anzeige
anzeige
Stadtleben

Abschied von einem Leipziger Original

Ein letzter Besuch in der Backstube von Traditionsbäcker Jackisch

  Abschied von einem Leipziger Original | Ein letzter Besuch in der Backstube von Traditionsbäcker Jackisch  Foto: Jens-Uwe Jackisch in seiner nun leeren Backstube/Marcus Korzer

Er war bekannt für Schokobrötchen, Kanadier und Roggenkastenbrot. Nun hat Bäcker Jackisch in Lindenau für immer die Türen geschlossen. Der kreuzer besuchte ihn ein letztes Mal in der Backstube und sprach über Personalmangel, Bäckereiketten und die Konkurrenz durch industrielle Massenproduktion.

»Das funktioniert nur, wenn es einem richtig Spaß macht«, sagt Bäckermeister Jens-Uwe Jackisch. »Das Backen war ja ganz prima.« Er steht in der weißgekachelten, nun leeren Backstube in der Henricistraße 40 neben dem gemauerten Backofen von 1966. »Guter alter Kamerad«, sagt er zu ihm. Ende Juli hat die Bäckerei in Lindenau geschlossen.

Seit 2008 hat Jackisch hier in sächsischer Tradition mit der Hand gebacken, vieles nach Familienrezept – schon Vater und Großvater waren Bäcker. Auch die Geräte in der Backstube aus DDR-Zeiten hatten Geschichte. Neben dem Verkaufsraum mit der gläsernen Vitrine war ein kleiner Imbiss mit drei, vier Tischen, direkt hinter der nächsten Wand wohnte Jackisch mit seiner Frau, die im Verkauf arbeitete. Draußen ragte eine schmiedeeisern verschnörkelte, goldene Brezel in die Straße. »Ich hätte das alles noch weiter machen können«, sagt Jackisch. Aber er fand kein Personal mehr und ohne ging es nicht. Ende 2024 musste der zweite seiner beiden Gesellen aus gesundheitlichen Gründen aufhören, seit Jahresbeginn stand er allein in der sonst so betriebsamen Backstube.

Abends um elf begann Jackisch mit der Vorbereitung der Teige, arbeitete bis früh um acht in der Backstube, ging dann eine Stunde auf Liefertour und legte sich danach kurz hin. Um eins stand er wieder in der Bäckerei, bis zum Ladenschluss um sechs. Eine Lebensaufgabe. Sonntags blieb die Bäckerei zu, dem Personal zuliebe, auch wenn die Konkurrenz geöffnet hatte. Wie es ihm damit geht, jetzt in dem leeren Raum zu stehen? »Komisch«, sagt er mit Nachdruck und dann erstmal kurz nichts mehr.

Ausgebildeter Bäcker-Nachwuchs ist selten geworden, auch wenn der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks sich zuletzt über die wieder steigende Zahl Auszubildender freute. Manche schrecken die Arbeitszeiten ab oder die Hitze, andere finden die Verdienstmöglichkeiten zu gering und dann gibt es die, erzählt Jackisch, die ganz fingerfertig backen, aber von den wachsenden bürokratischen Anforderungen wie Deklarationspflichten oder Datenschutzvorschriften vergrault werden – auch für Jackisch selbst keine geliebte Aufgabe. Zwei Jahre lang habe er nach neuen Mitarbeitenden gesucht, über das Arbeitsamt, Aushänge und Mundpropaganda, auch nach Ungelernten, aber nie habe es gepasst.

Als Jackisch 2008 im »Labyrinth«, wie er die umliegenden kleinen Nebenstraßen nennt, seine Bäckerei eröffnete, gab es noch viel Laufkundschaft. In den Kolloidchemie-Werken in der Angerstraße, die seit 2014 Wohn-Lofts sind, wurde noch gearbeitet. In der Mittagspause kamen viele und aßen im Imbiss ein Schnitzelbrötchen oder einen frisch gebackenen Eierkuchen. Seit der Eröffnung des Kauflands am Lindenauer Markt 2012 wurde es schwieriger, ausreichend Umsatz zu machen, es kam immer weniger Kundschaft. Trotzdem verliert Jackisch über die im Kaufland angegliederte Bäckerei kein schlechtes Wort. Die mache ihre Sache schon gut und das sei eben Marktwirtschaft. Die Welt werde immer schneller, »oder zumindest glauben die Leute das«, sagt er. Da scheint es praktischer, nur ein Geschäft zu besuchen und gleich alle Einkäufe erledigen zu können. Gesellschaftliche Beschleunigung und industrielle Massenproduktion setzen vielen traditionellen Handwerken zu, da sieht Jackisch die Bäcker nicht als Ausnahme. »Wo haben wir denn hier den nächsten Fleischer, der noch selbst fleischert?«, fragt er rhetorisch.

Als Antwort auf wachsende Konkurrenz und schwindende Laufkundschaft baute Jackisch in den letzten Jahren sein Liefergeschäft aus. Er konzentrierte sich auf die nähere Umgebung und fand dort viele, die sein Angebot gern annahmen. Eine ganze Reihe kleiner, inhabergeführter Gastronomien in Lindenau und Plagwitz gehörte zu seiner Kundschaft, etwa das Café Kater oder das Café Westen. Wenn die Wege kurz waren, brachte er die Bestellungen mit dem Lastenrad vorbei. Den Bioladen Schwarzwurzel auf der Georg-Schwarz-Straße belieferte er immer dienstags und donnerstags mit einem Spezialsortiment aus Bio-Zutaten, das er für sie entwickelt hatte: kleine kastenförmige Dinkeldreisaatbrote, französisch anmutende Baguettestangen, verschiedene Brötchen und mehr. Sie fanden es gut, im Sinne gegenseitiger Unterstützung mit einem kleinen regionalen Betrieb zusammenzuarbeiten, erzählt Mélanie Taton aus dem Kollektiv, das den Laden betreibt. »Mir fehlen vor allem seine Schokobrötchen sehr«, sagt sie, da habe sich nichts Vergleichbares gefunden. Das Miteinander beschreibt sie – genau wie Jackisch – als sehr herzlich.

Das charakteristische Angebot der Bäckerei Jackisch war etwas Besonderes, eine Abwechslung zu den stadtweit dominierenden Ketten, die in allen Filialen das Gleiche anbieten. Und bis zuletzt waren die Backwaren günstig: Ein Mischbrot für 3,70 Euro, ein frisch mit Käse belegtes Brötchen ohne Schnickschnack für 1,70 Euro. Jackisch wollte die Preise nicht höher setzen, hat sie nur angepasst, wenn es unbedingt nötig war – etwa wegen steigender Mindestlöhne oder Energiekosten. Er glaubt, dass höhere Preise für viele in der Gegend zu teuer gewesen wären. Es sei ihm auch nicht darum gegangen, den maximalen Gewinn herauszuholen. Er wollte vielmehr weiter das machen können, was ihm Spaß macht.

In den benachbarten Meyer’schen Häusern bedauern viele, dass die Bäckerei nicht mehr da ist. Roggenkastenbrot und Krustenbrot werden gelobt und seine kleinen runden Kuchen – eine Spezialität des Hauses. Von Schwarz-Weiß-Gebäck mit Suchtpotenzial wird erzählt, vom köstlichen Weihnachtsgebäck und gleich mehrfach werden die Kanadier, süß gefüllte Blätterteigtaschen, als Lieblingsgebäck genannt. Manch ein Kind von nebenan kam in die Bäckerei Jackisch zum ersten Mal allein einkaufen.

Ende Juli lud Jackisch über handgeschriebene Aushänge die Nachbarschaft zum Ausverkauf der Ladenausstattung ein. Viele kamen, machten Abschiedsfotos am Ofen und nahmen etwas mit. Auch in der Schwarzwurzel hängt jetzt ein Brotmesser mit blauem Griff aus seinem Inventar. Es seien keine Tränen geflossen, beteuert der Bäckermeister, aber bewegend war es doch.

Aus den Räumen in der Henricistraße, die schon 1903 als Bäckerei mit Backstube im Anbau errichtet wurden, sollen jetzt Wohnungen werden. Jackisch hat sich mit fast 60 nun der Arbeitsagentur vorgestellt. »Ich habe gar kein rechtes Gefühl für Freizeit«, sagt er. Wie es weitergeht, weiß er noch nicht genau. Nach so langer Zeit als eigener Chef scheint die Umgewöhnung nicht leicht. Aber eins ist sicher: »Ich würde gern weiter backen.«


Kommentieren


0 Kommentar(e)