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Kultur

Anschlag nach dem Anschlag

Zwei Dokus zeigen, wie Politik und Behörden das Leid der Überlebenden von Mölln und Hanau vergrößerten

  Anschlag nach dem Anschlag | Zwei Dokus zeigen, wie Politik und Behörden das Leid der Überlebenden von Mölln und Hanau vergrößerten  Foto: Filmstill


Wo stehen wir in der gesellschaftlichen Aufarbeitung von rassistischem Terror? Nicht gut, wie zwei Dokumentarfilme zeigen, die Opfer und ihre Angehörigen sprechen lassen. In dreißig Jahren hat sich wenig bis nichts geändert, was institutionellen Rassismus betrifft. Beide Filme sind so sehenswert wie erschütternd, machen sie doch deutlich, was die Hinterbliebenen den »Anschlag nach dem Anschlag« nennen – und welche zusätzliche Last ihnen dadurch aufgeladen wurde.

»Die Möllner Briefe« dreht sich allein um einen Umstand, der bisher kaum bekannt ist. Nach den Brandanschlägen von Mölln im November 1992 erhielten die betroffenen Familien Hunderte Briefe von Menschen aus ganz Deutschland, die ihre Solidarität bekundeten. Doch diese Briefe kamen nie bei ihnen an, sondern landeten im Möllner Stadtarchiv. Ein bürokratischer Akt, der die Trauer der Familie erschwerte. Nur durch Zufall entdeckte sie eine Studentin und informierte İbrahim Arslan, der damals Schwester, Cousine und Großmutter verlor. Der Film folgt ihm auf dem Weg, alle Briefe zurückzubekommen und sie dem Dokumentationszentrum über die Migration in Deutschland zu übergeben. Ebenfalls organisiert er ein Gedenken, bei dem die Familien im Mittelpunkt stehen. In dieser Arbeit sieht Arslan sein Mittel, mit seinem anhaltenden Trauma umzugehen. Sein Bruder Namik steht erst am Anfang der Bewältigung. Angemessene Erinnerung bekommt großen Raum im Film. Er blendet auch viele Solidaritätsbekundungen ein und zeigt einige von jenen, die damals nach Mölln schrieben.

Groß war die gesellschaftliche Solidarität auch mit jenen, die ihre Lieben im Februar 2020 in Hanau verloren, als ein Rassist neun junge Menschen erschoss. Sie und ihre Perspektive stehen im Zentrum von »Das deutsche Volk«. Neben der Trauer wird in der Langzeitdoku vor allem ihre Anklage überdeutlich. Viel zu spät, so ist zu hören, kam die Polizei zum Tatort. Sie ließ Körper über Stunden unberührt liegen, führte Obduktionen ohne Information der Familien durch. Warum war der Fluchtweg abgeschlossen? Antworten erhalten sie, die sich kollektiv organisieren, kaum. Von Behörden und Politik fühlen sie sich im Stich gelassen. Der Schwarz-Weiß-Film lässt Einzelne von ihnen zu Wort kommen, zeigt sie bei Demonstrationen, auf ihren Treffen und in Konfrontation mit der Politik.

Beide Filme sind subjektiv gehalten, sind zornige Ausdrücke dessen, dass der Mehrheitsgesellschaft angehörende Entscheider sich nicht in Opferperspektiven einfühlen können. Dieser Anschlag nach dem Anschlag vergrößert das Leid der Überlebenden immens.

> »Die Möllner Briefe«: D 2025, R: Martina Priessner, 96 Min., ab 25.9., Passage-Kinos, 25., 27.–30.9., am 27.9. mit Regiegespräch, Cinémathèque, 26., 28./29.9., UT Connewitz

> »Das deutsche Volk«: D 2025, R: Marcin Wierzchowski, 132 Min., ab 4.9., Passage-Kinos


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1 Kommentar(e)

Irmela Mensah-Schramm 27.09.2025 | um 09:55 Uhr

Zum Film 'Die Möllner Briefe': Erst wurden schon immer eindeutige Drohungen gegen die Zugewanderten ignoriert. Wenn dann die Drohbotschaften lange geduldet und ignoriert werden, kommt es zum nächsten Schritt: Brandanschlag! Das gab es auch schon vor Mölln, aber das interessierte wohl niemanden, auch nicht die Politik! Ihr Interesse ist größer an den Abschiebungen in oft menschenverachtender Weise! Das aber dann die Behörde vor Ort es auch noch fertig brachte, die an die Opfer (Überlebenden) des Brandanschlags in Mölln gerichteten Soilidaritätsbekundungen und auch Hilfsangebote aus der Zivilgesellschaft nicht an sie weiterzuleiten, empfinde als nächsten 'Schlag' gegen sie. Ich kann dies aus persönlichen Erfahrungen voll nachempfinden.