Rot leuchtet die Kuppel von Wünschmann-Haus in der Karl-Liebknecht-Straße 12. Hier, 47 Meter hoch im Oberen Kuppelsaal, zeigt die 1970 in Israel geborene Künstlerin Yael Bartana ihre Videoinstallation »Two Minutes to Midnight« aus dem Jahr 2021. Fast 50 Minuten ist eine Runde von Frauen zu beobachten, die bestehend aus Expertinnen aus den Bereichen Politik, Recht, Psychologie sowie Verteidigung neben Schauspielerinnen, sich über die Abwehr der Atomgefahr austauschen und dabei nicht nur stereotypes männliches Denken im Waffenwettrüsten kritisieren. Zwischendurch serviert ein junger Mann oberkörperfrei Obst. Über der Sitzbank hängt die Neonschrift »Utopia Now!« aus dem Jahr 2024, die Bartanas Arbeitsweise der Verkettung von Zukunftsvisionen illustriert.
Eine Etage darunter ist die Filmarbeit »Mir zaynen do! (We are here)« ebenfalls von 2024 zu sehen. Im Auftrag des jüdisch-brasilianischen Kunstraums Casa do Povo entstand dieser Film, der zu Beginn eine alte Frau mit grauen Haaren im schwarzen Kleid mit Perlenkette auf einer Bühne stehend zeigt, sie dirigiert den Chor Coral Tradição, ein jiddischer Chor, der Lieder aus Osteuropa vorträgt. Gleichzeitig tritt das afrobrasilianische Perkussions-Ensemble Ilú Obá de Min auf. Damit beherrschen zwei äußerst verschiedene Ton- und Körperwelten den Raum des alten Theaters.
Die Ausstellung von Yael Bartana stellt die zweite Schau des 2024 gegründeten Kunstvereins 47m Contemporary dar. Er möchte das Leipziger Kunstfeld um internationale und politische Perspektiven aus dem Kunstfeld erweitern. Die Räume über der Stadt stellen dafür eine besondere Herausforderung dar.
Zwischen 1914 und 1917 entstand das Gebäude nach den Plänen des Leipziger Architekten Georg Wünschmann als Haus des Verbandes der Deutschen Handlungsgehilfen. Unmittelbar nach der Eröffnung zog hier das Deutsche Kriegswirtschaftsmuseum unter der Leitung von Otto Neurath ein, um die Erfahrungen aus der Kriegszeit zu vermitteln. Zuvor befand sich hier die Orthopädisch-gymnastische Heilanstalt von Moritz Schreber.
> Yael Bartana, »Midnight«, bis zum 18.1., Wünschmann-Haus, Karl-Liebknecht-Straße 12, Fr und Sa 15-20 Uhr
> 47m lädt an diesem und dem nächsten Wochenende zu Veranstaltungen ein:
Am Samstag, 11.1., um 20 Uhr sprechen Nick Antipov und Alina Pazdniakova zu »I am here – Perspektiven auf queer-feministischen Aktivismus in Belarus«. Eine Woche später zur Finissage findet vom 18 bis 20 Uhr ein Gespräch mit der Künstlerin Yael Bartana statt.
> Am 1.3. eröffnet um 17 Uhr die dritte Ausstellung in den Räumen mit Arbeiten von Paul Kolling.