Tanzende Menschen nach der Befreiung Leipzigs am Haus Auensee, das zuvor noch eine Zwangsarbeiterunterkunft war und nun eins von mehr als einhundert Lagern von Displaced Persons ist. Fotos von ihnen und vieles mehr zeigt die Leipziger Gedenkstätte Zwangsarbeit anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung der Stadt in einer Online-Ausstellung und auf Plakaten im öffentlichen Raum. Letztere sind in Straßenbahnen und Bussen zu sehen, gestaltet von der Illustratorin Mimi Hoang und der Grafikerin Janett Andrejewski. Die umfassende Ausstellung auf der Homepage der Gedenkstätte versucht, die Zeit vor und nach dem 18. April 1945 in der Stadt aus vielfältigen Perspektiven zu schildern, wie die Projektverantwortliche Isabel Panek im Gespräch mit dem kreuzer berichtet. 75.000 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter waren in über 700 Lagern und Sammelunterkünften in der Stadt untergebracht. Seit 1943 waren sechs Außenlager des KZ Buchenwald in Leipzig angesiedelt. Die größtenteils politischen Häftlinge wurden in der Rüstungsproduktion der HASAG und der Erla-Werke unter widrigsten Bedingungen ausgebeutet.
Ein Animationsfilm widmet sich dem Thema Zwangsarbeit, welche Gruppen es umfasste, wie diese sichtbar in der Stadt waren – und er ordnet die Zahlen zum besseren Verständnis in heutige Größenverhältnisse ein.
Die Präsentation selbst gliedert sich in drei zeitliche Kapitel: die Zeit unmittelbar vor der Befreiung, die Befreiung selbst und die Zeit kurz danach. Das Ausstellungsteam wählte dafür Dokumente, Biografien, Zeugnisse, Fotografien und Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen aus dem Bestand der Gedenkstätte Zwangsarbeit und aus Archiven aus.
Unmittelbar vor der Befreiung änderte sich die nationalsozialistische Ausbeutungsmaschinerie. Je näher die Alliierten an die Stadt rückten, umso mehr verließen Betriebsangehörige und Aufsichtspersonal die Fabriken, wie Erinnerungsberichte schildern. Beim Luftangriff am 6. April 1945 auf Leipzig, der auch das Zwangsarbeiterlager »Alte Brauerei« in der Dieskaustraße 66/68 trifft, stirbt der Tscheche Alexander Triska. Er verrichtet als Schaffner bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) Zwangsarbeit. Die ehemalige Brauerei hat die LVB ab 1942 angemietet. Mehr als 150 Männer waren hier in einem Saal unter widrigen Verhältnissen untergebracht. Die LVB selbst hatte mehr als 800 Zwangsarbeiter, die in zwölf Sammelunterkünften und Lagern untergebracht waren.
Ein Gedicht erinnert an das Hauptgebäude des KZ-Außenlagers der HASAG in der Kamenzer Straße. Zeichnungen, die tote Menschen über einem Elektrozaun hängend zeigen, stammen von Pjotr Korschunkow, der das Massaker im KZ-Außenlager in Abtnaundorf in der Theklaer Straße/Heiterblickstraße überlebte. Hier waren 1.800 männliche KZ-Häftlinge untergebracht, die in der Flugzeugproduktion der Erla-Maschinenwerke Zwangsarbeit verrichten mussten. Am 13. April 1945 wurden 1.500 Häftlinge gemeinsam mit weiteren aus der Stadt auf sogenannte Todesmärsche geschickt (siehe kreuzer 4/2024). Im Lager blieben 300 schwache Häftlinge, die am 18. April 1945 von Mitgliedern der SS, der Gestapo, des Volkssturms Schönefeld, Männern des Erla-Werksschutzes und Feuerwehrleuten des Erla-Hauptwerks in eine Baracke getrieben wurden. Die Baracke wurde abgebrannt. Einigen Häftlingen gelang die Flucht, einige starben am Elektrozaun. Die US-Armee dokumentierte das Massaker. Bis 1947 wurde die Fahndung nach den Tätern eingeleitet. 1975 begannen die Verfahren, die bis 1990 eingestellt wurden. Vor Gericht musste sich lediglich der Erla-Personalleiter Walter Wendt 1947 verantworten und erhielt 15 Jahre Haft, aus denen fünf Jahre wurden. Die Befreiung der Lager dauerte bis zum 20. April 1945. Danach begann die Unsicherheit für viele Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, die sich aus Freude, Angst und Hoffnungslosigkeit zusammensetzte.
Außerdem lädt die Gedenkstätte zu Veranstaltungen zum Thema bis Juni ein. Am 30. April findet um 19 Uhr in der Bibliothek in Schönefeld eine Lesung aus Berichten von Überlebenden des Massakers in Abtnaundorf statt. Zu Displaced Persons spricht Annkathrin Richter am 15. Mai um 19 Uhr im Conne Island. Stadtrundgänge durch den Leipziger Westen können am 16. und 26. April besucht werden.
■ www.zwangsarbeit-in-leipzig.de
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