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Stadtleben

Hurra, Hurra, die Schule brennt

Fast die Hälfte aller Schulen in Leipzig sind baufällig – die Stadt versucht mit den Sanierungen nachzukommen, in der Zwischenzeit kümmern sich Eltern und Lehrkräfte

  Hurra, Hurra, die Schule brennt | Fast die Hälfte aller Schulen in Leipzig sind baufällig – die Stadt versucht mit den Sanierungen nachzukommen, in der Zwischenzeit kümmern sich Eltern und Lehrkräfte  Foto: Christiane Gundlach


Linda Menzer wischt über ihr Tablet und unterstreicht die Punkte, die sie unbedingt erwähnen will: Hitze, Lärm, Toiletten. Seit drei Jahren ist sie im Elternrat der Schule am Rabet. Sie sitzt mit ihrer Tochter im Café, das hinter der Schule liegt. »Die Besitzerin hat uns angeboten, eine Spendenbox für die Schule hinzustellen«, sagt Menzer und lacht.

Rund 180 Leipziger Schulgebäude liegen in kommunaler Verantwortung. Davon sind laut Stadt Leipzig 41 Prozent in einem »sehr schlechten Zustand« mit »großen Sicherheitsbedenken«. Die Mängel, von denen Menzer berichtet, sind an den Schulen oft identisch: alter DDR-Bau, alte Fenster, kaputte Wände, marode Sanitäranlagen.

»Im Sommer heizen sich die Räume unglaublich auf«, erzählt die Mutter. Es gebe keinen Sonnenschutz. Im letzten Jahr hat der Elternrat Protokoll geführt, um die Temperaturen in den Klassenräumen zu prüfen: »Mehrere Messungen zeigten über 30 Grad«, sagt Menzer. Höchstmessung im August: 36,3 Grad Celsius. Es gebe Kinder, die sich den ganzen Tag verkneifen, etwas zu trinken, »damit sie nicht auf die Toilette müssen«, erzählt Lena Meuel, die sich ebenfalls im Elternrat engagiert und sich zu Linda Menzer an den Tisch setzt.

Über die Zustände an den Oberschulen und Gymnasien in der Stadt spricht auch der Stadtschülerrat regelmäßig. Von Sanitäranlagen, die man in den nahe liegenden Klassenzimmern rieche, von Räumen, in die es reinregne, und von fehlenden Brandschutztüren berichtet Gesine Großert, die Vorsitzende des Stadtschülerrats. »Ich will nicht an einer Schule lernen, wo ich keine Fenster öffnen kann, der Putz von den Wänden fällt und ich nicht aufs Klo gehen kann. Da macht es keinen Spaß zu lernen«, sagt Großert. »Wir verbringen den halben Tag hier, das macht was mit unserem Lernerfolg.«

Auch die Lehrkräfte an betroffenen Schulen sind besorgt: Leitungswasser, das man nicht trinken könne, und ein Klassenzimmer, in dem drei Wochen das Licht nicht funktionierte: Davon berichteten Lehrkräfte, die mit dem kreuzer gesprochen haben, aber anonym bleiben wollen – aus Sorge vor weiterer Stigmatisierung ihrer Schulen und Viertel.

Schaffe, schaffe, Häusle baue

»Ich bin richtig happy und stolz darauf, was wir bisher geschafft haben. Wir haben sehr viel aufgeholt«, sagt hingegen Vicky Felthaus, Leipzigs Bürgermeisterin und Beigeordnete für Jugend, Schule und Demokratie, »aber in der Vergangenheit haben wir im Westen, Nordosten und Osten einiges versäumt.« Man habe sich zu sehr auf die wohlhabenden Stadtteile fokussiert. Das solle sich mit der 2021 entwickelten Schulbaustrategie ändern. Wir treffen Felthaus zusammen mit Leipzigs Schulamtsleiter Peter Hirschmann, der mit ihr in einen Laptop schaut, um letzte Abstimmungen zu treffen. Dieses Jahr eilen die beiden von einer Eröffnung zur nächsten: Sechs neue Turnhallen, zwei neue Schulen, drei Schulerweiterungen, eine sanierte Schule und drei Interimsschulen stehen zu Buche. Im nächsten Jahr gehe es so weiter. Mit der Schulbaustrategie soll bis 2036 die Schulpflicht in Leipzig garantiert werden, also jedes Kind einen Schulplatz erhalten. Dafür hat man sich den kommunalen Schulbestand angesehen und entschieden, was mittel- bis langfristig gemacht werden müsse: Neubau, Ausbau, Sanierung und Modernisierung der Schulgebäude und Sporthallen – in allen Leipziger Stadtbezirken. Geplant sind dafür jährlich 200 Millionen Euro. Dass Leipzig mit dem Schulneubau nachlegen musste, habe mit den gestiegenen Geburtenzahlen nach 2008 zu tun.

Derzeit sind in Leipzig 62.916 Kinder an allgemeinbildenden Schulen – 2,2 Prozent mehr als im Vorjahr und »so viele wie seit der Wende nicht mehr«, sagt Felthaus. Im Jahr 2010 waren es zum Beispiel noch 46.500 Schülerinnen und Schüler. »Die Kinder aus zwei sehr starken Migrationsbewegungen sind jetzt alle in der Schule, und das ist auch gut so, aber unser Schulbestand musste sich vergrößern«, sagt Felthaus. Denn schon jetzt sind die Schulen komplett überbelegt: »In unseren Grundschulklassen sitzen 28 Kinder«, sagt Felthaus. »Also die Höchstgrenze.« Und der geburtenstärkste Jahrgang – 2017 – kommt erst in den nächsten zwei, drei Jahren in die weiterführenden Schulen.

Viele Schulen müssten schon jetzt Horträume und Klassenzimmer doppelt nutzen, sagt Schulamtsleiter Hirschmann. »Und viele Kinder bedeuten viel Lärm«, sagt Linda Menzer vom Elternrat der Schule am Rabet. Dort werden der Flur und die Klassenzimmer auch vom Hort genutzt. Der Lärm sei in den Betongängen der Schule aber kaum auszuhalten, sagt Menzer. »Dem sind die Kinder und Erzieher den ganzen Tag ausgesetzt.« Gemeldet wurde das bereits von Eltern, Hort und Lehrkräften. Die Unfallkasse sei sogar da gewesen. »Es sind also alle Stufen schon durch. Es tut sich aber nichts!«, sagt Menzer. Der Elternrat wünsche sich bis zur geplanten Sanierung im Jahr 2033 wenigstens Akustikpaneele.

Nach 2017 ist die Geburtenrate wieder gesunken, die Zahlen der Schülerinnen und Schüler werde also wieder sinken und »mit weniger Kindern kommen wir wieder in einen Normalzustand«, sagt Hirschmann. Also keine Doppelbelegung der Räume mehr. Allerdings seien Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf nach Lena Meuel vom Elternrat die beiden einzigen Viertel mit weiterhin steigenden Geburtenzahlen, »weil es mehr Zuzug gibt und kinderreichere Familien hier leben«.

Sechser im Lotto

Weil die Stadt Sanierungen nachholen muss, die über Jahre und Jahrzehnte liegengeblieben sind, was nicht während des laufenden Schulbetriebs geht, wurden sieben Auslagerungsschulen eingeplant: in Mockau, Gohlis, Leutzsch, Lößnig, Stötteritz, Grünau und Paunsdorf. Das Interimsobjekt in Paunsdorf zum Beispiel wurde gebaut, damit vier Schulen saniert werden können. »Die rotteten vor sich hin«, sagt Felthaus. Ob sie sich ärgere, dass die Stadt nicht viel früher damit angefangen hat? »Ja, klar!« Die Sanierungen habe man »ein Stück hintangestellt, weil wir jedes Schulgebäude einfach weiterbetrieben haben, bis auf den letzten Platz«.

Mit den Auslagerungsschulen ließe sich die Sanierungszeit einer Schule auf zweieinhalb Jahre halbieren. Trotzdem gerät die Stadt dabei immer wieder in Verzug: Das Gymnasium in Engelsdorf musste um drei Jahre verschoben werden, bei der Paul-Robeson-Schule sollten es ganze elf Jahre sein. Die Schule und der Stadtschülerrat konnten das aber mit viel Engagement verhindern. »Wir können nicht alles gleichzeitig machen, obwohl es nötig wäre«, gibt Felthaus zu.

Die Verwaltung führt deshalb eine Prioritätenliste. Darauf stehen zwanzig Schulen mit höchster Dringlichkeit. Doch pro Jahr können nur vier saniert werden, sagt Hirschmann. Das bedeutet: Selbst die Schulen mit der höchsten Priorität müssen teilweise bis zu fünf Jahre auf eine Sanierung warten. Wie man dann noch entscheiden könne, wer zuerst dran ist, sei nicht einfach. »Wir haben so viele sanierungsbedürftige Schulen in Leipzig, mit einem sehr ähnlich schlechten Zustand, die am besten sofort saniert werden müssten.« Der Anteil der maroden Schulen würde zwar nicht steigen, aber die Probleme an den betroffenen Gebäuden würden sich verschärfen, sagt Hirschmann: »Wir haben Schulen, deren Elektroanlagen nicht den nötigen Standards entsprechen. Mal brennt ein Kabel, mal treten kleinere Störungen auf. Auch die Heizungsrohre sind in sehr schlechtem Zustand«, zählt der Schulamtsleiter auf. Zum Turnfest letztes Jahr besichtigte die Verwaltung alle Schulen in Leipzig. Dabei wurden Mängel entdeckt, die zuvor nicht bekannt waren. Das habe vor allem den Brandschutz betroffen und sei sofort behoben worden, sagt Hirschmann.

Das Risiko für Schließungen bestehe aber trotzdem, deswegen sei er regelmäßig mit der Unfallkasse und der Bauordnungsbehörde im Gespräch. Denn sollte eine Schule von einem Tag auf den nächsten von der Unfallkasse geschlossen werden, gebe es wegen der Überbelegung der Schulen aktuell kein Gebäude, in das sie ausgelagert werden könnte. »Kein einziges«, sagt Felthaus. Das Risiko, dass Schülerinnen und Schüler tatsächlich nicht untergebracht werden können, steige, wenn nicht weiter in Sanierung investiert würde. »Aber die Förderungen vom Freistaat fehlen«, sagt Felthaus. Dieses Jahr habe es gar keine gegeben. »Wir brauchen fortlaufende Förderungen, es kann nicht sein, dass ich ständig beim Land darum betteln muss«, sagt Felthaus. »Das hat bei uns in diesem Jahr dazu geführt, dass wir die Schulbaustrategie in der Form überarbeiten und viele Projekte zurückstellen mussten.«

Selbsthilfe statt Sanierung

Darüber kann Linda Menzer nur den Kopf schütteln. Die Schule ihrer Tochter ist 2033 dran. »Ursprünglich hieß es 2028«, sagt Menzer. »Das sind noch zwei komplette Jahrgänge, die die Schule vorher durchlaufen.« Vor der Sanierung groß zu investieren sei unnötig, findet Menzer. Trotzdem fragt sich Lena Meuel: »Wenn so viel geschoben wird, passiert dann auch was in der Zwischenzeit, damit man an den Schulen ordentlich lernen kann?« Etwas, das ihnen zeige: Wir sanieren noch nicht, aber wir vergessen euch auch nicht, wünscht sich Menzer. Vor zwei Jahren haben die Eltern in der Schule am Rabet zwei Klassenzimmer gestrichen, »weil sie in einem katastrophalen Zustand waren«. Sogar die Farbe haben die Eltern selbst bezahlt. Letzten Sommer, berichtet Menzer, habe die Stadt dann mehrere Zimmer gestrichen. Um die heißen Räume kümmerte sich aber auch der Elternrat, brachte eine Sonnenschutzfolie an die Fenster an und kaufte Ventilatoren. »Ideal wären Außenrollos, aber dafür sei die Elektrik des alten Baus nicht ausgerichtet«, sagt Menzer.

Auch die Lehrerinnen und Lehrer, mit denen wir gesprochen haben, berichten, sie hätten in den Sommerferien in eigener Initiative Flure und Klassenräume gestrichen, weil die Tapete schon großflächig abgerissen war. Für ein Klassenzimmer habe das beispielsweise 200 Euro gekostet, das sie mit einer speziellen Latexfarbe strichen, die widerstandsfähiger ist. Andere aus dem Kollegium hätten Spachtelmasse gekauft, um Löcher zu stopfen.

»Im Prinzip versuchen wir die strukturellen Mängel durch eigenes Engagement und eigene Finanzierung auszugleichen«, sagt Menzer. »Weil wir das unseren Kindern und ihren Lehrkräften nicht zumuten wollen.« Die Eltern der Schule am Rabet seien alle sehr überzeugt vom Lehrpersonal, auch ihre Kinder gingen gern zur Schule. »Es gibt aber viele, die hier wohnen, die ihre Kinder nicht auf die staatlichen Schulen im Viertel schicken, weil diese so aussehen, wie sie aussehen«, sagt Lena Meuel. Diese Eltern müssten teilweise regelrecht überzeugt werden, »obwohl die Personen, die hier arbeiten, ein Traum sind«


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