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Stadtleben

Als Plagwitz nicht mehr bewohnbar war

Eine MDR-Doku über Boomtown Leipzig zeigt die Entwicklungen der letzten Jahre

  Als Plagwitz nicht mehr bewohnbar war | Eine MDR-Doku über Boomtown Leipzig zeigt die Entwicklungen der letzten Jahre  Foto: MDR/SW-Film


Ich wohne seit knapp 23 Jahren hier. Meine prägnanteste gern erzählte Stadt-USP damals: Der 1-Euro-Döner auf der Karli. Die Jahre danach sind bei mir irgendwie erinnerungsemotional zwischen Uni-Neubau, RB, Armuts-Hauptstadt und dem »Better Berlin« verflossen. Allein, wie sich eine Stadt in rund 20 Jahren verändert, ist krass. Für später Hinzugezogene und hoffentlich inzwischen Inkludierte ist dann der Vergleichs-Schwenk etwa zur direkten Nachwendezeit noch heftiger – und sehr einsichtsreich. Und davon gibt es viele in der MDR-Doku »Boom, Boom Leipzig – Zwischen Visionen und Größenwahn«, die den gefühlten oder real existierenden Hype um Leipzig aufarbeitet und einen mal schonungslosen, mal liebevollen Blick darauf wirft. Die Dokumentation ist von Christian Schulz, der 1990 nach Leipzig zog und seitdem als Journalist arbeitet. 

In vier Kapiteln werden das Image und die Narrative der Stadt in verschiedenen Bereichen umfassend beleuchtet. 1991 war das persönliche Gefühl hier eher »beschissen«, wie ein O-Ton einer Bewohnerin in einer Straßenumfrage des Piratensenders Kanal X gleich mal klarstellt. Denn natürlich war Leipzig nach der Wende erstmal hinüber: Die Elster, wo man heuer elegant entlang paddelt, damals versifft und stinkend – und Plagwitz laut der Einschätzung des damaligen Chef-Architekten der Stadt aufgrund der Umweltschäden »nicht mehr bewohnbar«. Durch den Wegfall von rund 100.000 Industrie-Arbeitsplätzen verlor Leipzig in den Nachwendejahren auch etwa ebenso viel Bevölkerung durch Abwanderung. 

Doch es gibt auch immer wieder Lichtblicke: Die Sanierung des heutigen Weltmarktführers für Eisenbahnkrane, Techne Kirow, und die widersprüchliche Wiederaufbereitung der Leipziger Innenstadt, angefangen durch den zwischendurch insolventen Baulöwen Jürgen Schneider und dann mittels Bank-Krediten durch die Stadt zu Ende geführt. 

Dass andere Schein-Riesen für Leipzig sogar noch Höheres vor Augen hatten, zeigt sich an den Entwürfen des Münchner Immobilien-Investors Rübesam, der für das kurz davor noch »nicht mehr bewohnbare« Plagwitz wenige Jahre später in einem Entwurf eine Art Manhattan-Skyline mit verschiedenen Hochhäusern vorgesehen hatte. Größenwahn? Oder für Visionen nötiger Zwangsoptimismus? Auch diese Frage taucht immer wieder auf und wird unter anderem von den einordnenden Experten wie etwa dem Kunsthistoriker Arnold Bartetzky, der Stadtforscherin Elisa Gerbsch und der Buchautorin Greta Taubert eloquent beantwortet.

Thematisch werden unter anderem auch die Entwicklungen um das Jahrtausendfeld, die Olympia-Bewerbung, die Kölmel-RB-Connection und Leipzig als Wasserstadt behandelt und liefern für Alt– und Neu-Leipzigerinnen und Leipziger jede Menge Insiderwissen und Hintergründe, die einen eine umfassende Sicht auf diese beste aller möglichen Städte werfen lässt. Auch wenn es keinen 1-Euro-Döner mehr gibt… 


> Die Doku »Boom, Boom Leipzig – Zwischen Visionen und Größenwahn« von Christian Schulz steht ab dem 11. August in der Mediathek und wird am 30. September um 20:15 Uhr im MDR ausgestrahlt. Zur Mediathek.


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4 Kommentar(e)

ybacu 13.08.2025 | um 13:26 Uhr

Die arme "Früher war alles besser"-Fraktion .... naja die wird das ja nicht anschauen... ;-)

Krabaz 13.08.2025 | um 22:21 Uhr

Markus mal wieder on Point!

Heike 14.08.2025 | um 08:39 Uhr

Randnotiz: Sehr schöner Artikel von Markus Gärtner! Aber warum wird an keiner Stelle der Autor der Doku genannt? Nicht mal ganz am Ende im Mediathek-Hinweis.. Das ist ein Versäumnis. In jeder Buchrezension werden Autor:Innen genannt. Das hat auch etwas mit Respekt vor dem Urheber zu tun. Umso mehr unter Kolleg:Innen. Da geht noch was! Grüße Heike

Stefan 18.08.2025 | um 19:45 Uhr

Hallo Markus, den 1 Euro-Döner hast Du hoffentlich nicht gegessen, der war Gammelfleisch :-)