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Kultur

Ein bisschen Frieden

Am Schauspiel Leipzig ist »Der Sturm« gefällig, verfehlt aber das Ziel

  Ein bisschen Frieden | Am Schauspiel Leipzig ist »Der Sturm« gefällig, verfehlt aber das Ziel  Foto: Rolf Arnold


»Wie schnell man durch Blicke zum Objekt wird.« – Miranda wundert, dass der Inselbesucher in ihr eine Primitive sieht. Ob Erkenntnis in ihr reift? Immerhin nannte sie Minuten zuvor noch Caliban ein wildes Weib. Richtig gelesen: In der »Der Sturm«-Fassung von Adewale Teodros Adebisi erfährt die unterdrückte Figur ein bisschen Frieden. Textlich emanzipiert der Regisseur seine Caliban, bleibt aber ästhetisch hinter diesem Anspruch zurück.

Optisch besticht die Bühne. Prosperos verzauberte Insel mit Spiegelkabinett wird zum verlassenen Schwimmbad. Leer ist das Becken in der Mitte, die Duschen zur Rechten laufen. Alles ist eingefasst in verblasste gelb-braune Fliesen. Über dem, wo man einst fröhlich zusammenkam, liegt der Charme eines Nichtorts. Links und hinten dienen Projektionswände zum Einspielen verschiedener Ansichten. Mal tut sich dort eine lebendige Ahnengalerie auf, wenn Zauberer Prospero Tochter Miranda von früher erzählt. Als er noch Herzog von Mailand war. Nun im Eiland-Exil sinnt er auf Rache. Mit einem Sturm holt er seinen Bruder Antonio, den Herzog von Neapel, und Gefolgschaft in sein Labyrinth. Dort irren diese herum. Projektionen von Überwachungskameras eröffnen andere düstere Räume.

Leider erzeugt die Bühnensituation auch ein Manko. Noch immer dienen die alten Agra-Messehallen als Interim des Schauspiels. Diese verfügen nicht über die Akustik des Schauspielhauses, wo derzeit die Technik erneuert wird. Der Raum ist eine Blackbox, nichts ist erhöht. Das Publikum sitzt weit entfernt. So sind die Darstellenden im hinteren Bühnenbereich akustisch unterpräsent. Zumal, wenn aus dem Off Musik fett zu hören ist. Markus Lerch ist als Prospero – hübsch lächerlich in roter Alfa-Romeo-Kombi – anfänglich blass. Aber er wächst. Gerade nah am Publikum überzeugt er als Hin-und-Her-Gerissener zwischen den Rollen als Ex-Herrscher und Zauberer. Wenn er mit sich ringt, dabei zwei Gesichter zeigt, werden das im Lauf der Inszenierung packende Momente.

Durchgängig stark ist Wenzel Banneyer als machthungriger Antonio in Mafiapose. Mit sich im Unreinen, auf der Suche nach ihrem Ich, ist Larissa Aimée Breidbachs Miranda-Figur. Vorn agierend hat sie starke Momente, wenn sie sich eben nicht als Spielball der Herrschenden und des Patriarchats zeigt. Auch ihre Rolle hat der Regisseur von den Fesseln des Shakespeare-Originals befreit. Sie wird nicht einfach verheiratet: Mit offenem Schluss darf ihre Zukunft im Unklaren bleiben.

Enttäuschend als Figur ist Caliban. Teresa Schergaut fehlt der Raum, sie auszufüllen. Caliban wird zur Frau, die anfänglich mit einer Maske vorm Gesicht durchs Schwimmbecken wackelt. Sie ist nicht mehr Sklavin des Magiers, sondern verbalradikale Revolutionärin, gibt Widerworte, ohne zu handeln. Und wirkt eingeklemmt in ein Kunstlederkostüm mit üppigem Dekolleté wie ein Maskottchen. Statt zu spielen, läuft sie schwadronierend herum: »I gave Peace a chance.« Schade, denn so bleibt auch dieser Caliban ein Objekt, erzeugt durch den Blick von Regisseur und Publikum. Die Figur, die seit Jahrhunderten einen Schwarzen zum Sklaven und Wilden erklärt, markiert auch hier »das Andere«, nur eben als das Weibliche und der Nicht-Normkörper. Wenn diese Inszenierung so exzellent mit Projektionen arbeitet, warum nicht Caliban zu einer solchen machen? Das ist er doch, Othering findet durch Projektionen statt. Menschen werden zu Frauen und zu Fremden gemacht. 


> »Der Sturm«: 4.10., 19.30 Uhr, Schauspielhaus/Ag(o)ra


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