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Riecht verdächtig nach Bürokratie

Der Duft- und Tastgarten erhält vorerst keine barrierefreie Toilette

  Riecht verdächtig nach Bürokratie | Der Duft- und Tastgarten erhält vorerst keine barrierefreie Toilette  Foto: Stefan Ibrahim


Beim Thema Toiletten geht den Leipziger Stadträtinnen und Stadträten der Arsch auf Grundeis. »Ich bin noch nicht so lange im Stadtrat, aber habe trotzdem schon meinen Grundkurs in Toilettenwissenschaft hinter mir und weiß, dass das eine höchst komplizierte Materie ist«, sagt Ralf Pannowitsch. Der BSW-Fraktionsvize stellt gerade seinen Antrag zur Instandsetzung des Duft- und Tastgartens im Friedenspark vor, der besonders auf die Bedürfnisse von blinden und sehbehinderten Menschen angepasst ist. »Im Laufe der Jahre haben sich dort viele Mängel summiert«, heißt es im Antrag. Es geht um Dinge wie die Reparatur der Wasserleitungen oder einen barrierefreien Zugang zum Apothekergarten. Klingt erstmal gut.

Komisch ist nur, dass das BSW den Antrag offenbar formuliert hat, ohne die betroffene Zielgruppe miteinzubeziehen. »Wir haben ein bisschen die Ohren lang gezogen bekommen vom Behindertenbeirat, weil wir diesen Antrag in die Welt gesetzt haben, ohne den Beirat zu kontaktieren und seine Expertise zu nutzen. Das ist freilich wahr«, gibt Pannowitsch zu. Umso besser, dass heute eine Betroffene aus dem Beirat vor Ort ist, um zu erläutern, was am Duft- und Tastgarten tatsächlich veränderungswürdig ist.

Susanne Siems vom Blinden- und Sehbehindertenverband hat sich ausgiebig vorbereitet. Vier Punkte beinhaltet ihr Änderungsantrag: ein die Instandsetzung begleitendes Gremium aus Vertretern der Stadtverwaltung sowie des Behindertenbeirats, die Überarbeitung der barrierefreien Materialien für den Garten und die Einbeziehung sehbehinderter Menschen bei einer möglichen Neukonzeption. Und, was Pannowitsch zum Schwitzen bringt: Eine barrierefreie Sanitäreinrichtung in der Nähe des Gartens.

Schnappatmung bekommt beim Stichwort Klos auch Pia Heine (SPD), die damit ihren Änderungsantrag erklärt. »Wir möchten allem zustimmen, außer den Toiletten«, erklärt sie bedauernd. »Es ist halt nicht realistisch und wir untergraben damit den Beschluss, den wir zum Toilettenkonzept einmal gefasst haben.« Im Frühjahr hatte sich der Stadtrat darauf geeinigt, 16 neue Toiletten an ausgewählten Orten in der Stadt zu errichten. Der Duft- und Tastgarten war keiner davon.

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) schlägt einen Kompromiss vor: Sollten allen anderen Maßnahmen am Duft- und Tastgarten zugestimmt und die Toilette abgelehnt werden, wird im Protokoll notiert, dass diese im nächsten Konzept – für 2027/28 – berücksichtigt werde.

Jung (SPD) ist langsam mit den Nerven am Ende. Statt elektronischer Abstimmung bittet er um Handzeichen. »Machen wir's mal so, kommt!« Dass den Vorschlägen des Behindertenbeirats (außer der Toilette!) dabei einstimmig zugestimmt wird, freut ihn.

Nun folgt die Toiletten-Abstimmung und die Frage: Stimmt der Stadtrat für ein WC, das eh nicht gebaut werden kann? Oder für eine Notiz, die bis 2027 im Protokoll verrottet? Den Stadträtinnen und Stadträten ist das aber zu kompliziert. Auf dem Abstimmungsdisplay lässt sich beobachten, wie viele ihre Meinung ändern als Jung sagt: »Zur Klärung nochmal: Wenn das positiv abgestimmt wird, entfällt die Protokollnotiz.« Christina März (SPD) ist entrüstet. »Mitdenken, Frau März, mitdenken!«, fordert Jung sie auf. »Ganz dünnes Eis, Herr Bürgermeister!«, entgegnet die Parteigenossin.

Schlussendlich entscheiden sich die Stadträte für das geringere Übel: eine Toilette, die hoffentlich in zwei Jahren errichtet wird.


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