vor. John Cranko, leitete in den 1960ern das Stuttgarter Ballett und ließ es zu einer der bedeutendsten Kompanien der Welt avancieren, bevor er 1973 zu früh verstarb. Langs Film ist dabei ebenso Biografie wie ein Werk, das die Essenz dessen, was Tanztheater ausmacht, filmisch erlebbar machen will. Das äußert sich in Szenen, in denen Ausschnitte aus Crankos Leben von seinen Choreografien durchbrochen werden und mündet in einem Finale, in dem die noch lebenden damaligen Tänzerinnen und Tänzer gemeinsam mit ihren Filmpendants – den aktuellen Mitgliedern des Stuttgarter Balletts – Rosen vor dem Grab Crankos ablegen. Dessen Freundlichkeit, Leidenschaft und Perfektionismus, aber auch seine Suche nach Liebe macht Langs kunstbeflissene Inszenierung tatsächlich in ihren besten Momenten erfahrbar. Ein grundsätzliches Interesse an Ballett sollte das Publikum allerdings mitbringen, sonst werden einige Passagen zur zähen Angelegenheit. Cranko wird übrigens oscarreif von Sam Riley verkörpert, dem 2007 mit Anton Corbijns »Control« über Ian Curtis und dessen Punk-Rock-Band Joy Division der Karrieredurchbruch gelang und der am 6.10. zu Gast ist in den Passage-Kinos. PETER HOCH
»Cranko«: ab 3.10., Passage-Kinos, Regina-Palast
Der vielfach ausgezeichnete Regisseur Victor Kossakovsky (»¡Vivan las Antipodas!«) beweist mit seinem neuen Dokumentarfilm »Architecton«, dass die industrielle Bauweise wie der gesamte postindustrialisierte Lebenswandel unerfüllt bleiben, weil etwas Wesentliches verloren geht: die Langsamkeit. Dies jedoch mit dem Vorschlaghammer zu demonstrieren, bricht »Architecton« beinahe das Genick. Die Episoden mit Architekt Michelle De Lucchi, in denen gezeigt wird, wie der Padrone in seinem Garten unter fachkundigen Kommandos einen Steinkreis anlegen lässt, nachdem er lebenslang Hochhauser in den Himmel hat schießen lassen, haben einiges an Schauwert und versteckter Komik. Die langen Slow-Motion-Episoden, in denen gezeigt wird, wie Zement abgesprengt und verarbeitet wird, wirken am Anfang noch visuell überwältigend, erweisen sich aber mit zunehmender Länge des Films als Geduldsprobe. Zwar spielt »Architecton« überwiegend in Zementwerken, aber die Kritik an einer industriellen, schnellen Bauweise wirkt eher verkalkt. Regisseur Victor Kossakovskz ist nicht der erste, der uns daran erinnern will, zurück zur Natur zu finden. Im Kino zu erleben, dass man in einer unnatürlichen Welt lebt, ist ironisch. Die Schwarz-Weiss-Episoden bieten indes einiges an ästhetischem Erlebnis, weil sie einen Gefühlszustand verdeutlichen und keine Botschaft darüber hinaus vermitteln wollen, die man schon zu oft gehört hat. DANIEL EMMERLING
»Architecton«: ab 3.10., Passage-Kinos
Weitere Filmtermine der Woche
Café Flesh
USA 1982, R: Steven Sayadian, D: Andrew Nichols, Paul McGibboney, Michelle Bauer, 73 min
Pornofilm mit New-Wave-Ästhetik der 1980er Jahre.
UT Connewitz, 04.10. 20:00 (Gegenkino, OmeU)
Dr. Caligari
USA 1989, R: Stephen Sayadian, 80 min
US-Avantgarde-Horror-Erotikfilm als Fortsetzung von Robert Wienes Horrorklassiker.
UT Connewitz, 04.10. 22:00 (Gegenkino, OmeU)
The Limits of Control
F/USA 2005, R: Jim Jarmusch, D: Isaach De Bankolé, Bill Murray, Tilda Swinton, 111 min
Ein geheimnisvoller Fremder mit einem Auftrag reist in Spanien umher. Allerhand mysteriöse Gestalten übermitteln ihm auf verschiedenen Stationen rätselhafte Botschaften, die ihm helfen sollen, den Auftrag auszuführen – nur, was ist eigentlich der Auftrag?
Schaubühne Lindenfels, 04.10. 18:00 (OmU)
Halali und Halleluja
D 2024, Dok, R: Sebastian Mandla, 57 min
Der Film begleitet die Schauspieler*innen vom Ensemble 23 aus Leipzig bei den Proben auf der Suche nach der passenden Ausdrucksform auf der Theaterbühne zum Thema Leben und Tod.
Kinobar Prager Frühling, 05.10. 19:00 (Gespräch und Einführung, Sonderveranstaltung mit Ensemble 23)
Shorts Attack: Arbeit und Ekstase
Das kann heiter werden: Auf einer Vernissage werden Menschen inszeniert, eine Hotline-Arbeiterin will die KI austricksen und eine Frau vom Land sucht mit Huhn Arbeit in der Stadt. Das und mehr in acht Filmen in 82 Minuten.
UT Connewitz, 05.10. 20:00
Stephan Seidel: Weg / K.O.
D 2024, R: Stephan Seidel, D: Arthur Heckmann, Arite Löcher, Stefan Galler, 53 min
Doublefeature: In »Weg« verschwindet eine Frau nach einem Picknick mit ihrem Freund und einem befreundeten Paar wie vom Erdboden und in »K.O.« hecken zwei Supermarktmitarbeiter und eine Callcenter-Beschäftigte einen betrügerischen Plan aus.
Luru-Kino in der Spinnerei, 04.10. 19:00 (OmeU)
Between Revolutions
RO/QA/IR/KRO 2023, Dok, R: Vlad Petri, 69 min
Zwei Frauen, die durch politische Umwälzungen getrennt wurden, finden durch Briefe zueinander und trotzen so der Entfernung und den Wirren der Zeit.
Cinémathèque, 10.10. 19:30 (mit Gespräch, OmeU)
Die Kehraus–Trilogie
D 1990-2006, Dok, R: Gerd Kroske
Langzeitbeobachtung der Lebensläufe von Leipziger Straßenreinigern zwischen 1989 und 2006.
Alte Handelsbörse, 10.10. 18:00 (mit Regiegespräch)
Fear and Loathing in Las Vegas
USA 1989, R: Terry Gilliam, D: Johnny Depp, Benicio Del Toro, Cameron Diaz, 116 min
Nach dem Roman des Kult-Reporters und Drogen-Freaks Hunter S. Thompson, der in den siebziger Jahren den »Gonzo-Journalismus« erfand.
Luru-Kino in der Spinnerei, 10.10. 19:00 (in der Reihe Rausch und Stigma – Bilder von Sucht, Veranstaltung im Rahmen der Woche der seelischen Gesundheit)
Holy Shit
D 2023, Dok, R: Rubén Abruña, 86 min
Was geschieht mit der Nahrung, die wir verdauen, nachdem sie unseren Körper verlassen hat? Auf der Suche nach Antworten begibt sich der Regisseur Rubén Abruña auf eine investigative und unterhaltsame Suche durch 16 Städte auf 4 Kontinenten.
Cineding, 11.10. 19:00 (BUND Erntedankwoche)
Love & Revolution
E 2023, R: Alejandro Marín, D: Ana Wagener, Omar Banana, Alba Flores, 106 min
Der junge Miguel entdeckt seine Leidenschaft für Musik und Männer im örtlichen Travestie-Club. Je tiefer er in die schillernde neue Welt eintaucht und immer mehr liebenswerte Menschen kennenlernt, desto mehr fühlt er sich dort zu Hause – bis er bei einer Razzia festgenommen und angeklagt wird, denn Homosexualität ist im spanischen Süden der 1970er Jahre ein strenges Tabu.
Cineding, 10.10. 19:00 (Previa – Vorglühen Lateinamerikanische Tage)
Rikki und die Männer
DK 1962, R: Lisbeth Lauritzen, D: Ghita Nörby, Poul Reichhardt, Holger Juul Hansen, 92 min
Eine junge geschiedene Frau verschreibt sich der käuflichen Liebe, bis sie sich eines Tages vor sich ekelt. Ein Jugendfreund schlägt ihr vor, ihre Memoiren zu veröffentlichen, die prompt zum Bestseller werden. »Dänisches Trivialkino.« (Filmdienst)
Luru-Kino in der Spinnerei, 06.10. 18:00 (Analogfilmdoppel)
Working Girls
USA 1986, R: Lizzie Borden, D: Amanda Goodwin, Louise Smith, Boomer Tibbs, 91 min
Der Film begleitet den Alltag verschiedener Prostituierter und ihre Freier in Manhattan.
Luru-Kino in der Spinnerei, 06.10. 20:00 (Analogfilmdoppel)
Striche ziehen
D 2024, Dok, R: Gerd Kroske, 96 min
Der Dokumentarfilm von Gerd Kroske erzählt kongenial von einem gescheiterten Kunstprojekt an der deutsch-deutschen Grenze, von Freundschaft und Verrat.
Hansa-Haus, 08.10. 16:00 (Nachmittagsfilme)
Tolkien
USA 2019, R: Dome Karukoski, D: Nicholas Hoult, Lily Collins, Colm Meaney, 112 min
Biopic über den »Herr der Ringe«-Autor J. R. R. Tolkien, das sich auf die Kriegsjahre und die Beziehung zu seiner Frau Edith konzentriert.
Moritzbastei, 08.10. 20:00 (Moritzkino)
Touki Bouki
SEN 1973, R: Djibril Diop Mambety, D: Christopher Colomb, Moustapha Toure, Aminata Fall, 91 min
Mory und Anta, zwei junge Liebende in Dakar, die von einem besseren Leben träumen. Wildes, assoziatives Kino aus Afrika zwischen Tradition und Moderne.
Ost-Passage-Theater, 09.10. 20:00 (OmU)
Walk the Line
USA 2005, R: James Mangold, D: Joaquin Phoenix, Reese Witherspoon, Robert Patrick, 136 min
Bewegendes Biopic, oscargekröhnt mit Joaquin Phoenix als Johnny Cash und Reese Witherspoon als seine Frau June Carter.
Passage-Kinos, 10.10. 20:00 (mit Einführung, OmU, Retrospektive Joaquin Phoenix)