anzeige
anzeige
Kultur

Besitz und Geschichten

Eine Ausstellung in Potsdam zeigt Kunst aus der DDR – und erinnert dabei an den Leipziger Kunstwissenschaftler Henry Schumann (1931–2006)

  Besitz und Geschichten | Eine Ausstellung in Potsdam zeigt Kunst aus der DDR – und erinnert dabei an den Leipziger Kunstwissenschaftler Henry Schumann (1931–2006)  Foto: VG BILD-KUNST, BONN 2024


Skeptisch guckt ein Mann unbestimmten Alters aus dem Gemälde auf die Betrachtenden. Es handelt sich um den Kunstwissenschaftler Henry Schumann, 1968 gemalt von Arno Rink, der im Hintergrund sein ein Jahr zuvor geschaffenes Diplombild »Lied vom Oktober« zitiert. Schumann ist damals 37 Jahre alt und Rink 28. Das Gemälde befindet sich in der Sammlung von Hasso Plattner und gab den Anlass für die noch bis zum 10. August in Potsdam zu sehende Ausstellung »Im Dialog – Sammlung Hasso Plattner: Kunst aus der DDR«. Daniel Milnes hat sie fürs Kunsthaus Minsk kuratiert.

Der 1944 in Berlin geborene Hasso Plattner ist Mitbegründer des Softwareunternehmens SAP, sein Familienvermögen schätzte Forbes im letzten Jahr auf 12,1 Milliarden Euro. Er tritt in Potsdam als Mäzen auf: 2007 spendete er 20 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Fassade des Potsdamer Stadtschlosses. Mit der Hasso-Plattner-Foundation initiierte er den Wiederaufbau des Palais Barberini, das 2017 als Museum für seine Sammlung eröffnete. Das ehemalige, 1977 eröffnete Terrassencafé Minsk erwarb die Stiftung 2019 und eröffnete drei Jahre später das Kunsthaus.

Die Ausstellung basiert auf dem 1976 von Henry Schumann im Verlag E. A. Seemann herausgegebenen Band »Ateliergespräche«. Darin zeichnet er seine Gespräche mit 19 Künstlern und einer Künstlerin auf. Seine Motivation beschreibt Schumann in den Vorbemerkungen: »Um die Meinungen der Künstler ging es vor allem, die Ansichten des Autors sind hier von minderer Bedeutung. Seine Fragen und Zwischenbemerkungen hatten vor allem den Zweck, Antworten zu provozieren. Wichtigstes Medium war das Tonbandgerät. Die Auswahl der Künstler war in allen Fällen der subjektiven Entscheidung des Autors überlassen, der sich nicht nur von seinen persönlichen Neigungen, sondern von Gesamterfahrungen leiten ließ, die er bei seiner Beschäftigung mit der Kunst der DDR gemacht hat. Neben den Namen bekannter und bewährter Künstler mit fundierten Haltungen findet der Leser Namen jüngerer, noch suchender und im spannungsvollen Prozess der Selbstverwirklichung befindlicher Künstler.«

Die Mehrzahl bildet die Generation der damals 30- bis 50-jährigen in Berlin, Leipzig und Dresden Lebenden. Aus Leipzig sind Bernhard Heisig, Werner Hennig, Ursula Mattheuer-Neustädt, Rolf Münzner, Wolfgang Peuker, Arno Rink und Werner Tübke vertreten. Zu jedem Gespräch leitet Schumann mit einer Seite Text zur Atmosphäre des Gesprächs ein, woher sich die miteinander Sprechenden kennen und wie er selbst das Gespräch wahrnahm.

Als freiberuflicher Kunstwissenschaftler hatte Schumann 1974 einen sogenannten Entwicklungsvertrag mit dem Seemann-Verlag geschlossen. Dieser ist nun neben Arbeiten von Heisig, Tübke und Rink im Erdgeschoss des Kunsthauses zu sehen. Die einzelnen Buchseiten sind auf einem durch den Raum führenden Display nachzulesen. Eine Zeittafel von 1974 bis 1976 soll den Entstehungsprozess des Bandes bis zur Drucklegung »in den Kontext der Kultur- und Zeitgeschichte« einordnen. In den Vitrinen darunter: die Biermann-Dokumentation von 1976 aus dem Sammlungsbestand und eben der Vertrag Schumanns mit dem Verlag. Wer darin auf Honorarzahlen hofft, wird ebenso enttäuscht wie diejenigen, die eine Biografie des Leipziger Kunstwissenschaftlers suchen. Deshalb hier: Henry Schumann wurde 1931 in Störmthal geboren, studierte Kunstwissenschaften und Germanistik, ehe er ab 1961 als Kunstkritiker, Herausgeber und Autor arbeitete. Er starb 2006 in Leipzig. Eine umfangreiche, detaillierte Biografie liegt aktuell nicht vor.

Die Potsdamer Ausstellung zeigt auch Arbeiten von Künstlern, die in Schumanns Band nicht auftauchen, aber in der Sammlung Plattners vertreten sind: etwa Ulrich Hachulla und Hartwig Ebersbach. Bei allen Arbeiten fehlt die Angabe, seit wann sie sich in der Sammlung befinden.

Das Obergeschoss knüpft – mit Arbeiten aus dem Sammlungsbestand und einigen Leihgaben – unter dem Titel »Die nicht stattgefundenen Gespräche« an Schumanns Band an. Dass eine Privatsammlung nicht für objektive Geschichtsschreibung taugt, wird hier besonders deutlich. Mit Carlfriedrich Claus (1930–98) ist zum Beispiel eine der interessantesten künstlerischen Positionen der DDR gar nicht vertreten – obwohl sie in Schumanns »Ateliergesprächen« ist.

Zu den »nicht stattgefundenen Gesprächen« zählen die Arbeiten, die die DDR erstmals 1977 auf der Documenta vertraten: neben Heisig und Tübke Willi Sitte und Wolfgang Mattheuer. Wenige Meter davon entfernt hängt Gerhard Richters »AB Still« aus dem Jahr 1986. Der 1961 aus der DDR geflüchtete Künstler hatte aus Protest dagegen seine Arbeiten unmittelbar nach der Eröffnung der Documenta 1977 abgehängt. Richters Werk, das hier komplett aus dem Kontext fällt, wird als Sammlungs-Schmuckstück präsentiert, ein in den Raum ragendes Podest davor sichert es vor neugierigen Annäherungen.

Die Präsentation von DDR-Kunst ist dem Sammler ein besonderes Anliegen, wie in der Pressemappe nachzulesen ist: »Dass die Kunst in vielen Museen noch immer viel zu selten zu sehen ist, ist sehr schade. Ihr im Minsk die gebührende Wertschätzung entgegenzubringen, verstehe ich auch als Anerkennung der Lebensleistung der DDR-Bürgerinnen und -Bürger ganz allgemein.« Dass vor dem Kunsthaus als einziges ein abstraktes Kunstwerk von Gerhard Richter als Fahne hängt, scheint für ihn kein Widerspruch dazu zu sein. 


> bis 10.8., Kunsthaus Das Minsk, Max-Planck-Str. 17, 14473 Potsdam, Mi–Mo 10–19 Uhr, Infos und die 19-seitige Broschüre zur Ausstellung zum Download unter www.dasminsk.de

> Unter dem Titel »Ateliergespräche 2025« gibt es zudem einen Podcast, in dem Kurator Daniel Milnes mit Künstlerinnen und Künstlern spricht.


Kommentieren


0 Kommentar(e)