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Politik

Rote Karte, Herr Minister

Das sächsische Kultusministerium will mit 21 Maßnahmen den Unterrichtsausfall an den Schulen des Freistaats kompensieren. Lehrkräfte wehren sich gegen zusätzliche Belastung.

  Rote Karte, Herr Minister | Das sächsische Kultusministerium will mit 21 Maßnahmen den Unterrichtsausfall an den Schulen des Freistaats kompensieren. Lehrkräfte wehren sich gegen zusätzliche Belastung.  Foto: Nastasja Kowalewski

Rote Trillerpfeife im Mund, rote Karte in der Hand: Rund 1500 Menschen demonstrierten am Dienstagnachmittag vor dem Landesschulamt in der Nonnenstraße in Leipzig. Zur Demonstration rief die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) auf. Grund dafür sind 21 Maßnahmen, mit denen das sächsische Kultusministerium plant, den hohen Unterrichtsausfall an Sachsens Schulen auszugleichen. Im ersten Schulhalbjahr 2024/25 konnten die Lehrkräfte laut Kultusministerium 9,4 Prozent der geplanten Unterrichtsstunden nicht halten. Entweder aufgrund von Lehrkräftemangel oder aber wegen Krankheit, Streik oder Fortbildungen. Betroffen sind vor allem Ober- und Förderschulen. Das Problem: Sachsen fehlen 1.400 Lehrerinnen und Lehrer. Ab nächstem Schuljahr sollen die 21 Maßnahmen beitragen, dieses Loch zu stopfen. Die Maßnahmen will das Ministerium Ende Mai beschließen.

Anfang März hatte Sachsens Kultusminister Conrad Clemens (CDU) die Punkte in Dresden vorgestellt. Darunter spätere Altersermäßigung, Versetzung von Gymnasiallehrkräften zwischen Schularten und digitaler Unterricht für Schülerinnen und Schüler. Die GEW hält die Maßnahmen für wenig sinnvoll, sie würden die Lehrkräfte nur zusätzlich belasten und die Bildungsqualität würde weiter leiden. Die Gewerkschaft fordert deswegen, die Maßnahmen zurückzunehmen.

»Lehrkräfte werden ausgequetscht«

Besonders viel Kritik erntet die geplante Änderung der Altersermäßigung: Bisher konnten Lehrkräfte ab 58 eine Unterrichtsstunde pro Woche reduzieren, mit 60 dann zwei und mit 63 schon vier Unterrichtsstunden. Diese Staffelung will das Ministerium um fünf Jahre verschieben. Das treffe laut GEW die Lehrkräfte, die in den neunziger Jahren gezwungen war, in Teilzeit zu arbeiten, weil die Schülerzahlen eingebrochen waren. Das bedeutete Einbußen bei Gehalt und Rente. Dieselbe Generation konnte zudem nicht von der 2019 eingeführten Verbeamtung profitieren, weil der Landtag die Altersgrenze in Sachsen auf 42 festlegte.

»Ich hätte diesen August die Altersermäßigung genutzt. Mir macht das große Sorge, sollte das nicht gehen, weil ich merke, dass meine Kraft begrenzt ist. Das war etwas, worauf ich gehofft habe«, erzählt Birgit Sähnisch, Lehrerin an einer Förderschule in Grimma, dem kreuzer auf der Demonstration am Dienstag. Sähnisch ist mit ihrer Kollegin zur Demonstration gekommen. Beide Lehrerinnen zeigen sich verärgert über die Maßnahmen. »Der Job ist an sich schon sehr stressig, oft kann man ihn schon nicht so gut machen, wie man ihn gerne machen würde: mit Elternabend und Einzelförderung der Kinder«, sagt Annika Stappenbeck, die seit neun Jahren an der Förderschule unterrichtet. Die beiden würden beobachten, wie Kolleginnen und Kollegen an der Schule oft nicht auf ihre Arbeitszeiten achten, um den Kindern eine bestmögliche Förderung zu bieten. »Wir engagieren uns viel und wollen es gut machen. Ich habe aber den Eindruck, dass bei Vorgesetzten und in der Politik nichts davon ankommt, was Lehrer alles leisten, sondern eigentlich nur gedacht wird: Wo können wir noch sparen? Wo kann man noch kürzen? Und das macht uns sauer und gibt uns das Gefühl, dass man allein dasteht und kämpft«, sagt Sähnisch.

Am Mittwoch erreicht der kreuzer den GEW-Landesvorsitzenden Burkhard Naumann am Telefon. »Die vorhandenen Lehrkräfte, die ohnehin schon überlastet sind, werden weiterhin ausgequetscht«, sagt Naumann. Sorge bereiten der Gewerkschaft unter anderem die Änderungen in der Lehrerausbildung: Die meisten Fachkräfte, die Referendare ausbilden, sind Lehrkräfte, die auch an Schulen unterrichten. Laut Maßnahmenplan sollen sie wieder mehr unterrichten. Das führe laut Naumann zu einer schlechten Ausbildungsqualität und belaste die Lehrkräfte zusätzlich, denn das bedeute: weniger Zeit für Referendare, weniger Hospitationsbesuche und größere Gruppen. »Manche Referendare brauchen mehr Betreuung. Wenn Fachkräfte nicht mehr auf einzelne Referendare eingehen können, weil die Gruppen zu groß sind, wird das zu mehr Abbrüchen führen«, sagt Naumann.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Fachberatung. Diese führen Lehrkräfte durch, die dafür vom Unterricht freigestellt werden, um Kollegen an verschiedenen Schulen zu ihrem Unterricht zu beraten: »Es ist ein Qualitätsmerkmal, dass wir so eine Fachberatung haben. Die Unterrichtsversorgung muss zwar verbessert werden, darunter darf aber nicht die Bildungsqualität leiden«, sagt Naumann. Laut Maßnahmenplan sollen die Lehrkräfte weniger beraten, damit sie mehr unterrichten. Die Beratung müsse aber weiterhin vorbereitet und geplant werden, dafür hätten die Lehrkräfte dann weniger Zeit.

GEW sieht Entlastung in Gefahr

Die GEW hat alternativ zum Plan des Ministeriums eigene Maßnahmen entwickelt. Um Lehrkräfte zu entlasten, schlägt die Bildungsgewerkschaft vor, Profilunterricht zu kürzen oder die Stundentafel zu entschlacken: Kontrollierter Unterrichtsausfall sei die bessere Lösung. »Wenn wir uns auf die entscheidenden Inhalte konzentrieren, dann senken wir die Quantität ab, aber investieren in die Bildungsqualität«, sagt Naumann. Der Lehrkräftemangel ist da, man müsse sich darauf fokussieren, die bestmögliche Bildung anzubieten. Sinnvoll wäre laut GEW-Vorsitzendem Naumann auch, Mehrarbeit besser zu vergüten: »Die Belastung ist bei den Lehrkräften oft unterschiedlich verteilt. Für manche ist es möglich mehr zu arbeiten – gerade wenn sie mehr Erfahrung haben und mal eine Klasse nicht so intensiv vorbereiten müssen. Aber Mehrarbeit wird deutlich geringer vergütet als eine normale Unterrichtsstunde.«

Zusätzliches Entlastungspotenzial sieht die GEW bei den sogenannten unterrichtsnahen Tätigkeiten: Lehrkräfte müssen ihren Unterricht vor- und nachbereiten, Konferenzen besuchen, Elternabende oder Schulausflüge organisieren und durchführen. »Es wird immer versprochen, dass dort durch Schulassistenten entlastet wird«, sagt Naumann. »Der Ausbau multiprofessioneller Teams steht im Maßnahmenplan, das ist gut, aber ist durch den Haushalt noch nicht untersetzt, da dieser noch nicht beschlossen ist.« Bisher sind Lehrkräfte oft allein verantwortlich für den Unterricht oder die Betreuung der Schülerinnen und Schüler. Mithilfe von multiprofessionellen Teams können Lehrkräfte durch Schulsozialarbeiterinnen oder Schulassistenten in bestimmten Fachbereichen entlastet werden.

Tilo Schumann, Pressesprecher des sächsischen Kultusministeriums, sagt dem kreuzer auf Anfrage, dass das Ministerium weiter an diesem Ziel festhalte: »Der Doppelhaushalt ist nur eine Möglichkeit, multiprofessionelle Teams auszubauen. Die andere ist das Startchancen-Programm des Bundes. Wir werden alles nutzen, was möglich ist.«

Am 28. April treffen sich Vertreterinnen und Vertreter der GEW und CDU-Kultusminister Conrad Clemens, um über die Maßnahmen zu sprechen. »Ich hoffe das hilft und die Maßnahmen werden nochmal überarbeitet«, sagt Naumann. Einen ersten Erfolg haben die Protestierenden jetzt schon zu verzeichnen: Die laute Kritik an der Altersermäßigung sei auch ins Ministerium vorgedrungen, sagt Schumann: »Der Minister hat schon angekündigt, dass die vorgeschlagene Änderung noch angepasst werden kann.«


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