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Stadtleben

Trauer und Protest

Am 21. Juli findet im Elsapark eine Gedenkveranstaltung für verstorbene Drogengebrauchende statt

  Trauer und Protest | Am 21. Juli findet im Elsapark eine Gedenkveranstaltung für verstorbene Drogengebrauchende statt  Foto: Marius Mörtl


19 Personen sind im Jahr 2024 in Leipzig an Folgen von Drogengebrauch gestorben. Das geht aus dem Suchtbericht der Polizei Leipzig hervor. In den Jahren zuvor waren es stets weniger als 15 erfasste Todesfälle. Deutschlandweit erfasste das Bundeskriminalamt letztes Jahr 2.137 Todesfälle. Im Vergleich zu 2014 hat sich dieser Wert verdoppelt. Um den Verstorbenen zu gedenken, wird seit 1998 der 21. Juli in Deutschland als Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende begangen. Auf den Tag genau vier Jahre zuvor war der 21-jährige Ingo Marten in Gladbeck an den Folgen seines Drogenkonsums gestorben. Als Symbol für den Gedenktag wurde in den vergangenen Jahren ein bunter Schmetterling etabliert.

Die Gedenkveranstaltung in Leipzig organisieren das Zentrum für Drogenhilfe (ZFD), das Suchtzentrum Leipzig (SZL), die Drug Scouts Leipzig und das Sachgebiet Straßensozialarbeit des Jugendamts. Zu den Organisierenden gehören die Straßensozialarbeitenden Leona Scheffler (SZL) und Michael Gumprecht (ZFD). Beide arbeiten auf Leipzigs Straßen mit Drogengebrauchenden, Todesfälle gehören dazu, erzählen sie dem kreuzer am Telefon. Meistens erzählen ihnen Freundinnen und Freunde von Verstorbenen von Todesfällen, sagt Gumprecht: »Neulich informierte uns aber auch ein Hauseigentümer, weil er wusste, dass einer seiner Mieter bei uns Unterstützung bekam. Denn nicht alle Klientinnen und Klienten von uns sind wohnungslos, manche haben eine Wohnung.«

Sozialarbeitende nutzen den Tag auch selbst, um ihrer Trauer Raum geben zu können, die in anderen Momenten ungenügend Platz bekommt. »Wir müssen natürlich unseren Arbeitsalltag weiterführen, wenn Menschen sterben, mit denen wir gearbeitet haben«, sagt Scheffler. »Uns fehlen da selbst Räume, um kurz innezuhalten und zu trauern. Das sind ja oft Personen, die wir jahrelang begleitet haben.« Vor allem richten sie sich mit dem Gedenktag aber an Angehörige und befreundete Personen der Verstorbenen. Laut Gumprecht sind Freundinnen und Freunde, die selbst gesetzlich als illegal eingestufte Drogen gebrauchen, auf von Angehörigen organisierten Beerdigungen oft unerwünscht. Grund dafür sei die Stigmatisierung von Drogengebrauch und Drogengebrauchenden. Hinterbliebene würden häufig versuchen, jegliche Berührungspunkte mit der Drogenszene zu meiden und Drogengebrauchende, welche den Verstorbenen nahestanden, damit ausschließen.

Meistens finden Bestattungen von Drogengebrauchenden aber ohne anschließende Trauerfeier statt und werden vom Sozialamt finanziert, weil Angehörige nicht auffindbar sind.

»Eine Stigmatisierung von Drogengebrauchenden findet in zahlreichen Momenten statt«, erzählt Gumprecht. »In alltäglichen Situationen wie einer Fahrt mit der Straßenbahn setzt sich niemand neben Menschen, denen ihre Wohnungslosigkeit und unter Umständen auch ihr Drogengebrauch angesehen werden kann.« Besonders präsent sei eine Stigmatisierung von wohnungslosen Drogengebrauchenden auch, wenn diese medizinische Versorgung brauchen. Klientinnen und Klienten berichten immer wieder, dass ihnen medizinisches Fachpersonal in Arztpraxen und Krankenhäusern mit abwertender Haltung begegnet, sagt Gumprecht dem kreuzer. Dies führe dazu, dass wohnungslose Drogengebrauchende aus Angst vor stigmatisierender Ablehnung gehemmter werden, sich medizinische Hilfe zu holen und sich oft gar nicht behandeln lassen.

Lückenhaftes Hilfesystem – auch in Leipzig

»Der 21. Juli ist nicht nur Tag der Trauer, sondern auch Tag des Protests«, sagt Katrin Schröder von den Drug Scouts Leipzig, eine Informationsstelle für junge Drogengebrauchende. Die Drug Scouts haben in Zusammenarbeit mit der Stadt Leipzig vor rund 20 Jahren die erste Veranstaltung zum Gedenktag initiiert. »Tag des Protests« ist der Gedenktag, weil er auf das lückenhafte Hilfesystem für Drogengebrauchende hinweisen soll. Schröder erzählt, das Hilfesystem sei fast überall ausbaufähig: »Oft fehlt es an Geld, um alle nötigen Hilfsangebote finanzieren zu können«. In Leipzig sei durch die verschiedenen Anlaufstellen wie die Drug Scouts, das SZL und das ZFD ein gutes Hilfsnetzwerk vorhanden. »Jetzt ist in Leipzig auch endlich ein mobiler Drogenkonsumraum in Planung, das hat ganz lange gedauert. Aber Drug Checking, also Drogentestprogramme, haben wir immer noch nicht«, erzählt Schröder. Sylke Liebscher, Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig, sagt dem kreuzer, dass zwar die Voraussetzungen für die Einrichtung eines mobilen Drogenkonsumraumes durch eine diesbezüglich in Sachsen verabschiedete Rechtsverordnung und durch einen Leipziger Stadtratsbeschluss geschaffen wurden, »wann das Projekt starten kann, steht aber im Moment noch nicht fest.« Zur generellen Lage der vorhandenen Hilfsangebote sagt Liebscher: »Das vorhandene Hilfsangebot wird nie endgültig perfekt sein. Sucht ist immer eine Dynamik und es gibt Wandlungen, die man nicht vorhersehen kann. Dadurch muss sich auch das Hilfesystem stetig mit wandeln und den Gegebenheiten anpassen, die beispielsweise durch neue Drogen verändert werden können.« Auch die Stigmatisierung von drogengebrauchenden Menschen soll laut Schröder durch den Gedenktag aufgebrochen werden, sodass keiner Person lediglich aufgrund ihres Drogengebrauchs weniger Achtung entgegengebracht wird. Dies wird durch die Inschrift auf dem Leipziger Gedenkstein verdeutlicht. Dieser steht im Elsapark im Leipziger Osten, seine Inschrift endet mit den Worten des Artikels eins des Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.«

Die Errichtung eines Gedenksteins für verstorbene Drogengebrauchende in Leipzig war elf Jahre in Planung, bis das Projekt 2020 realisiert wurde. Mitarbeitende aus den Organisationen, die auch die Gedenkveranstaltung planen, haben zu diesem Zweck die Initiative I.G.edenkstein gegründet. Die Finanzierung wurde letztendlich auch durch bei den Gedenkveranstaltungen eingenommene Spenden möglich.

Am Gedenkstein findet auch in diesem Jahr die Veranstaltung statt. Beginn ist um 16 Uhr mit einer Eröffnungsrede von Dirk Schäffer. Er leitet den Fachbereich Drogen und Strafvollzug der deutschen AIDS-Hilfe. Anschließend feiert Pfarrer Sebastian Keller der evangelischen Gemeinde Leipzig-Thonberg mit den Anwesenden eine Andacht. Gumprecht wird die Veranstaltung moderieren. Die Suchtbeauftragte Liebscher wird zur derzeitigen Situation der Hilfsangebote und lokalen Drogenpolitik in Leipzig sprechen. Außerdem bestehe laut Scheffler für alle Anwesenden die Möglichkeit, selbst das Mikro in die Hand zu nehmen und einer Person laut zu gedenken. Um den Verstorbenen symbolisch auch einen physischen Platz zu geben, stellen Sozialarbeitende des Jugendamts im Elsapark jedes Jahr schwarze Holzkreuze auf. Auf ihnen stehen Geschlecht und Alter von in Leipzig verstorbenen Drogengebrauchenden. Auch ein Kondolenzbuch wird dort ausliegen, in welches sich Anwesende eintragen können. Im Anschluss wird im nahegelegenen Rabet ein »Fest des Lebens« mit gemeinsamem Grillen und vor Ort aufgelegter Musik gefeiert.


> Willkommen sind bei der Gedenkveranstaltung alle interessierten Menschen unabhängig von ihren Berührungspunkten mit der Thematik. Wichtig ist, sich der Bedeutung des dort geschaffenen Raumes für betroffene Anwesende bewusst zu sein.


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