anzeige
anzeige

»Unten wie im Keller und oben wie oben«

Die neue Distillery wird größer und vielfältiger, im Kern aber den Geist der alten wiederbeleben

  »Unten wie im Keller und oben wie oben« | Die neue Distillery wird größer und vielfältiger, im Kern aber den Geist der alten wiederbeleben  Foto: Christiane Gundlach

Ein Flachbau auf dem Alten Messegelände, unscheinbar, abgerockt, wie eigentlich alles hier. An der Seite eine ebenfalls unauffällige Metalltür, daneben ein kleiner Briefkasten mit einem Hundeaufkleber und einem sehr blassen Namen drauf: Distillery. Klopfen wird nichts bringen, also Hand auf die Klinke – und da wären wir: auf der Baustelle, nach deren Fortschritt sich wöchentlich hundert Leute erkundigen. Drei Männer, Werkzeuge, Baumaterial, Staub, das volle Programm. Ganz hinten ein Schild, schräg an der Wand irgendwo drangeklemmt. Darauf steht: »Träume«.

Steffen Kache und sein Team haben die Distillery, diese seit den Neunzigern weit über Leipzig hinaus strahlende Institution, »Ostdeutschlands ältesten Technoclub«, im Mai 2023 geschlossen, nein: schließen müssen. Weil das Gebäude in der Kurt-Eisner-Straße 108a einem neuen Wohnviertel weichen musste. Leipzig wächst, was eben erst mal vor allem bedeutet, dass es dichter in der Stadt wird (s. kreuzer-Titelgeschichte 2/2024). Deshalb haben sich die Distillery und der ebenfalls bedrohte TV Club zusammengetan und 2019 die Leipziger Club- und Kulturstiftung gegründet, die das Grundstück am Gleisdreieck im Süden der Stadt gekauft hat, um in typisch Leipziger Art einen ehemals industriellen Ort kulturell neu zu besetzen. »Ich sehe die Distillery dort aber nicht vor 2040«, sagt Steffen Kache, er wisse, was die Stadt Leipzig vorhabe, in den Bebauungsplan zu schreiben: »Es wird dort keine Veranstaltung länger als 22 Uhr gehen, ehe nicht die Brücke vom Norden auf das Gelände gebaut ist.«

Doch zurück in den schwindelfreien Backstage-Bereich der Baustelle: große Couch, davor ein Tisch mit unzähligen Flaschen Cola und wenigen Bier. Es wird geraucht. Von den 70, 80 Leuten, die Kache auf der letzten Lohnabrechnung 2023 hatte, arbeiten rund zehn auf der Baustelle mit. Wie viele vom Rest er wieder mobilisieren kann, weiß er nicht – aber er setzt auf den (Kollektiv-)Geist der Distillery, den es ja eh wiederzubeleben gelte, in der Belegschaft und beim Publikum.

Er verstehe den Club als einen Ort, der Menschen zusammenbringen kann, die sich »in der normalen Welt« nie begegnen würden. »Die Attitüde in den Neunzigern, dass wir nur für uns sein wollen und uns total abgrenzen, würde ich so nicht mehr vertreten«, vergleicht Kache. Es sei für ihn der Kern eines Clubs, dass Menschen hier über die Musik zusammen-, aber auch zu sich finden. »Für mich hat einen Club zu betreiben auch was sehr Spirituelles: Du begibst dich am Anfang des Abends in die Musik und fällst dann vielleicht erst nach acht Stunden morgens wieder raus, hast eine Reise gemacht.« Diese individuelle wie kollektive Reise führe dazu, dass der Club zum Wohnzimmer werde, zu einem Raum, »wo du sein kannst wie du willst, wo du geschützt bist und einfach keinen Idioten begegnest«.

Ein Club ohne Tür funktioniere deshalb nicht. Und bei allen Veränderungen über die Jahre und Jahrzehnte »gibt es so ein ganz grundlegendes Ding, das sich nie ändert: Wenn jemand freundlich und nett ist, mit anderen Menschen umgehen kann und nicht gewalttätig ist, kann er rein«. Und dann drinnen mit all den anderen für jene Energie sorgen, die in der alten Distillery da war und die in der neuen noch nicht da sein kann: »Die Energie der Leute, diese Energie, die du spürst, wenn du reingehst.«

Die Erwartungen seien riesig, sagt Steffen Kache, und es werde nicht alles hundertprozentig funktionieren, wenn dann im neuen Jahr die Türen endlich öffnen, vielleicht schon Ende Januar, hofft der Geschäftsführer der Distillery. Wir trinken die Cola aus, verabschieden uns vom Bauherrn, der wieder Clubbetreiber sein will und schauen noch mal auf das schräge Schild hinten im Raum.


Kommentieren


0 Kommentar(e)