anzeige
anzeige
Stadtleben

»Es bleibt eben der Papa oder die Mama«

Kinderschutzkoordinatorin Maria Rosenblatt und Kinderarzt Matthias Bernhard über das Leipziger Childhood-Haus, einem Schutzraum für Kinder nach sexuellem Missbrauch

  »Es bleibt eben der Papa oder die Mama« | Kinderschutzkoordinatorin Maria Rosenblatt und Kinderarzt Matthias Bernhard über das Leipziger Childhood-Haus, einem Schutzraum für Kinder nach sexuellem Missbrauch  Foto: Michael Bader


Als erstes seiner Art in Deutschland wurde das Childhood-Haus 2018 im Universitätsklinikum Leipzig eröffnet. Ausschlaggebend für die Wahl Leipzigs waren nicht nur die vorhandene Expertise in der Kinderschutzmedizin, sondern auch die familiären Wurzeln der schwedischen Königin in Markkleeberg, die mit ihrer Stiftung »World Childhood Foundation« die Anschubfinanzierung leistete.

Beim Eintreten empfangen einen warme Farben an den Wänden, eine Ecke ist mit Spielzeugen kindgerecht eingerichtet. Ganz anders sieht es hinter den Türen aus: ein nüchterner Vernehmungsraum mit Kameras, zwei Stühlen, einem Plüschtier. In einem fensterlosen Nebenraum können mehrere Personen die Vernehmung live verfolgen. Ein weiterer Raum ist für die medizinische Erstuntersuchung vorgesehen.

Die Idee hinter dem Childhood-Haus: Retraumatisierungen vermeiden, den Fokus auf das Kind legen. Wie das in der Praxis gelingt, haben wir mit Kinderschutzkoordinatorin Maria Rosenblatt und dem ärztlichen Leiter der Kinderschutzgruppe, Matthias Bernhard, besprochen.


Wie sind Sie zum Childhood-Haus gekommen?

MATTHIAS BERNHARD: Kinderschutzfälle, also misshandelte oder missbrauchte Kinder, gehören leider zur Kinderheilkunde dazu. Meine erste Berührung damit hatte ich, als ich etwa ein halbes Jahr als Kinderarzt gearbeitet hatte: ein schwer misshandelter Säugling mit Schütteltrauma. Zu meinem Glück oder Pech war ich damals allein auf Station und somit verantwortlich. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben mit Rechtsmedizin, Polizei und Justiz zu tun. Das waren eigentlich alles nur Menschen, die gemeinsam ein Ziel verfolgen: dem misshandelten Kind zu helfen. Damals habe ich gelernt, dass man gemeinsam am besten vorankommt.

Vor über 15 Jahren wurde ich dann gefragt, ob ich mich intensiver im Kinderschutz engagieren möchte. Zusammen mit einer ehemaligen Kollegin, Frau Dr. Nickel, einer Psychologin, die hier am Klinikum vor über 25 Jahren die Kinderschutzgruppe gegründet hat, haben wir diese Gruppe dann weiterentwickelt. Und 2016 kam die Anfrage, ob wir das Childhood-Haus aufbauen wollen. Dann ging es erst richtig los. Nun bin ich auch in der Leitungsfunktion des Zentrums. Maria, du bist jetzt auch seit knapp drei Jahren dabei, oder?

MARIA ROSENBLATT: Dreieinhalb. Im November 2021 habe ich hier angefangen. Ich bin als Sozialarbeiterin tätig, aber zusammen mit meiner Kollegin Hannah Bach in der Kinderschutzkoordination angestellt. Ich arbeite im Kinder- und Opferschutz sowie in der psychosozialen Prozessbegleitung. Das heißt, ich informiere, unterstütze und begleite betroffene Kinder und Jugendliche im Strafverfahren und berate Angehörige.


Was ist das Besondere am Childhood-Haus?

BERNHARD: Die zentrale Idee dahinter reicht in die Achtziger zurück, als in Island eine Reihe von Missbrauchsskandalen aufgedeckt wurde. Aus dieser Zeit stammt die tragische Erkenntnis, dass es an strukturierten Vorgehensweisen für Betroffene fehlt. Denn heute weiß man, dass wiederholte Untersuchungen und Befragungen echte Retraumatisierungen sind. Natürlich kann niemand ändern, was geschehen ist. Aber es ist eine Katastrophe, wenn Hilfe eher noch mehr Schaden anrichtet. Die Erkenntnis, dass man im Kinderschutz – in der Sozialarbeit, Psychologie, Pflege und Medizin – Fachexpertise braucht, hat sich erst in den letzten zehn Jahren durchgesetzt. Durch die Stiftung der schwedischen Königin entstand die Idee, in speziellen Einrichtungen alle Fachdisziplinen zum Kind zu bringen.

ROSENBLATT: Wir koordinieren alles rund um die Betroffenen, aber auch für Angehörige. Normalerweise müssen sich Betroffene an verschiedene Stellen wenden, bis sie überhaupt gehört werden. Hier kommen alle Fachkräfte, Pädiatrie, Gynäkologie, Rechtsmedizin, Psychologie und Pädagogik zum Kind. Die Untersuchungen finden kombiniert statt. Und polizeiliche Befragungen und ermittlungsrichterliche Vernehmung können auch hier vor Ort vorgenommen werden.


Wie viele Fälle betreuen Sie im Jahr?

BERNHARD: Letztes Jahr haben wir 413 Kinderschutzfälle besprochen, oft auch telefonisch oder in einer extern beratenden Funktion. Nicht alle Kinder müssen zwingend hier untersucht werden.

ROSENBLATT: Direkt im Childhood-Haus haben wir ungefähr 150 Kinder und Jugendliche betreut.

BERNHARD: Zwar nehmen die Fälle zu, doch das liegt eher an einer abnehmenden Dunkelziffer. Die Zahl schwerer Fälle bleibt gleich. Insgesamt schätzt die hiesige Polizei, dass nur ein einstelliger Prozentsatz der Sexualstraftaten an Kindern bekannt wird – über 90 Prozent werden nie entdeckt.


Und wie läuft das in der Praxis ab? Wie kommt ein Kind zu Ihnen?

ROSENBLATT: In der Regel läuft es über Telefon, durch das Jugendamt, die Polizei oder die Angehörigen selbst. Aber die Kinder können sich auch selbst melden.

BERNHARD: Manchmal führt der Weg auch über die Rechtsmedizin zu uns, wenn Eltern mit ihrem Kind direkt dort hingehen. Viele Fälle erreichen uns auch über die Klinik selbst – etwa nach akuten Notfällen oder wenn ein Kind aus anderen gesundheitlichen Gründen stationär aufgenommen wird. Im Verlauf der Diagnostik zeigt sich dann, dass irgendetwas ganz gewaltig nicht stimmt. Etwa ein Schütteltrauma oder auffällige Knochenbrüche. Auch in Schulen und Kindergärten wird viel gemeldet, das geht dann aber über das Jugendamt.


Matthias Bernhard und Maria Rosenblatt
Kinderarzt Matthias Bernhard und Sozialarbeiterin Maria Rosenblatt


Was sind dann die nächsten Schritte?

ROSENBLATT: Als Erstes schauen wir uns den körperlichen Zustand an: Gibt es Auffälligkeiten? Hat das Kind Schmerzen? Oft besprechen wir vorher im Team, was jeder Fall individuell braucht. Eine gynäkologische Untersuchung zum Beispiel ist sehr invasiv, die machen wir nur, wenn wirklich der Verdacht auf Penetration besteht. Wenn die Betroffenen sich aber nicht untersuchen lassen möchten, akzeptieren wir das, um einer Retraumatisierung vorzubeugen.

BERNHARD: Man wägt das so lange ab, weil nach einem sexuellen Missbrauch ganze 95 Prozent der Untersuchungsbefunde unauffällig sind. Deshalb überlegen wir genau, ob eine Untersuchung überhaupt sinnvoll ist.

ROSENBLATT: Manche Kinder möchten sich aber auch untersuchen lassen, selbst wenn die Tat schon länger zurückliegt. Einfach, um zu wissen, dass sie gesund sind.


Die medizinische Versorgung ist ein Teil – welche weiteren Hilfen bekommen die Kinder bei Ihnen?

ROSENBLATT: Das, was das Kind braucht und möchte. Unser Fokus liegt auf der Krisenintervention und Stabilisierung. Wir sind keine klassische niedergelassene Psychotherapie. Manche möchten hier gar nicht über das Erlebte sprechen.

BERNHARD: Wir kümmern uns auch um die medizinische Nachbetreuung. Nach einem sexuellen Missbrauch muss noch mal auf übertragbare Krankheiten und Verletzungen überprüft werden.

ROSENBLATT: Wir haben jede Woche eine Sprechstunde: unsere Kinderschutzambulanz. Da schauen wir dann –

BERNHARD: – wie geht die Entwicklung des Kindes weiter? Braucht es eine spezielle Förderung?

ROSENBLATT: Grundsätzlich bleiben die Kinder so lange wie möglich und nötig in unserer Betreuung. Manchmal ist das nur ein Besuch, manchmal sind es über zwei Jahre, sei es wegen des Strafverfahrens oder der medizinischen und psychologischen Betreuung.


Welche Rolle spielen Strafverfahren in diesem Prozess?

ROSENBLATT: Wir bieten Beratungen zu polizeilichen Anzeigen und Strafverfahren an. Dabei informieren wir über Kontaktstellen und weitere Schritte.

BERNHARD: Oft kommt die Frage: Jugendamt und Polizei, müssen wir sie informieren? In dem Fall, dass wir die erste – oder nach dem Kinderarzt vielleicht die zweite – Anlaufstelle sind, gibt es schon Kriterien, bei denen man etwas polizeilich melden muss, etwa ein Schütteltrauma. Aber ansonsten ist es letztlich unsere gemeinsame Entscheidung, ob etwas gemeldet wird oder nicht. Für beides gibt es gute Gründe.

ROSENBLATT: Letztendlich müssen die Betroffenen das selbst entscheiden.


Was spricht denn für oder gegen eine polizeiliche Anzeige?

ROSENBLATT: Gerade kleine Kinder können die Ausmaße eines Strafverfahrens nicht verstehen, da werden dann die Angehörigen ins Boot geholt und ausführlich informiert.

BERNHARD: Meiner Meinung nach ist es aber langfristig sinnvoll, das Jugendamt oder die Polizei zu informieren. Auch wenn das Verfahren am Ende eingestellt wird, ist es immerhin juristisch aufgearbeitet. Oft denken sich Betroffene nach fünf oder zehn Jahren: Ach, hätte ich doch … Aber dann ist eine Klärung oft schwierig.

ROSENBLATT: Generell muss eine Aufklärung stattfinden. Eine polizeiliche Anzeige ist nicht zwingend, aber vielleicht verspürt jemand dann später den Wunsch danach. Deswegen verweisen wir auch auf Beratungsstellen wie die Opferhilfe Sachsen und den Weißen Ring.


Wie häufig kommt es am Ende tatsächlich zu einer Verurteilung?

ROSENBLATT: Schwierig. Wir haben dazu keine genauen Zahlen.

BERNHARD: Oft werden Verfahren eingestellt, weil sich die Tat nicht eindeutig einer Person zuordnen lässt. Etwa, wenn Eltern sich gegenseitig decken. Das ist frustrierend. Aber es ist einfach ein hohes Gut unseres Rechtssystems, dass man nur bei eindeutiger Schuld verurteilt wird. Wenn der Täter nicht gesteht, dann wird es immer schwierig.

ROSENBLATT: Letztlich sind die Aussagen und Verletzungen der Betroffenen unsere Beweismittel. Im Childhood-Haus glauben wir jedem Kind per se. Vor Gericht bleibt Aussage-gegen-Aussage jedoch schwierig. Was wir aber mitbekommen, ist, dass gerade bei schwerem sexuellen Missbrauch Verurteilungsquote und Strafmaß oft hoch sind.

BERNHARD: Unsere Aufgabe ist der Schutz des Kindes, nicht die Täterermittlung. Wir fragen nur, was medizinisch oder psychologisch relevant ist, nicht, wie genau der Stock aussah, mit dem das Kind geschlagen wurde. Das ist Aufgabe der Polizei.


Wie sehen denn kindgerechte Strafverfahren aus?

ROSENBLATT: Grundsätzlich hat sich in den letzten Jahren viel getan. Auch durch die Childhood-Häuser. Zu kindgerechter Justiz gehört, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird und Verjährungsfristen verlängert werden. Das ist alles passiert. Normalerweise finden in dem Vorverfahren – dem polizeilichen und dem ermittlungsrichterlichen – zwei Vernehmungen statt. Im eigentlichen Hauptverfahren könnten die Kinder auch noch mal aussagen. Unsere Idealvorstellung ist es, die Vernehmungssituationen so gering wie möglich zu halten. Das ist zwar nicht immer gelebte Praxis, aber immerhin ist es inzwischen meistens mit der Vorvernehmung getan.

BERNHARD: Das ist eben das echte Novum: Die gerichtliche Vernehmung kann jetzt hier in der Klinik in kindgerechten Räumlichkeiten stattfinden. Dabei entsteht eine Videoaufzeichnung, die bei der Hauptverhandlung vor Gericht genutzt wird. So müssen die Betroffenen nicht noch mal im Gericht aussagen. Früher wurde ein Kind nach einem Missbrauch im Durchschnitt 12- bis 15-mal befragt: von Ärzten, der Polizei, dem Jugendamt. Wenn wir das auf zwei oder drei Mal reduzieren können, ist das schon ein riesiger Fortschritt. Untersuchungen zeigen, dass weniger Vernehmungen zu einer höheren Verurteilungsquote führen.


Wie gut sind Polizei und Justiz für den Umgang mit betroffenen Kindern sensibilisiert?

BERNHARD: Wenn es um ein Kind geht, bekommen viele Angst. Und Angst führt leider dazu, dass man es nicht gut macht.

ROSENBLATT: Diejenigen, die praktisch im Geschehen unterwegs sind, wie Streifenpolizei oder Kriminaldauerdienste, sind oft nicht geschult. Aber mit unserem Kommissariat, dem auf Sexualdelikte spezialisierten K13, ist die Zusammenarbeit super.

BERNHARD: In Leipzig ist es richtig toll, auch am Gericht. Wir haben hier drei Ermittlungsrichterinnen, die inzwischen auch wirklich auf Kinder geschult sind. Ein sechs Jahre altes Kind muss ich anders befragen als ein 16-jähriges. Das zu können, fällt einem Richter natürlich nicht einfach in den Schoß. Schon vor dem Childhood-Haus war Leipzig gut aufgestellt, aber seitdem haben wir einen großen Sprung nach vorne gemacht.


Warum ist der Ansatz des Childhood-Hauses noch nicht weiter verbreitet?

BERNHARD: Na ja, es braucht Menschen, die das machen wollen und können. Allein geht so etwas nicht. In Leipzig war das ein glücklicher Zufall. Auch, dass wir uns jetzt hier alle als Team gefunden habe. Das ist nicht selbstverständlich.

ROSENBLATT: Es steht und fällt mit den Menschen.

BERNHARD: Letztlich ist es natürlich auch eine Frage der externen Unterstützung und Finanzierung. Es gab auch Durststrecken, das war sehr ernüchternd. Und auch jetzt hängt der Landeshaushalt noch in der Luft. Ich denke, insgesamt kriegen wir eine okaye Unterstützung, mehr könnte es immer sein. Aber es geht voran: Ein Meilenstein ist der neue Koalitionsvertrag auf Bundesebene, der erstmals auch eine Förderung der Childhood-Häuser vorsieht. Was die Regierung daraus macht, bleibt natürlich abzuwarten. Auch in Sachsen ist das bereits im Koalitionsvertrag. Das Thema erreicht nun Justiz, Polizei, Jugendhilfe, Medizin – und endlich auch die Politik.

ROSENBLATT: Zumindest soll das Konzept des Childhood-Hauses in mehreren Bundesländern etabliert werden. Klar dauert das, aber das Bewusstsein ist da.

BERNHARD: Auch die Erkenntnis, dass eine gute Versorgung direkt zu Beginn auf lange Sicht unendlich viel Zeit spart, setzt sich zunehmend durch.


Warum tun wir uns als Gesellschaft noch immer so schwer, offen über sexualisierte Gewalt an Kindern zu sprechen?

ROSENBLATT: Es ist ein sensibles und auch tabuisiertes Thema. Dass so etwas eben kein Randphänomen ist, sondern für viele Kinder reale Erfahrungen sind, schreckt viele ab. Niemand will wahrhaben, dass circa 95 Prozent der Täterinnen oder Täter aus dem eigenen Umfeld stammen.

BERNHARD: Der eigene Vater, die eigene Mutter, der Großvater, der Nachbar.

ROSENBLATT: Wie oft hören wir: Dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen, der macht das nicht!

BERNHARD: Und trotzdem ist es so.

ROSENBLATT: Und das macht das Thema so schwierig.

BERNHARD: In unserer Gesellschaft existiert dazu eine große Kluft zwischen Unwissenheit und Überreaktionen, ein Antippen gilt schnell als sexueller Übergriff. Und dann haben wir manchmal Fälle, da fragt man sich schon, was das jetzt soll. Wenn zum Beispiel ein fünfjähriges Kind einen Mann mit einem großen Penis zeichnet, dann wird ganz schnell auf sexuellen Missbrauch geschlossen. Dabei ist das in dem Alter normal. Also, das schließt einen Missbrauch nicht aus, aber oft äußern sich gerade betroffene Kinder nicht.

ROSENBLATT: Oft, aber natürlich nicht nur, sind es die stillen Kinder.

BERNHARD: Die Betroffenen befinden sich meist in Abhängigkeitsbeziehungen und wehren sich deshalb auch nicht, es gibt nur selten sichtbare Verletzungen. Und auch misshandelte Kinder lieben irgendwo ihre Eltern. Das ist manchmal das Erschütterndste: Es bleibt eben der Papa oder die Mama.


Stichwort »erschütternd«. Wie gehen Sie mit besonders harten Arbeitstagen um?

ROSENBLATT: Die Frage hören wir häufig.
Ich finde meine Arbeit sinnvoll: Etwas Schlimmes ist passiert, aber wir können helfen. Das hält mich hier. Und es klingt zwar nicht schön, aber wir haben so viele Fälle, da vergesse ich auch einiges wieder. Was mir auch hilft: Die Kinder bleiben nicht hier, sondern wir versorgen und vermitteln sie dann unter anderem an andere Hilfseinrichtungen. Wir begleiten sie nur für eine gewisse Zeit in ihrem Leben. Natürlich muss es Leute geben, die so eine Arbeit leisten wollen. Ich sehe es auch in meiner Verantwortung, mich immer zu fragen, ob ich das noch kann. Vielleicht merke ich in ein paar Jahren, dass es nicht mehr geht – dann wäre es nur professionell, aufzuhören. Aber solange es geht, mache ich weiter.

BERNHARD: Ich finde es gefährlich, genau diesen Bereich als besonders belastend zu sehen. In der Medizin beschäftigen wir uns mit Leid, sei es bei Motorradunfällen oder Krebspatienten. Für mich ist das eine Fachrichtung wie jede andere. Ich finde kindliches Leid nicht schlimmer als das Leid 30- oder 80-Jähriger. Aber manchmal trifft mich eine Situation schwer, wenn sie mich an mein eigenes Leben oder meine Kinder erinnert. Und dann muss man darüber reden. Zum Glück haben wir hier ein Team, in dem wir uns vertrauen, und professionelle Unterstützung. Und vielleicht sollte man es auch mal mit nach Hause mitnehmen. Es funktioniert nicht, das, was ich hier erlebe, strikt von meinem Privatleben zu trennen. Und dann kann ich doch auch mal mit Verwandten, bei mir sind es meine zwei Schwestern, darüber reden. Wo Leid ist, braucht man ab und zu eine Möglichkeit, seine Seele zu reinigen.



Kommentieren


0 Kommentar(e)