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Kultur

Mit Ersatzeltern gegen Dämonen

Daniel Abmas »Im Prinzip Familie« zeigt empfindsam die Gefühlsachterbahnen in einer Betreuungseinrichtung für Kinder

  Mit Ersatzeltern gegen Dämonen | Daniel Abmas »Im Prinzip Familie« zeigt empfindsam die Gefühlsachterbahnen in einer Betreuungseinrichtung für Kinder  Foto: Filmstill »Im Prinzip Familie«/Camino Filmverleih


Niklas sitzt mit Erzieherin Antje am sommerlichen See. Es ist ein Abschied, aber nicht für immer: »Ich werd Sie sowieso noch mal besuchen kommen, mit Kuchen.« Fünf Jahre hat Niklas in der Wohngruppe gelebt, gelacht und manchmal auch geweint. Daniel Abma hat ihn und die anderen Bewohnerinnen und Bewohner begleitet. Dazu zählt auch Kelvin. Wie jedes der Kinder hat auch er viele Gesichter: Mal knuddelig beim Ausblasen eines Straußeneis, mal aggressiv wie bei seiner Schimpfkaskade im Bus. Die Kamera hält all das fest, die schönen ebenso wie die stressigen Momente.

Die Eskalation zwischen den Kindern ist hörbar, im Bild sieht man aber nur die Geländer des Treppenhauses, die in dieser Einstellung ein bisschen an Gitter erinnern. Immer wieder schafft es Regisseur Daniel Abma, die Emotionswallungen der beteiligten Personen und die Stimmung vor Ort fühlen zu lassen, ohne dass man die Szene sehen muss. Denn natürlich ist das Thema an sich schon sensibel, sind die Protagonistinnen und Protagonisten besonders schutzbedürftig.

Die Suche nach einem geeigneten Ort war für Abma alles andere als leicht. Fünf Jahre lang verbrachte er in der Einrichtung, um das Vertrauen der Kinder und ihrer Betreuerinnen und Betreuer zu erlangen. »Der Rechercheprozess hat sehr lange gedauert und war auch nötig, um Beziehungen aufzubauen mit den Erwachsenen, die mit den Kindern in dieser Wohngruppe arbeiten.« Der gebürtige Niederländer wohnte mehrere Wochen in der Einrichtung, arbeitete mit und durfte überall dabei sein. »Ich habe den Kindern Gutenachtgeschichten vorgelesen und mit ihnen eine Beziehung aufgebaut über die Jahre. Dadurch war es dann irgendwann möglich. Es gab grünes Licht. Wir können den Film machen.« Filmtonmeisterin Alexandra Praet und Johannes Praus mit seiner Kamera stießen hinzu. Gemeinsam verbrachten sie viele Wochen in der Einrichtung.

In dem Haus am See, gelegen im ländlichen Idyll, leben Betreuungspersonal und Kinder, die nicht bei ihren Eltern sein können. Rund 200.000 junge Menschen wachsen in Deutschland außerhalb der eigenen Familie in Wohngruppen und Pflegefamilien auf. Die stationäre Kinder- und Jugendhilfe ist dabei für viele mehr als nur eine Ersatzfamilie. Die Kamera folgt Kelvin und Niklas bei ihrem Ringen um Liebe, aber auch dem Betreuungsteam im alltäglichen Kampf mit Traumata, Enttäuschungen, Behörden und Eltern, die teils selbst enorme Lasten auf ihren Schultern tragen. Bedrückende Telefongespräche mit Müttern, die Termine nicht einhalten oder monatelang nicht zu Besuch kommen, dazu Kinder, die ihr Weinen unter heruntergezogener Kapuze verstecken oder in der Psychiatrie fixiert werden. Und das kiefermalmende Gesicht des Betreuers, das mehr über manche Entscheidung aussagt, als es Worte könnten.

Doch natürlich gibt es auch Lichtblicke – Filmemacher Abma gelingt ein ergreifendes Gesamtbild mit spannenden Einblicken, das die menschlichen Dramen authentisch erfasst, ohne dabei die Hoffnung zu verlieren. »Die Beziehungsarbeit spielte eine große Rolle bei der Entstehung des Films«, erklärt Abma. Schon im Rohschnitt durften die Beteiligten sich einbringen. Das Vertrauen der Kinder war schnell da, erzählt der Dresdner Kinematograf Johannes Praus: »Uns klebten die immer irgendwie am Bein, fragten uns, ob sie mal durch den Sucher gucken dürfen. Wenn wir angekommen sind früh und wenn wir das Haus verlassen haben abends, hatte ich immer diese Kamera dabei. Es kam auch mal vor, dass ein Kind sagte: ›Raus, ich möchte jetzt nicht, dass du filmst‹ und dann sind wir auch rausgegangen. Es kann aber auch sein, dass sich einige Minuten später die Tür wieder öffnet und man eingeladen wird, weil die Luft raus ist.«

Durch die große Nähe zu den Protagonistinnen und Protagonisten, also auch zu ihren Problemen, musste auch das Filmteam Wege der Verarbeitung finden, erklärt Daniel Abma: »Das sind alles intensive Szenen gewesen und bei uns war immer die Rückfahrt nach Hause sehr wichtig. Wir haben die ganze Rückfahrt darüber gesprochen – das war unsere Supervision«, sagt der Regisseur, dessen Film »Nach Wriezen« 2012 beim Dok Leipzig lief. Dieser Film über die Resozialisierung von Straftätern war auch einer der Ausgangspunkte für »Im Prinzip Familie«, der beim Dok im letzten Jahr drei Preise erhielt. Einige der Kinder der ehemaligen Häftlinge sind nun selbst in Jugendeinrichtungen gelandet. 

> ab 5.6., Passage-Kinos, Kinobar Prager Frühling



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