Kraftwerk, Polarkreis 18 und New Order direkt hintereinander. Da legt jemand die Latte schon mit der Aufwärmmusik ganz schön hoch. Also ungefähr dorthin, wo allerhand Diskokugeln in den riesigen Kronleuchtern ein bisschen Weihnachten und ein bisschen Party in den Felsenkeller bringen. Mit anderen Worten: Neu, Jahrs, Singen. Mit noch anderen Worten: Gastro- und Medienmenschen aus Leipzig singen Karaoke mit einer Live-Band, und tausend Leute kaufen dafür eine keineswegs günstige Eintrittskarte – sicher auch, weil die Einnahmenüberschüsse der Veranstaltung an die Tafel gespendet werden.
Den Auftakt geben wie gewohnt Maike Beilschmidt und Mark Daniel, die fortan zwischen den Liedern die Moderationskarten zücken und hier »I love Rock’n’Roll« singen. Was soll man sagen: Ähnlich gut wie Britney Spears. Aber Moment mal! Wo ist denn der griechische Wein? Das alljährliche Ritual – der ganze Saal singt zur Einstimmung »Er gehört zu mir« und »Griechischer Wein« – wurde offenbar halbiert. Inflation! Und das auch noch beim Alkohol. Es wird später auch niemand aus dem Publikum gebeten, einen der beiden Songs »spontan« zu »singen«. Zumindest Zweiteres ist kein Verlust. Dass langjährige Acts wie Nato, Moritzbastei oder Goldhopfen fehlen hingegen schon – weil es noch zu wenige neue Stars wie den Kupfersaal gibt, die sich uns Jahr für Jahr ans Herz werfen.
Zu ebenjenen neuen Wilden gehören zweifelsohne auch die Hausherren Felsenkeller und Naumanns Gaststube, diesmal mit »Bella Napoli« von Roy Bianco (solo, also ohne Die Abbrunzati Boys, die in der Anmoderation zweimal »Abbrunazi-Boys« genannt werden, was vielleicht erklärt, warum sie nicht hier, sondern mutmaßlich in Riesa sind) und Amy Winehouse’ »Valerie«.
Schon an vierter Position dann das, worauf alle im Saal, ach was: ganz Leipzig, wenn nicht das entire Empire gewartet hat: der kreuzer. Konkret unser Filmredakteur Lars Tunçay und unsere Literaturredakteurin Alexandra Huth, die zusammen »West End Girls« von den Pet Shop Boys singen. Was sonst. Anzug, Basecap, englische Eleganz, alles dabei.
»Alles dabei« beschreibt den ganzen Abend auch ganz gut (besser jedenfalls als »Eleganz«), der von »Atemlos« bis »Verdammt, ich lieb dich« Schönes bis Schlimmes, schlechte bis zu gute Performances, ironisch bis zu ernst Gemeintes bietet. Am besten funktioniert das bei »Kling-Klang« und »Farbfilm« – weil es richtig gute Songs sind, die dennoch die Partyzelte des Landes erobert haben und weil Vodkaria und Sky Pub sie einfach gut singen. Da brüllen tausend Leute: »God save the Queen!« Apropos Brüllen: »Live is Life« wird herrlich schief von einem ehrenamtlichen Feuermann dargeboten. Finden die Leute immer super, Songs aus der Zeit, als sie das erste Mal geheiratet haben.
Zum Ende kommen aus dem Cineding die Ghostbusters in voller Montur rüber und vertreiben die letzten bösen Geister des neuen Jahres. Wobei: In so manchem Kopf im Saal spukt es weiter: Welches Lied singe ich nächstes Jahr?