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Kultur

»Es sieht einfach ziemlich cool aus«

John Robb hat ein äußerst detailreiches Werk über die Geschichte der Gothic-Kultur geschrieben – pünktlich zum WGT nun auch in deutscher Übersetzung

  »Es sieht einfach ziemlich cool aus« | John Robb hat ein äußerst detailreiches Werk über die Geschichte der Gothic-Kultur geschrieben – pünktlich zum WGT nun auch in deutscher Übersetzung  Foto: John Robb/John Middleham

Wer war die erste Gothic-Band? Wie ist die sogenannte »schwarze Szene« entstanden? Und was fasziniert eigentlich so viele Menschen an düsterer Musik? Antworten auf diese und ungefähr alle weiteren Fragen, die man zum popkulturellen Phänomen Gothic haben kann, finden sich im Buch »Goth – die dunkle Seite des Punk«. Das 600 Seiten dicke Werk ist gerade in deutscher Übersetzung erschienen – und wird von Autor John Robb mit einer Lesung auf dem WGT vorgestellt. Robb selbst hat bereits zahlreiche renommierte Bücher über musikalische Subkulturen der späten 70er und frühen 80er geschrieben und auch die Geburt von Goth in dieser Zeit hautnah mitbekommen. Sein Buch beginnt er allerdings nicht in den 70ern, sondern gut 1600 Jahre vorher.

Ihr Buch beginnt ziemlich früh in der Menschheitsgeschichte, nämlich im Jahre 410 n. Chr. Warum gerade da?

Um diese Zeit herum tauchte das Wort »Gothic« das erste Mal in den historischen Aufzeichnungen auf, als damals die Goten Rom plünderten. Es ist auch kein ganz ernst gemeinter Ausgangspunkt, aber irgendwo muss man ein Buch ja anfangen. Und es vermittelt irgendwie eine Ahnung von diesen dunklen Mächten im europäischen Kernland, in der europäischen Vorstellungswelt. Und das ist ja auch recht einzigartig an Gothic: diese Faszination für das Dunkle. Und diese Idee ist eben nicht neu, sondern reicht durch die Jahrhunderte zurück. Man findet sie in Poesie, Malerei, Literatur und Architektur. Und die Gothic-Musik, die dann in den späten 70ern und frühen 80ern entsteht, greift das wieder auf. Es ist einfach eine zeitgenössische Version derselben Ideen und derselben dunklen Faszination.

Sie waren in den späten 70ern selbst Teil der aufkommenden Post-Punk-Bewegung. Wie haben Sie die Geburt von Gothic damals erlebt?

Ich denke, viele der Hauptakteure der britischen Version von Goth waren im gleichen Alter wie ich. Viele von uns sind mit Glam Rock aufgewachsen. Glam war damals total angesagt, als wir alle 12, 13, 14 waren: David Bowie, Marc Bolan und all die anderen Glam-Acts. Und dann kam Punk und das war für die meisten der Einstieg, das war die Chance es selbst zu machen. Und was die Leute dann mit den Ideen und dem Raum des Punk gemacht haben, war, sich auf viele verschiedene Reisen zu begeben. Und das sogenannte Goth, ist eine dieser Reisen. Die meisten prägende Ikonen der Gothic-Kultur, wie zum Beispiel Siouxsie and the Banshees oder Bauhaus, haben sich stark am Punk orientiert, aber ihre eigene Version daraus gemacht. Man hat da dann diese Mischung aus der DIY-Attitüde des Punk und diesen interessanten, esoterischen Ideen von Glam. Aber es hieß immer noch nicht wirklich Goth, es war einfach alternative Musik -eine dunklere Version von Post-Punk in gewisser Weiße. Es wurde erst ab 1983 richtig Goth genannt.


Sie schreiben im Buch, dass die meisten Protagonisten der Szene den Begriff »Gothic« erstmal ablehnen. Warum?

Ich glaube, es war ursprünglich nur ein Scherzbegriff, und die Leute sahen ihn als etwas, das der Feind benutzte, um sich über die Szene lustig zu machen. Es reduzierte die viele Nuancen und Feinheiten auf nur ein Wort und die Leute fühlen sich davon eingeengt. Denn dann wird es zu einer Szene, dann wird es zu etwas, das jeder nachahmen muss, um dazuzugehören und dann gibt es plötzlich Vorstellung, wie diese Szene auszusehen hat und Leute sagen: »Du kannst kein weißes Hemd tragen und Goth sein«. Also dann gibt es plötzlich diese Regeln, die vorher einfach gar nicht existiert haben.


Im Buch beschreiben Sie die Entwicklung der Gothic-Kultur von den späten 70ern bis in die frühen 90er. Da scheint die Geschichte dann aufzuhören. Hat sich Gothic seitdem nicht mehr weiterentwickelt?

Es geht im Buch eher darum, wie die Vorlage für Gothic entstanden ist, diese neue Idee, diese neue Art, Popkultur zu machen. Und ich denke, diese Vorlage wurde so ziemlich in den späten 70ern und frühen 80ern festgelegt. Es ist ja auch ziemlich unmöglich, 50 Jahre Geschichte zu beschreiben. Am Ende hat man ein Buch, das etwa viermal so groß ist, das könnte man gar nicht mehr mit sich herumtragen. Das letzte Kapitel greift dann aber auch nochmal auf, wie Gothic-Kultur heute aussieht, mit all den verschiedenen Bands, die es jetzt in der Szene gibt, und auch, wie die Idee über die Musik hinaus gewachsen ist. Es ist natürlich immer noch eine Musikkultur, aber sie wird jetzt auch weitergegeben durch Bilder auf Instagram, auf denen z.B. jemand in Gothic-Kleidung im Wald steht, oder durch TikTok-Videos. Es gibt Gothic-Gaming, Gothic-Filme, Gothic Social Media – all diese düsteren Ideen werden jetzt einfach an anderen Orten ausgelebt, und Musik ist nicht mehr die dominierende Kultur, wie sie das früher war.


Gothic hat auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung noch eine extrem engagierte Fan-Gemeinde. Was fasziniert so viele Menschen nach wie vor daran?

Ich denke, es gibt einige sehr offensichtliche Grundprinzipien: Zum einen sieht es einfach ziemlich cool aus. Also, es ist eine wirklich gute Art, sich zu kleiden. Alles ist schwarz, die Stimmung ist schwarz, die Klamotten sind schwarz, der Vibe ist schwarz. Es ist irgendwie düster und melancholisch, aber nicht trübsinnig, es ist auch viel Humor dabei. Dann geht es um diese alten düsteren Ideen, die es schon seit Ewigkeiten gibt und für die sich die Leute schon immer interessieren. Und am Ende ist die Musik auch einfach richtig gut. Es gibt viele richtig tolle Gothic-Bands.


Sie sind mit der Band The Membranes selbst seit den 80ern in der Szene aktiv. Hat die Perspektive als Musiker ihr Schreiben über diese Themen verändert?

Ich schätze, wir sind eher eine Post-Punk-Band, aber wir haben uns irgendwie in alles eingefügt. Ich meine, die meisten Bands gehören nicht wirklich zu Szenen, sie haben halt ein Publikum, das aus verschiedenen Leuten an verschiedenen Orten besteht. Aber ja, ich denke schon, dass es das Schreiben verändert, weil man es aus der Perspektive eines Musikers versteht. Und all die Bands, die man als Musiker kennt, man hat mit ihnen Gigs gespielt, war mit ihnen auf Festivals usw. Man bekommt definitiv einen anderen Einblick, wenn man Insider ist, und versteht die Rolle, die Musik in der Kultur spielt.

> Lesung aus »Goth – die dunkle Seite des Punk« am 09.06., 15.30 Uhr, Ballsaal Markkleeberg
> Konzert von »The Membranes« 09.06., 21.10 Uhr, Haus Leipzig


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