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Raues Klima

Die AfD will den Klimanotstand einkassieren - und bekommt fast eine Mehrheit

  Raues Klima | Die AfD will den Klimanotstand einkassieren - und bekommt fast eine Mehrheit  Foto: Stefan Ibrahim

Sylvia Deubel, Vizechefin der AfD-Fraktion, tritt ans Mikro. »Vor allem die jungen Menschen hier oben wird das heute sehr interessieren«, sagt sie in Richtung der Schülerinnen und Schüler einer siebten Klasse auf dem Besucherrang. Es geht darum, die Ausrufung des Klimanotstands aufzuheben. Die Stadt hatte sich 2019 auf eine Initiative des Jugendparlaments zum Klimanotstand bekannt und einige Maßnahmen beschlossen, um klimaneutral zu werden. Bis 2040 soll das gelingen. Die AfD schreibt in ihrem Antrag, dass »eine Klima-Notstandssituation in Leipzig nicht erkennbar« sei. Weiter heißt es: »Unwetter-Ereignisse in entfernten Regionen oder auf anderen Kontinenten sind für Leipzig nicht maßgeblich«.

Das Klimadezernat lehnt den Antrag ab: »Der fortschreitende Klimawandel macht weder an den Grenzen der Bundesrepublik noch denen Sachsens, noch vor den Toren der Messestadt Halt.« Deshalb müsse man den Herausforderungen des Klimanotstands auch auf lokaler Ebene mit einer »nachhaltigen Wärme-, Energie- und Verkehrswende« begegnen. Deubel glaubt nicht, dass sich durch städtische Maßnahmen etwas ändert, denn »eine signifikante Beeinflussung des Weltklimas seit 2019 ist nicht erkennbar.« Und überhaupt: »Durch die milden Winter konnten die Heizkosten gedrosselt und damit einhergehend die hohen Energiekosten gesenkt werden.« Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) schüttelt den Kopf und blickt ungläubig in den Saal.

Nicole Schreyer von den Grünen versucht es mit Fakten. Auch in Deutschland sei die Klimakatastrophe bereits angekommen. Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal seien 180 Menschen ums Leben gekommen, 6.000 Hitzetote gab es allein im Jahr 2023. Sie appelliert ans Plenum: »Jede Person, die heute für diesen Antrag stimmt, beweist, dass sie den Boden von Fakten, von Wissenschaft verlassen hat und im Reich von Schwurblern und Fake-News angekommen ist.« Der Saal wird unruhig. Oberbürgermeister Jung ruft die erhitzten Gemüter mit einem väterlich-mahnendem »Schhhhh« zur Mäßigung auf.

Sascha Jecht (BSW) meldet sich zu Wort und spricht von emotionalisierter »Hysterie«, die sich beim vorherigen Redebeitrag mal wieder gezeigt habe. Man solle lieber den Ball flach halten und diejenigen, die erwägen zuzustimmen, nicht einheitlich als Schwurbler bezeichnen. Jecht findet, das Bekenntnis zum Klimanotstand sei reine Symbolpolitik. Man könne auf kommunaler Ebene wenig am Fortgang der Klimaerwärmung ändern, da schlicht die nötigen Instrumentarien fehlten. Stattdessen untergrabe der Beschluss den »sachlichen Streit« um Klimafragen in den Gremien und im Stadtrat. Deshalb werde die BSW-Fraktion dem Antrag der AfD zustimmen.

Zum Schluss meldet sich Thomas Kumbernuß (PARTEI) zu Wort und rügt die Wortwahl des BSW-Stadtrats: »Herr Jecht kam ans Mikrofon und hat Frau Schreyer hysterisches Verhalten vorgeworfen.« Hysterie sei historisch gesehen ein frauenfeindliches Wort und noch bis in die dreißiger Jahre in sogenannten Irrenanstalten behandelt worden – »Die AfD wird sich erinnern.« Er schließt mit der Bitte an den Oberbürgermeister, »auf solche Worte zu achten, damit hier keine weiteren Menschen beleidigt werden.« Jecht reagiert: »Das mit der Hysterie hat sich nicht nur allein auf Frau Schreyer bezogen, sondern insgesamt …« – er wird von einem erneuten Proteststurm unterbrochen. Resigniert geht Jecht auf seinen Platz zurück, Oberbürgermeister Jung leitet zur Abstimmung über. CDU und BSW stimmen gemeinsam mit der AfD für den Antrag. Grüne, Linke, SPD und die Freie Fraktion halten dagegen. Mit 33 zu 35 Stimmen ist der Antrag abgelehnt – Leipzig bekennt sich weiterhin zum Klimanotstand.


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