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Politik

Zwölf gegen die Demokratie

Der Wurzener Stadtrat hat dem dortigen Netzwerk für Demokratische Kultur eine wichtige Förderung gestrichen

  Zwölf gegen die Demokratie | Der Wurzener Stadtrat hat dem dortigen Netzwerk für Demokratische Kultur eine wichtige Förderung gestrichen  Foto: Über Kreuz mit der Stadt Wurzen: Melanie Haller vom NDK/Maggi Geppert


Eigentlich wirkt Melanie Haller wie eine, die nichts aus der Ruhe bringen kann. Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt sie auf einer Holzbank und blinzelt gegen die warme Sonne. Ab und zu trinkt sie einen Schluck Kaffee aus einer Tasse mit bunten Comicfiguren. Doch am Abend des 15. April war sie für einen Moment fassungslos: »Wir standen da wie begossene Pudel«, erinnert sich die Vereinsmanagerin des Netzwerks für Demokratische Kultur (NDK) in Wurzen. Wie gelähmt seien sie und ihre Kollegin Martina Glass gewesen, unter Schock. Denn der Wurzener Stadtrat hatte über eine Fördersumme für das NDK abgestimmt: 12.900 Euro. Von diesem sogenannten Sitzgemeindeanteil ist abhängig, ob das NDK weitere Fördergelder in Höhe von 70.000 Euro beim Kulturraum Leipziger Raum beantragen kann. Mit der Kulturraumförderung werden seit 2003 soziokulturelle Projekte des NDK finanziert.

Fünf Stadträtinnen und Stadträte stimmten für den städtischen Zuschuss, zwölf stimmten dagegen, drei enthielten sich. Haller vermutet: »CDU und AfD haben gemeinsam gegen uns gestimmt.« AfD und CDU kommen im Stadtrat gemeinsam auf 14 Sitze, die Bürger für Wurzen auf vier, Linke und SPD auf jeweils zwei. Stimmberechtigt ist zudem der parteilose Oberbürgermeister Marcel Buchta. Das genaue Abstimmverhalten der 20 Anwesenden ist unbekannt, denn die Abstimmung fand geheim statt – eine absolute Ausnahme bei Stadtratsabstimmungen.

»Bedrohungslage«

Oberbürgermeister Buchta hatte im Stadtrat von einer »Bedrohungslage« gesprochen und daraufhin den Antrag auf geheime Abstimmung gestellt. Auf die Anfrage einer SPD-Stadträtin, was »Bedrohungslage« denn genau heiße, ging Buchta nicht weiter ein. So erzählt es Melanie Haller und so bestätigt es auch Cornelia Hanspach, Pressesprecherin der Stadt Wurzen. Im Kulturausschuss, der etwa einen Monat vor der Stadtratssitzung tagte, sei es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Wurzener Bürger und Linke-Mitglied Michael Tietz, der sich auch beim NDK engagiert, und den CDU-Stadträtinnen Sarah Fischer und Daniela Thiele gekommen. Ursprünglich sollte der Kulturausschuss über den kommunalen Förderanteil für das NDK entscheiden. Doch stattdessen stimmten CDU und AfD dafür, die Entscheidung mit in die Stadtratssitzung zu nehmen – auf Antrag von AfD-Stadtrat Lars Vogel. Eine Anfrage des kreuzer an die CDU-Fraktion zu diesen Vorgängen blieb unbeantwortet. Gegenüber der LVZ sagte Sarah Fischer aber, dass sie von Tietz nach dem Ausschuss heftig zur Rede gestellt worden sei und sich bedroht gefühlt habe. Dies habe sie auch gegenüber dem Oberbürgermeister geäußert.

Melanie Haller habe von all dem nichts mitbekommen. Sie sei vom Argument der Bedrohungslage ebenso überrascht gewesen wie die übrigen Stadträte und -rätinnen im Saal. Doch als sich die Mehrheit für eine geheime Abstimmung entschied, habe sie bereits geahnt, wie das Ergebnis ausfallen könnte.

Politische Motivation oder Sparzwang?

»Rein formell war es eine demokratische Entscheidung«, sagt Haller. Aber zwölf Menschen hätten nun entschieden, was Hunderte Wurzenerinnen und Wurzener betrifft, die das soziokulturelle Angebot des NDK regelmäßig nutzen. Über dreißig Veranstaltungen im Jahr – darunter Konzerte, Theateraufführungen, Filme und Diskussionen –, ein wöchentlicher Tresen-Abend, Projekte der Erinnerungskultur, das Kultur- und Bürgerinnenzentrum D5 am Domplatz und die Stelle des Ehrenamtskoordinators stünden auf dem Spiel.

Haller ist davon überzeugt, dass die Abstimmung politisch motiviert gewesen sei. »Dieses Narrativ, dass wir eine linke bis linksextreme Enklave sind, gibt es schon von Anfang an«, sagt Haller, also seit gut 25 Jahren. Dabei seien die Mitglieder des NDK ebenso breit aufgestellt wie das kulturelle Angebot des Vereins – immer auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Doch das scheint einigen in der Stadt nicht zu passen.

Für Cornelia Hanspach ist die Situation nicht so eindeutig. Die Pressesprecherin der Stadt Wurzen zeigt gegenüber dem kreuzer Verständnis für die Entscheidung des Stadtrats. Dass AfD-Stadtrat Lars Vogel, der im Ausschuss den Antrag auf Abstimmung im Stadtrat stellte, »ein Problem mit dem NDK hat, ist nicht von der Hand zu weisen«, sagt Hanspach. »Aber für viele Stadträte wird auch die Haushaltssituation entscheidend gewesen sein.« Diese sei Grund dafür, dass die Stadt genau abwäge, wo sie ihr Geld ausgebe. Mit rund 294.000 Euro fördert Wurzen 2026 seine etwa 45 Vereine, davon fließen 36.500 Euro in Sitzgemeindeanteile, die in den letzten Jahren stark gestiegen seien. Grundsätzlich sei die Haltung der Stadt, dass Landesförderprogramme wie die Kulturraumförderung auch komplett aus Landesmitteln finanziert würden. »Das NDK ist nicht der einzige Verein, der sich um Förderungen bewerben kann. Und aus unserer Sicht leisten alle Vereine in Wurzen wichtige demokratische Arbeit«, sagt Hanspach. Für sie gehe die Diskussion in die falsche Richtung: »Es geht wieder nur um einen Verein.«

Wie kein anderer Verein ist das NDK jedoch zum Feindbild geworden: Anfang der 2000er Jahre habe eine Gruppe jugendlicher Neonazis eine Veranstaltung gestürmt und ein Banner in Brand gesetzt, erzählt Haller. Das ehemalige Büro des NDK in der Bahnhofsstraße sei regelmäßig bespuckt worden, im jetzigen Quartier am Domplatz habe jemand mal einen Fahrradständer durch das Fenster geworfen.

Das Theater von links und rechts

Auf der Website des Vereins kann man nachlesen, wie das NDK 1999 von jungen Punks und Mitgliedern der jungen Gemeinde gegründet wurde. »Sie wollten nicht länger hinnehmen, dass die sächsische Kleinstadt von Neonazistrukturen dominiert wurde, während die Stadtspitze und die Mehrheit der Bürger:innen wegschaute«, heißt es dort. Hört man sich an einem Montagmorgen in der fast ausgestorbenen Wurzener Innenstadt um, scheint das NDK nach wie vor in seiner Gründungsgeschichte verhaftet zu sein. »Dieses Theater von links und rechts, das geht schon seit den Neunzigern«, sagt ein Mann mit grauen Haaren, der frustriert seine Zigarette auf die Straße schnipst. Eine ältere Frau sagt, dass sie sich mit dem NDK nicht sonderlich gut auskenne, aber sie höre Unterschiedliches. Was denn zum Beispiel? »Da kommen doch immer die Linken aus Connewitz hin.«

Auch Lena Schlutter kennt die Vorbehalte gegenüber dem NDK. Sie ist beim NDK ehrenamtlich an der AG Feminismus beteiligt und arbeitet hauptamtlich für das Projekt »Leerstellen – Betroffene rechter Gewalt im Landkreis Leipzig und ihre Perspektiven«. Den Vorwurf des Linksextremismus weist sie vehement zurück: »Das NDK ist eine demokratische Organisation, die sehr darauf achtet, dass sie das auch bleibt.« Auch die Kritik einiger in Wurzen, das NDK würde kein Angebot für die Menschen vor Ort schaffen, findet sie falsch. In der Stadt gebe es kaum Abendveranstaltungen, selbst das Kino habe vor Jahren geschlossen. Das NDK hingegen würde mit Filmvorführungen und Konzerten ein reichhaltiges Programm anbieten. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass da nicht für jeden oder jede auch mal was dabei ist«, sagt Schlutter. Es fehle in der Stadtgesellschaft teilweise an Offenheit, die Angebote wahrzunehmen.

Pressesprecherin Hanspach ringt am Telefon um Worte, gefragt nach der Bedeutung des NDK für die Stadt. »Das NDK macht ganz wertvolle Arbeit und ich arbeite sehr gut mit denen zusammen«, sagt sie. »Aber wenn der Verein nun einen Alleinvertretungsanspruch für demokratisches Miteinander aufstellt, sehen sich diejenigen in ihrer Entscheidung bestätigt, die die Förderung abgelehnt haben.«

Wie geht es jetzt weiter?

»Für dieses Jahr sind wir noch finanziert«, sagt Melanie Haller. Doch für 2026 könnte es eng werden. Den Antrag auf Weiterförderung habe man trotzdem Ende April beim Kulturraum eingereicht, zusammen mit einem Unterstützerschreiben des Oberbürgermeisters Marcel Buchta. Im November werde der Konvent des Kulturraumes tagen und endgültig über den Förderantrag entscheiden. »Das letzte Wort muss nicht gesprochen worden sein«, sagt uns Sebastian Miklitsch am Telefon, Kultursekretär des Kulturraums Leipziger Land. Wenn Gründe vorgebracht würden, gebe es durchaus die Möglichkeit, vom Sitzgemeindeanteil von acht Prozent abzuweichen. Allerdings: Ganz ohne Zuschuss der Stadt ginge es nicht, das verhindere die Förderrichtlinie. »Wir waren schwer überrascht, dass der Stadtrat so entschieden hat«, sagt Miklitsch, der die Arbeit des NDK als »sehr relevant« einschätzt. Gern würde man den Verein daher weiter unterstützen. Aber durch den Stadtratsbeschluss entstehe der Eindruck, die Stadt habe daran kein Interesse. Über die demokratische Entscheidung könne sich der Kulturkonvent jedoch nicht hinwegsetzen.

Der Verein versuche nun, unabhängiger zu werden, und habe eine Spendenkampagne ins Leben gerufen, sagt Melanie Haller. Im Januar, nach zehnjähriger Sanierung, habe nun auch endlich das Tagungshaus mit 21 Übernachtungsmöglichkeiten geöffnet. »Wir wollen das richtig zum Brummen bringen, um perspektivisch die Betriebskosten für unser Haus und eine grundlegende Infrastruktur finanzieren zu können«, so Haller. Im September wird der Verein die offizielle Eröffnung des Tagungshauses und das 25-jährige Bestehen des NDK mit einem großen Event feiern. Doch schon im kommenden Jahr könnte vieles wieder verschwinden, das im letzten Vierteljahrhundert gewachsen ist.


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