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Politik

Mehr als nur Wohnraum

Die Genossenschaft Leika will günstigen Wohnraum und Begegnungsorte für Connewitz schaffen

  Mehr als nur Wohnraum | Die Genossenschaft Leika will günstigen Wohnraum und Begegnungsorte für Connewitz schaffen  Foto: Maika Schmitt

Es ist noch relativ warm an diesem Herbstmontagnachmittag. Die untergehende Sonne taucht einen großen gelben Bagger in goldenes Licht, von den Kindern, die umherflitzen, schauen einige sehnsüchtig auf die vier Schaufeln, die neben einem Erdhaufen im Boden stecken. Doch die werden noch gebraucht, denn heute ist Spatenstich an der Wolfgang-Heinze-Straße 29. Und zwar für das genossenschaftliche Wohnprojekt Leika.

Der heutige Tag ist ein Meilenstein. »Es ist ein bisschen surreal, aber auch erleichternd«, erzählt Charlotte Eifler am Rande der Veranstaltung. Sie ist im Aufsichtsrat der Genossenschaft und seit 2018 mit dabei – also von Anfang an. Damals stand der Wunsch, Wohnraum für Menschen zu schaffen, die es auf dem freien Wohnungsmarkt schwer haben. Gegen die in der Stadt fehlenden Sozialwohnungen wollten die Gründungsmitglieder von Leika etwas tun – weil Protest und ­Demonstrationen nicht wirkungsvoll gewesen seien, um den angespannten Wohnungsmarkt nachhaltig zu ändern, wollten sie selbst aktiv werden. »Wir haben Leika als Pilotprojekt geplant und dachten: Wenn das klappt, können es viele Leute nachmachen«, erzählt Eifler. Die Vorzeichen standen gut: Dank verschiedener Förderungen hätte die Gruppe im Jahr 2018 nur 400.000 Euro Eigenkapital aufbringen müssen, um die Baukosten in Höhe von 10 Millionen Euro mit einem Bankkredit zu decken. Durchaus machbar. Doch dann kam die Pandemie, der Krieg, die Inflation, die Baukosten stiegen immer weiter, die Förderung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für energieeffiziente Gebäude wurde eingestellt. So stieg der Eigenanteil für die Genossenschaft auf 1,4 Millionen Euro, mehr als das Dreifache. Zusammengekommen ist das Geld schließlich über etwa 140 Genossenschaftsmitglieder, Privatkredite und einen Sonderzuschuss der Stadt, die im Oktober 2022 für Leika und fünf weitere ähnlich gelagerte Wohnbauprojekte insgesamt 5,4 Millionen Euro bereitstellte, davon rund 3,1 Millionen für das Hausbauprojekt in Connewitz. »Es ist weiterhin nachahmbar, aber eine Herausforderung«, resümiert Eifler.

Das Grundstück direkt neben dem Connewitzer Herderpark gehört seit 2019 der Stadt Leipzig, die es im Konzeptverfahren an Leika vergeben hat und für 110 Jahre verpachtet. Mit diesem Verfahren vergibt die Stadtverwaltung Grundstücke nach Innovationen und Qualitäten von Wohnprojekten – und nicht nach dem Höchstgebot. »Diese Projekte bieten nicht nur günstigen Wohnraum, sondern sind im Stadtteil verankert und stellen offene Räume zur Verfügung«, erklärt Stadtrat Tobias Peter, wohnungspolitischer Sprecher und Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Stadtrat, ­einige Tage nach dem Spatenstich dem kreuzer. »Deshalb war es uns als Stadt auch so wichtig, diese Projekte zu unterstützen. Sie strahlen in den Stadtteil hinein, da gibt es nichts Vergleichbares.«

Für das Grundstück an der Wolfgang-Heinze-Straße wurden 2021 vier weitere Konzepte eingereicht, über die laut Konzeptvergabe die Connewitzerinnen und Connewitzer abstimmen konnten – und sich für jenes von Leika entschieden. Dieser Wunsch ging in die Entscheidungsfindung der Jury mit ein und wurde umgesetzt.

In dem Neubau, der 2027 bezugsfertig sein soll, ist viel geplant: 19 Sozialwohnungen, die nur für Menschen verfügbar sind, die einen Wohnberechtigungsschein besitzen. Wer derzeit Sozialwohnungen baut und dafür gefördert wird, muss die Wohnungen 15 Jahre als Sozialwohnungen anbieten. Danach entfällt diese Miet- und Nutzungsbindung. Bei Leika soll das nicht passieren, die 19 Wohnungen sollen auch nach der Frist weiter als Sozialwohnungen vermietet werden.

Zusätzlich wird es 15 frei verfügbare Wohnungen geben. Das ganze Haus ist barrierefrei und wird so auch vier Einheiten für Menschen mit Betreuungsbedarf ermöglichen. Sowieso sind die Wohnungen als Cluster geplant, um sich flexibel an unterschiedliche Formen des Zusammenlebens anpassen zu können. Das bedeutet, dass einzelne Wohneinheiten bei Bedarf zusammengelegt und wieder getrennt werden können, je nachdem, wie viel Platz benötigt wird. »Es ist auch ein feministisches Projekt. Deswegen soll es möglich sein, Care-Arbeit über die Kernfamilie hinaus zu organisieren«, erklärt Eifler. Begegnungsräume sind deshalb ein wichtiger Teil des Neubaus und sollen das Haus auch zum Kiez hin öffnen. Dafür soll vor allem eine Kantine – die namensgebende Leipziger Kantine, abgekürzt Leika – im Erdgeschoss mit kostengünstigem Essen für die Menschen im Viertel sorgen. Wer sie betreiben wird, ist noch nicht klar, da auch diese Räume erst in zwei Jahren bezugsfertig sein werden. Bald stehen ­erste Gespräche mit möglichen Betreibern an. Auch der Streetwork-Verein Machtlos wird Räume in dem Neubau beziehen. Holzhybrid-Bauweise, Geothermie, Photo­voltaikanlagen und Fassadenbegrünung sollen das Haus so nachhaltig wie möglich machen.

Insgesamt werden etwa 60 bis 80 Menschen in dem Haus wohnen können, die Sozialwohnungen werden 6,50 Euro pro Quadratmeter, die frei finanzierten Wohnungen etwa 12 Euro kosten. Wer einzieht, ist – bis auf die Mitglieder des Projektteams – noch nicht klar. Bei den Sozialwohnungen hängt es am Wohnberechtigungsschein, der nach Bedarf ausgestellt wird. Bei den anderen Wohnungen können sich Menschen bewerben und werden bevorzugt, wenn sie es am regulären Wohnungsmarkt schwer haben. »Wir haben bewusst darauf verzichtet, unsere Freundinnen und Freunde in die Wohnungen zu holen«, erklärt Eifler. Auch die Genossenschaftsanteile berechtigen nicht zum Wohnen, stattdessen bringen sie Zinsen ein, sobald Leika Miete einnimmt. Mehr zählt der Solidargedanke, mit der finanziellen Unterstützung ein solches Stadtteilprojekt zu ermöglichen.

Ohne die Förderung in Höhe von 4,7 Millionen Euro aus der öffentlichen Hand und Stiftungen müsste der Mietpreis bei etwa 26 Euro pro Quadratmeter liegen, ohne, dass der Bau überhaupt Gewinn abwirft, stellt Leika-Aufsichtsrätin Sarah Uhlmann in ihrer Rede beim Spatenstich fest. Das zeigt, wie finanziell unattraktiv nachhaltiges Bauen heute ist – gerade, wenn günstige Wohnungen dabei entstehen sollen. Initiativen wie Leika gibt es folglich wenig, berichtet Tobias Peter aus dem Stadtrat: Zu hoch seien die Baukosten. Obwohl die Stadt noch einige Grundstücke in der Hinterhand habe, seien die meisten Gruppen mit ihrer Bewerbung im Moment zurückhaltend.

Zu den hohen Kosten kommt, dass solche Projekte oft ehrenamtlich gestemmt werden – so auch Leika. Und das kann sich nicht jeder leisten. Der Genossenschaft sei das durchaus bewusst, erklärt Eifler. Trotzdem versuchen sie alle, in ihren Konzepten mitzudenken. Denn das Haus soll ein Ort für Menschen werden, die sich das normalerweise nicht leisten können.

Nun ist es auf der Baustelle soweit, vier Spaten werden in die Erde gestochen, im Hintergrund rauchen – immerhin sind wir in Connewitz – blaue Bengalos. Wenn alles wie geplant läuft, ziehen in drei Jahren die ersten Bewohnerinnen und Bewohner ein.

 

> www.leika-leipzig.com, Instagram: @leika_eg


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