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Kultur

Festgehaltene Momente

Eine Kabinettausstellung in Dresden zu Aktionskünstlerinnen vor 1989

  Festgehaltene Momente | Eine Kabinettausstellung in Dresden zu Aktionskünstlerinnen vor 1989  Foto: Christiane Wagner, VG Bild-Kunst, Bonn 2025


Verena Kyselka trägt eine kastenförmige Maske mit begrenztem Sichtfeld. Von ihrer Schulter und ihrer Hüfte stehen Antennen in den Raum, die nicht wie Empfangsinstrumente von Botschaften wirken, sondern viel eher wie Abschirmkonstrukte. Es ist März 1989, Kyselka eröffnet in Leipzig-Gohlis mit der Performance »Figuraler Einzelgang zeitgemäßer Erscheinungen« die Ausstellung »Verena Kyselka, Monika Andres – Malerei, Grafik, Objekt« – im Viertelsweg in der Galerie Nord, wo sich heute ein Bestattungsinstitut befindet.

Kyselkas Kostüm von damals ist jetzt unter dem Titel »Nachrichtensprecherin« an einer Figurine in der Ausstellung »Aus der Reihe tanzen – Aktionskünstlerinnen in der DDR« zu sehen, die drei Volontärinnen und ein Volontär der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zum Abschluss ihrer Ausbildung organisiert haben. Diese zeigt auch ein Kostüm von Monika Andres, der zweiten Künstlerin der Gohliser Ausstellung vom März 1989. Es gehört zur Werkgruppe »Name, Stadt, Land« aus dem Jahr 1988 – zu dem eine Hose, eine Jacke, ein Hut und ein Transparent gehören. Es besteht aus Zeitungsausschnitten zur Kulturpolitik aus dem Neuen Deutschland, der Jungen Welt und aus Der Sonntag. Die Artikel sind in Plastefolie gehüllt und so zu Garderobenstücken geschneidert.

Andres, 1962 in Erfurt geboren, schließt 1984 eine Facharbeiterausbildung als Plakatmalerin ab und gründet im selben Jahr die Künstlerinnengruppe Erfurt mit – wie auch die fünf Jahre ältere ausgebildete Restauratorin Verena Kyselka. In dem digitalisierten Super-8-Film »Komik-komisch« der Künstlerinnengruppe Erfurt von 1988, der in der Dresdner Ausstellung hinter den Kostümen zu sehen ist, tritt Andres verkleidet unter anderem vor einem DDR-Kiosk auf. Die »Nachrichtensprecherin« agiert im zweiten Film »Signale« von 1989.

Aber nicht nur in Erfurt gibt es vor 1989 erweiterte künstlerische Produktionen: Das »Müllkostüm« der 1939 in Dresden geborenen Hanne Wandtke zeigt ganz unterschiedliche Verpackungen und Materialien aus der DDR-Produktion. Wandtke unterrichtet ab 1979 an der Palucca-Schule »Neuen Künstlerischen Tanz« und ist an den Aktionen der Autoperforationsartisten – Micha Brendel, Else Gabriel, Via Lewandowsky – beteiligt. Das »Müllkostüm« entsteht für die Aktion »Spitze des Fleischbergs« der Gruppe zum Fasching der Hochschule für Bildende Künste Dresden 1986. Ein digitalisierter Super-8-Film von der Aktion sowie der in einer Vitrine ausliegende Bericht der Kunstwissenschaftlerin Gabriele Muschter über die Aktion in der im Selbstverlag erschienenen Publikation »usw« (1986) weist auf die Möglichkeiten der Dokumentation und Vermittlung von Aktionen längst vergangener Zeiten damals und in der Gegenwart hin. Interviews mit den Künstlerinnen, die zur Vorbereitung auf die Ausstellung geführt wurden, vermitteln zudem einen Eindruck von der damaligen Zeit aus dem Jetzt heraus.

Eine wichtige Ausstellung, die einmal mehr zeigt, dass es besser wäre, wenn Museen diese Art von Kunstproduktion nicht nur in Sonderausstellungen, sondern in Dauerpräsenz zeigen würden. Das könnte nicht nur neue Interessen wecken, sondern auch die traditionellen Kunstgeschichtsschreibungen hinterfragen.

> »Aus der Reihe tanzen – Aktionskünstlerinnen in der DDR«: bis 31.8., Di–So 11–17 Uhr, Albertinum Dresden – Kuratorinnen-Rundgang: 27., 30./31.8., 15 Uhr


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