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Stadtleben

Durchboxen

Flinta*-Personen in Leipzig kämpfen für Sichtbarkeit im Boxsport

  Durchboxen | Flinta*-Personen in Leipzig kämpfen für Sichtbarkeit im Boxsport  Foto: Leon Joshua Dreischulte


Boxhandschuhe, die weich gepolstert aussehen, treffen hart auf die zur Abwehr positionierten Arme der anderen Person. Mit festen Blicken werden die Gegner:innen fixiert. Immer wieder wird eine der beiden Personen gegen die helle Wand gedrängt, die den mit Matten ausgelegten Raum umgibt. Hier treffen sich Vereinsmitglieder des Boxclubs Klein Paris im Leipziger Osten zum Sparring. Bei den Testkämpfen liegt der Fokus auf der Verbesserung der Technik, bevor es dann im richtigen Wettkampf ums Gewinnen geht. Die Spannung und Konzentration sind aber schon im Training spürbar. Schläge sind von hörbarem Ausatmen begleitet. Ein Lautsprecher steht zwischen Hanteln und Boxhandschuhen auf einem kleinen Holztisch und füllt den Raum mit wummernder Musik, die tanzbar wirkt und hier boxbar wird. Der Schweiß auf den Körpern der boxenden Personen glitzert.

Einige der Personen beim Sparring im Boxclub bereiten sich auf die Power Punch Gala am Samstag vor. Bei der Wettkampfveranstaltung treten Flinta*-Personen in drei verschiedenen Disziplinen gegeneinander an: olympisches Boxen, Muay Thai und Brazilian Jiu Jitsu (BJJ). Muay Thai erlaubt im Unterschied zum Boxen auch Fußtritte und BJJ ist eine Bodenkampfkunst, die weniger auf Schläge und Tritte fokussiert ist als die anderen beiden Disziplinen.

Letztes Jahr rief eine Gruppe von Kampfsport betreibenden Flinta*-Personen die Veranstaltung unter dem Namen Olga Benario Gala ins Leben. Olga Benario war eine unter dem Nationalsozialismus ermordete jüdische Kommunistin. Unter dem Namen Power Punch Gala findet die Gala am Samstag zum zweiten Mal statt, dieses Mal, ohne einer spezifischen Person zu gedenken.

Gegen binär strukturierte Räume

Zu den Wettkämpfen zugelassen sind nur Flinta*-Personen über 18, die sich zuvor angemeldet haben. Die Veranstaltenden wollen einen inklusiven Raum für Wettkämpfe bieten, in dem sich Menschen unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität zugehörig und willkommen fühlen.

Warum das Erschaffen von einem solchen sicheren Raum wichtig ist und auf welche Hürden trans, inter und nicht binäre Personen im Boxen stoßen, hat Charlie Delonge am 22. Juli bei einem Vortrag im Conne Island erklärt. Delonge leitet das Leipziger Kampfsportstudio Prisma Dojo.

Wie in anderen Sportarten gibt es auch im Kampfsport binär strukturierte Räume, in denen Personen klar in die Kategorien »männlich« und »weiblich« eingeordnet werden, was viele Flinta*-Personen ausschließt. Das zeigt sich in den Regelungen von internationalen Sportverbänden wie »World Boxing«. Dort ist festgelegt, dass trans und intergeschlechtliche Personen hormonelle und chromosomale Tests durchführen lassen müssen und bei trans Personen eine Transition im Kindesalter stattgefunden haben muss. Diese extrem harten Auflagen verwehren vielen Personen den Zugang zum Leistungssport. Auch lokale Kampfsporträume und -veranstaltungen sind meist binär organisiert. Oft lassen sie nichtbinäre Personen nur mit erzwungener Einordnung als männlich oder weiblich bei Wettkämpfen zu.

Bei der Power Punch Gala gibt es diese binäre Einteilung nicht. Die Organisierenden haben die angemeldeten Personen nach Gewicht und Erfahrungsstufe geordnet, um möglichst faire Kämpfe zu ermöglichen. Zwar haben die Teilnehmenden bei der Anmeldung ihre Geschlechtsidentität angegeben und ob sie gegen Personen mit derselben Geschlechtsidentität antreten wollen. Wenn ihnen das egal war, wurden die Kämpfe aber nicht auf Basis der Geschlechtsidentität geplant. Dieser Ansatz bricht mit der Annahme, dass faire Wettbewerbsbedingungen nur auf Basis von Geschlecht geschaffen werden können. Laut Delonge würden die restriktiven und exkludierenden Regelwerke der Sportverbände dies fälschlicherweise suggerieren.

Die Organisierenden der Power Punch Gala haben das Ziel, mit ihrer Veranstaltung Sichtbarkeit zu schaffen. Sichtbarkeit von Flinta*-Personen im Kampfsport. Und Ermutigung für Flinta*-Personen, in der Kampfsportszene Raum einzufordern und sich in einem sicheren Raum auszuprobieren. Außerdem soll Sichtbarkeit geschaffen werden für das, »wo es gerade brennt«, sagt Mitorganisatorin Nicole, die im Text nur mit Vornamen auftauchen will, dem kreuzer. Damit meint sie politische Themen, die den Spendenzweck der Veranstaltung bestimmen.

Live Event im Conne Island

In diesem Jahr sammeln die Veranstaltenden Geld zur Unterstützung der Angeklagten der Budapest-Prozesse. Der non-binären Maja T. und anderen Personen aus Deutschland wird vorgeworfen, im Februar 2023 Teilnehmende eines rechtsextremen Aufmarschs in Budapest angegriffen zu haben. Deutsche Behörden lieferten T. im Juni 2024 nach Ungarn aus, wo sie in Isolationshaft sitzt. Ihre Auslieferung erklärte das Bundesverfassungsgericht im Nachhinein für rechtswidrig, was seit Monaten für Proteste sorgt. Parteiübergreifend setzen sich Politikerinnen und Politiker dafür ein, dass T. zurück nach Deutschland überführt wird. Die Veranstaltenden der Power Punch Gala wollen mit ihren Einnahmen Hilfsstrukturen für Angeklagte der Budapest-Prozesse unterstützen.

Die Wettkämpfe beginnen am Samstag um 14 Uhr. Dafür wird im Conne Island ein Ring aufgebaut sein. Außerdem gibt eine Tombola, Dosenwerfen, Getränke und Gegrilltes sowie ab 20 Uhr eine Aftershow-Party auf dem Freisitz des Conne Island.

Wer im Vorhinein keine Eintrittskarte kaufen konnte, kann am Samstag für einen Preis von zwei bis fünf Euro vor Ort im Außenbereich eine Liveübertragung der Wettkämpfe anschauen. Für alle Flinta*-Personen, die die Anmeldung verpasst haben und trotzdem an den Wettkämpfen teilnehmen wollen, gibt es am Sonntag von 12 bis 14 Uhr erneut Wettkämpfe im Boxen und Muay Thai, bei denen keine Voranmeldung nötig ist. Auch ein Schnupperworkshop im BJJ wird am Sonntag von 11 bis 12 Uhr stattfinden. Er richtet sich an Menschen ohne oder mit wenig Erfahrung im BJJ.

> Die Abkürzung Flinta* steht für Frauen, Lesben, inter, nicht binäre, trans und agender* Personen


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