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Kultur

Dig, Dag, Digedag

Der Erfinder der DDR-Bildgeschichte Hannes Hegen wurde vor hundert Jahren geboren

  Dig, Dag, Digedag | Der Erfinder der DDR-Bildgeschichte Hannes Hegen wurde vor hundert Jahren geboren  Foto: Hannes Hegen Comic Zentrum


»Man hat mir mein Lebenswerk genommen!« Noch im Alter zeigte sich Hannes Hegen unversöhnlich. Zu DDR-Zeiten wurde die Produktion seiner erfolgreichen Comic-Reihe Mosaik eingestellt, die Kobolde Did, Dag und Digedag durch ein anderes Trio ersetzt. Während die Hegen-Fans das als Verrat empfanden, erfreuen sich die Nachfolger bis heute großer Popularität. Und die Digedags landeten im Museum. Nicht ganz. Ein im Nachlass Heft aufgetauchtes Heft wurde just zu Hegens 100. Geburtstag veröffentlicht. Der Verlag spricht zu Recht von »Nostalgiewert«, denn für heutige Comic-Liebhaber sind die Digedags eher unzugänglich. Das wird Hegen nicht gestört haben. Denn Comics hat er immer abgelehnt.

In Böhmisch-Kamnitz, Tschechoslowakei, wurde er als Johannes Hegenbarth in eine Glasmacherfamilie geboren. Er lernte Glasveredelung, studierte Kunst in Wien, musste an die Front in Frankreich. Nachdem seine Familie 1945 vertrieben wurde, studierte Hegen an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Erste Karikaturen veröffentlichte er in der Neuen Berliner Illustrierten und im späteren Eulenspiegel. Er legte sich das Pseudonym Hannes Hegen zu, um die Verwechselung mit zwei weiteren Künstlern in seiner Familie zu verhindern. Hegen zieht nach Berlin. Am 22. Dezember 1955 erscheint seine erste Bildgeschichte in der Reihe »MOSAIK von Hannes Hegen«. Genau genommen war es ein Comic, aber die begriffliche Differenzierung war Hegen wichtig.

Galten Comics in der DDR als imperialistische Unlektüre voll Porno und Gewalt, so kam man doch nicht ohne »Bildgeschichten« aus. Hegens Mosaik erschien bis 1975 in 223 Heften mit einer Auflage von bis zu 660.000 Exemplaren. In seinem ideologisch korrekten Pendant schickte Hannes Hegen drei Kobolde namens Digedags erst vierteljährlich, bald monatlich auf Abenteuerfahrt durch die Weltgeschichte und in den Kosmos. Die Reihe reagierte auf die natürlich auch in der DDR kursierenden West-Comics und stillten das Unterhaltungsbedürfnis. Hegen führte die Leser in Welten jenseits des Realsozialismus. Sie bereisen die Südsee, das antike Rom, Amerika und den Orient aus »1.001 Nacht«. Man träumte sich mit dem Trio aus dem Alltag hinaus, bekam historisches und geografisches Wissen vermittelt.

Hegens Timing war gut. Im Jahr 1955 plante der FDJ-Verlag Neues Leben eine breite Unterhaltungssparte aufzubauen. Hegen wurde mit Arbeitsproben vorstellig, wurde unter Vertrag genommen, die anfänglichen vier Hefte pro Jahr wurden auf zwölf erweitert. Das Mosaik entstand im Kollektiv, auch wenn der Name Hannes Hegen darauf prangte – wie bei Walt Disneys Produkten. Für den Geschichtenverlauf mit Cliffhanger orientierte sich Hegen unter anderem an Wilhelm Busch. Dass man technisch bedingt auf Sprechblasen verzichtete, kam ihm zupass, sie zerstörten angeblich die Bilder. Der Text wurde darunter gesetzt, was den Geschichten Dynamik nahm. Auch wirkt die Eierkopfgrafik heute schlecht gealtert, da hat Wilhelm Buschs Stil mehr Schwung. Aber das ist ein ästhetisches Urteil, das gegen Kindheitserinnerungen sicher nicht besticht.

Obwohl Hegen Comics ablehnte, setzte er sich mit Walt Disney und dem gebürtigen Markkleeberger Rolf Kauka auseinander, der in München Fix und Foxi herausgab. Seine Vorlagen sammelte Hegen auch in Westberliner Kinos: Er fotografierte Trickfilme, Mantel- und Degen- und Römer-Streifen als Inspirationsquellen ab. Man müsste also einmal überprüfen, ob manche angeblich so historisch korrekte Darstellung nicht der Fiebertraum eines Sandalenfilm-Ausstatters ist. Dig, Dag und Digedag klingt zudem nach Tick, Trick und Track. Die Namen sollen aber ans Geräusch einer Wanduhr erinnern – immerhin passend für Zeitreisende. Als plötzlich die Abrafaxe 1976 die Digedags ablösten, herrschte Unverständnis unter den Fans, ähm: leidenschaftlichen Lesenden. Es entstand auch ein Mythos um Hegen. Die wahre Erklärung gelangte erst nach der Wende an die Öffentlichkeit.

Hegen verdiente mit 12.000 DDR-Mark pro Heft außergewöhnlich gut. Als er sein Arbeitspensum auf sechs jährliche Hefte reduzieren wollte, verschätzte er sich. Der Verlag ließ das aus ökonomischen Gründen nicht zu, Hegen war aber mit allerlei Angeboten nicht zum Umdenken zu bewegen. Er wurde gekündigt, Mosaik-Zeichnerin Lona Rietschel und den Texter Lothar Dräger entwickelten die Abrafaxe. Auch das sind drei zeitreisende Jungs, haben aber im Gegensatz zu den Digedags verschiedene Charakterzüge. Die Abrafaxe – Abrax, Brabax, Califax – sind heute die Helden der erfolgreichsten deutschen Comic-Serie. Spätere Versuche Hegens, vor Gericht auf Plagiat zu klagen, blieben erfolglos. Für andere Projekte konnte er keine Verlage mehr gewinnen. Er zeichnete nur noch für sich. Hannes Hegen starb am 8. November 2014 in Berlin. Sein Gesamtwerk verwahrt das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig. Ende letzten Jahres erschien zudem die Doppelmonografie über Leben und Werk von Hannes Hegen und Josef Hegenbarth von Harry Ralf Herrling im Verlag Mosamax. Hegens Onkel zweiten Grades Hegenbarth war Illustrator, Maler und Zeichner.


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