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Essenziell, aber nicht entscheidend

Auch fürs Schauspiel wird eine neue Intendanz gesucht – sie soll etwas von »progressivem Stadttheater« verstehen, Fachleute beraten bei der Suche

  Essenziell, aber nicht entscheidend | Auch fürs Schauspiel wird eine neue Intendanz gesucht – sie soll etwas von »progressivem Stadttheater« verstehen, Fachleute beraten bei der Suche  Foto: Christiane Gundlach


»Einmal, so schien es, komme die Stadt Leipzig ohne kulturpolitischen Skandal zu einer wichtigen Personalentscheidung.« – Dieser Satz leitete 2012 einen kreuzer-Text über die damalige Intendantenwahl fürs Schauspiel Leipzig ein. Denn die verlief alles andere als geräuschlos. Die Stadt überging die ausdrückliche Nichtempfehlung der Findungskommission, als sie sich für Enrico Lübbe entschied. Dazu habe die Stadt jedes Recht, sagte damals ein Kommissionsmitglied dem kreuzer. Aber warum, so fragte es, wurde das Gremium überhaupt eingesetzt? Das soll nun bei der Auswahl der neuen Intendanz fürs Schauspiel anders werden. Seit Juli war die Bewerbung ausgeschrieben, die Frist endete Mitte September.

Statt auf eine Findungskommission aus Fachleuten setzt die Stadt – wie bei der Opernintendanz – auf eine Kommission aus Kommunalpolitik und Verwaltung. Damit soll sichergestellt werden, »dass das Ergebnis der Auswahlgespräche in das Votum der Fraktionen überführt wird, ohne dass Schaden für die involvierten Persönlichkeiten, insbesondere Bewerberinnen und Bewerber, entsteht«, erklärt Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke auf kreuzer-Anfrage. Denn letztlich entscheidet immer der Stadtrat, weshalb auch damals die Experten nur beratende Funktion hatten. »Die Einschätzung der Fachleute ist essenziell, aber eben nicht entscheidend. Und wenn Sie sich erinnern, hat genau diese fehlende Entkopplung von Expertenmeinung und Ratsvotum zu den unschönen Debatten der Zehner-Jahre geführt.« Damit sind die Debatten um die Findung der Leiter städtischer Kulturbetriebe gemeint, die damals alle nicht reibungslos verliefen – und wie im Fall des Schauspiels Aufsehen erregten, weil mit der Berufung Enrico Lübbes die Fachkommission übergangen wurde.

Die aktuelle Findungskommission besteht aus Stadträtinnen und Stadträten, Jennicke und ihrem Kollegen Ulrich Hörning, dem Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung, sowie dem Personalamt. Jennicke nennt die Expertinnen und Experten »einen essenziellen Teil der Auswahlkommission«; auch wenn sie nur beraten. »Sie studieren eingegangene Bewerbungen, geben Hinweise hierzu, schätzen künstlerische Konzepte ein etc. Sie haben kein Stimmrecht beim Auswahlprozess, aber durchaus Gewicht auf der Basis ihrer fachlichen Expertise. Im aktuellen Verfahren beraten die Künstlerische Leitung einer Produktions- und Spielstätte für Freies Theater, zwei erfahrene Intendanten sowie eine freiberufliche Journalistin mit dem Schwerpunkt Theater.«

Die Auswahlkommission soll die ästhetische Qualität am Theater sicherstellen, erklärt die Kulturbürgermeisterin auf die Frage, wie Menschen aus der Politik und der Verwaltung künstlerische Aspekte einschätzen sollen, wenn sie selten bis gar nicht mit Theaterbesuchen auffallen. Jennicke betont, dass neben dem »wesentlichen Fokus auf der Präsentation eines künstlerischen Konzeptes« auch die Führungskompetenz »eine zentrale Rolle spielen« muss: »Diese Qualitäten sind ja gerade in den Debatten um Theater in den letzten Jahren zunehmend ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.« Die Kulturbürgermeisterin weist damit auf die zahlreichen Vorkommnisse von Machtmissbrauch an deutschen Theatern beziehungsweise die dahingehenden Vorwürfe hin. Auch am Leipziger Schauspiel gab es solche, als die Intendanz zwei Schauspielerinnen nicht verlängerte und zwischenzeitlich Hausverbote erteilte. (s. kreuzer 2/2023 u. www.kreuzer-leipzig.de, 28.12.2022)

Um auf diese Lage zu reagieren, hatten Mitarbeitende des Schauspiels den Wunsch geäußert, ihre Ansprüche an die künftige Theaterintendanz in den Auswahlprozess einfließen lassen zu können. Es hat deshalb im Frühjahr einen Workshop mit den Angestellten gegeben, erklärt die Kulturbürgermeisterin. Mehr könne sie aus personenschützenden Gründen nicht sagen, der Workshop sei nicht öffentlich gewesen. Von den Teilnehmenden aus dem Schauspiel wollte sich niemand gegenüber dem kreuzer äußern.

Solche Workshops, wo neben Ensemblemitgliedern auch die Bereiche Technik und Verwaltung vertreten waren, habe es laut Jennicke auch bei der Suche der Intendanzen im Theater der Jungen Welt (wo Miriam Tscholl in diesem Sommer Winnie Karnofka beerbt hat) und der Oper gegeben. »Bewährt« nennt die Kulturbürgermeisterin dieses Verfahren.

Der Ausschreibungstext stellt prominent fest: »Das Schauspiel Leipzig verfügt über mehrere Spielstätten, die unterschiedliche Theatererfahrungen ermöglichen – von der großen Bühne für zeitgenössische Interpretationen und klassische Stoffe bis hin zu den kleineren Bühnen wie die Diskothek und das Foyer 1 für zeitgenössische Dramatik sowie die Residenz für experimentelle Formate und Nachwuchsproduktionen.« Was sich als normative Definition lesen lässt, soll nur als Beschreibung verstanden werden, erklärt die Kulturbürgermeisterin. »Der Ausschreibungstext informiert über den Status quo. Die bisherige Struktur hat sich bewährt und erfährt große Akzeptanz bei den Besucherinnen und Besuchern«, schreibt uns Jennicke. Eine neue Intendanz habe aber natürlich »die Möglichkeit, das Theater, mit dem sie ihr künstlerisches Konzept umsetzen will, auch strukturell zu formen.« Wie groß der künstlerische Spielraum dabei sei? »Die Antwort auf Ihre Frage findet sich im komplexen Zusammenspiel von konkretem künstlerischem Konzept, strukturellen Überlegungen und finanziellen Möglichkeiten.«

Die künftige Theaterleitung soll das Schauspiel als »progressives Stadttheater« verstehen. Was damit gemeint ist, beschreibt Jennicke auf Nachfrage: »Ich erwarte, dass sich ein zeitgemäßes Stadttheater im Wechselspiel von ästhetischen Formen und gesellschaftlichen Realitäten stetig weiterentwickelt, eine Art Seismograf der Realität unserer Stadt sein kann. Von welcher Perspektive aus diese öffentliche Aushandlung entwickelt wird, müssen die Bewerberinnen und Bewerber definieren.«

Jenseits dessen würden Verwaltung, Stadtspitze und Stadtrat keine künstlerischen Wünsche an die Kommenden äußern, denn das wäre ja eine Einmischung. »Die Stadt Leipzig gibt den Rahmen vor: baulich, administrativ, organisatorisch, finanziell. Die künstlerische Verantwortung trägt die Intendanz.« Vor 13 Jahren leitete der aktuelle Intendant seine »konzeptionellen Grundgedanken« mit den Worten ein: »Das Schauspiel Leipzig soll ein Theater für die Stadt Leipzig sein!« Der oder die Neue in der Intendanz soll 2027 an den Start gehen. Rund 50 Bewerbungen für das Amt sind bis Fristende eingegangen, schätzt Jennicke kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe. Vielleicht ist ja eine geeignete Persönlichkeit dabei. TOBIAS PRÜWER


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