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Kultur

Blick aus dem Fenster

Die Kinostarts der Woche

  Blick aus dem Fenster | Die Kinostarts der Woche  Foto: Gordon Timpen


Mexico, Brasilien, Chile, Argentinien, Kolumbien – Die Länder Lateinamerikas sind so vielfältig wie ihre Kinolandschaften. Das alles unter einen Festivalhut zu bringen, ist ein wahres Kunststück. Trotzdem stellt sich der Verein Sudaca seit zwei Jahrzehnten dieser Herausforderung – zuerst mit Cinebrasil und den Argentinischen Filmtagen, im Oktober zum 16. Mal mit den Lateinamerikanischen Tagen. Einblicke ins Programm unter: lateinamerikanische-tage.de

»16. Lateinamerikanische Tage«: 8.-18.10., Cineding, Schaubühne Lindenfels, Passage-Kinos, Mühlstraße


Film der Woche: April 1945: Die Russen stehen vor den Toren Berlins und das Dritte Reich wird bald Geschichte sein. Auch auf Amrum sind viele Menschen insgeheim froh, doch noch haben auf der Nordseeinsel die Hitler-Getreuen die Oberhand. Der 12-jährige Nanning lebt erst seit Kurzem hier, nachdem er mit seiner Mutter Hille und den Geschwistern nach dem Angriff der Alliierten von Hamburg ins alte Familienanwesen geflüchtet ist, in dem die Familie nun mit der Tante lebt, während der Nazi-Vater in Gefangenschaft geraten ist. Allmählich werden jedoch die Lebensmittel knapp und als die Nachricht eintrudelt, dass der Führer tot ist, versinkt die schwangere Hille in tiefer Depression. Als sie irgendwann zumindest nach einem Weißbrot mit Butter und Honig verlangt, will Nanning ihr diesen Wunsch mit allerlei Tauschgeschäften erfüllen. Ursprünglich sollte »Amrum« das letzte Werk von Regisseur und Schauspieler Hark Bohm werden. Weil der Über-Achtzigjährige gesundheitlich aber nicht mehr fit genug war, übernahm Fatih Akin für ihn die Adaption seiner Jugenderinnerungen. Mit kindlichem Blickwinkel, prallen Inselbildern und trotz des ernsten Hintergrunds manch humorvoller Note, ist dem Ersatzmann ein schöner Coming-of-Age-Film geglückt. Er schafft es, der im Kino inzwischen doch sehr umfassend behandelten Zweiter-Weltkriegs-Thematik tatsächlich noch neue Nuancen abzugewinnen. PETER HOCH

»Amrum«: ab 9.10., CineStar, Passage-Kinos, Regina-Palast, Schauburg



Michi ist jung gestorben. Seine vier besten Freunde wollen ihm seinen letzten Wunsch erfüllen und seine Asche in den Bergen verstreuen. Auf der Fahrt dorthin haben die Vier einen Autounfall und finden sich im Jenseits wieder. Das ist genauso aufgebaut wie jedes andere deutsche Amt. Nummer ziehen, Anmeldevorgang starten und beim entsprechenden Sachbearbeiter vorstellig werden – je nach Glaubensrichtung im Leben. Resi versucht, als Atheistin den Eintritt ins Nichts hinauszuzögern, indem sie sich dem Hausmeister als Praktikantin anbietet, Sophie möchte in den AGBs erstmal das Kleingedruckte lesen und Fipsi wird kurzerhand zum Buddhisten. Mel ist mal da, dann wieder weg, weil man im Diesseits noch verzweifelt versucht, sie wiederzubeleben. Für sein Langfilmdebüt hat sich Julius Grimm eine bitterböse schwarze Komödie ausgedacht, die für alle mit eigenen Behördenerfahrungen jede Menge Wiedererkennungswerte liefern dürfte. Vielleicht sitzt nicht jeder Gag, und insgesamt ist »Zweigstelle« mehr Schmunzelkomödie als Schenkelklopfer, aber das spielfreudige Darstellerensemble garantiert, dass man sich anderthalb Stunden kurzweilig unterhalten kann. Das Drehbuch ist gleichermaßen originell wie unberechenbar, so dass man mit viel Einfallsreichtum und zahlreichen netten Anspielungen durch dieses absurde Jenseits geleitet wird, in dem altbekannte Abläufe herrlich schwarzhumorig überhöht werden. FRANK BRENNER

»Zweigstelle«: ab 9.10., Passage-Kinos, Regina-Palast, Schauburg



Einer der allenthalben angeführten Eckpfeiler der DDR-Innenpolitik war die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Gerd Groske hat sich für seinen neuen Dokumentarfilm an Archivbestände des alten Leipziger Piratensenders Kanal X gewagt, in denen Frauen in typischen Männerdomänen porträtiert wurden: Im Bergbau, an großen Maschinen, in Dampfloks oder Chemiewerken. 30 Jahre später hat er sie getroffen, um mit ihnen über damals zu sprechen, über die Verwerfungen, die mit Wiedervereinigung, Treuhand und Privatisierung einhergingen. So entfaltet sich aus den vielen Stimmen keineswegs nur ein romantisch-ostalgisches Bild: Auch in der DDR mussten sich Frauen trotz aller staatlich verordneter Pflicht zur Arbeit (Stichwort: Glucke!) gegen ihre männlichen Kollegen behaupten. Tiefe Spuren hat die Zeit der Wende in ihnen hinterlassen, die für viele Frauen in mehreren Entlassungswellen das Ende ihrer lange ausgeübten Tätigkeiten bedeutete. Über die persönlichen Eindrücke hinaus, die über zwei Stunden auch langatmig und redundant werden können, wären zur kritischen Einordnung indes auch Expertinnen und Experten von Vorteil gewesen, zumindest aber mehr Kontext über die tatsächlichen Begebenheiten, denn: auch die DDR-Spitzen (fast durchgehend männlich besetzt) haben Gleichberechtigung nicht nur aus Nächstenliebe durchgesetzt. PHILIPP MANTZE

»Stolz & Eigensinn«: ab 9.10., Passage-Kinos, Luru-Kino in der Spinnerei



Ein richtig gutes Drehbuch ist Gold wert. Casper hat so eins quasi nebenbei geschrieben: Über einen Virus, der von dem alten Bond-Bösewicht Blofeld stammt und der alle Tiere unfruchtbar macht. Problem: Den unvorhergesehenen Erfolg heimst seine Ex-Freundin Justine ein, die sich das Skript offenbar unter den Nagel gerissen hat und auf einem Filmfestival in Island einen Preis abräumt. Der Film begleitet das lakonische Duo Casper und seinen Kumpel Max auf der Suche nach der Ex, dem Text und der Wahrheit. Dabei verfolgen die beiden die Spur bis nach Hollywood, geben sich selbst als Journalisten aus, leben bei Justines Tante, treffen Stars, Performance-Künstler und US-Normalos und geraten in eine Mordserie, die mit dem Film zusammenhängt. Die Handlung ist fast Nebensache, das Independent-Drama besticht eher durch seine teils skurrilen Figuren, Ideen und Dialoge, die manchmal wie Karikaturen von Interaktionen anmuten. Da muss auch mal Ponys der Popo geputzt werden. Zu dieser Gesamt-Tonalität, die in Vielem leise gegen den Kino-Mainstream anspielt und Seitenhiebe gegen den Zeitgeist austeilt, gesellt sich auch eine ebenso abstrakte, aber passende Filmmusik. Das alles reicht für einen sympathischen, andersartigen Film. Zu einem herausragenden fehlt dann eben doch das richtig gute Drehbuch. MARKUS GÄRTNER

»Hochstapler und Ponys«: ab 9.10., Luru-Kino in der Spinnerei


Ein alter Mann am Meer. Der Blick streift von der Schönheit im Badeanzug über die Wellen zurück in die Erinnerung. Ein Agent, ein Auftrag. Ein Ölmagnat, der seine dunklen Strippen zieht. Ein Fremder ohne Gesicht, der seine Opfer hypnotisiert. Eine mysteriöse Gegenspielerin in schwarzem Leder. Und immer wieder das Meer. »Reflection in A Dead Diamond« wirft all das und viel mehr auf die Leinwand. Ein hypnotischer Trip, der zwar keine wirklich kohärente Handlung verfolgt, aber seine Einzelteile extrem stilvoll serviert.
Formen, Farben, Symmetrie, das Licht gebrochen im Schein der Diamanten – immer wieder spielen Hélène Cattet und Bruno Forzani mit dem Medium Film. Das Regieduo setzt auch mit seiner vierten Zusammenarbeit die eigenwillige Filmographie konsequent fort. »Amer – Die dunkle Seite deiner Träume«, »Der Tod weint rote Tränen«, »Leichen unter brennender Sonne« – schon die Titel atmen den Geist vergangenen Kinos. Mit ihrem neuen Werk wenden sie sich ab vom italienischen Horror und Italo-Western, hin zu den Agententhrillern der Sechziger. »Reflection in A Dead Diamond« ist aber viel mehr Pulp als Bond und erinnert an die Comichefte jener Zeit und die Filme des legendären Studios Cannon.
Kongenial ist da die Besetzung mit Fabio Testi, dem Star von Filmen wie »Knie nieder und friss Staub«, »Blonde Köder für den Mörder« und »Manaos – Die Sklaventreiber vom Amazonas«. Er spielt den alten John D., mit Yannick Renier fand man einen aalglatten Agenten für die Rückblenden. Die beiden Darsteller sind der Anker in einem Film, der ständig in Bewegung ist. Hinter jeder Szene lauert ein neuer Einfall, Einstellungen zerfallen in ihre Einzelteile, die Zeitebenen überlagern sich, hinter Masken verbergen sich nur immer neue. Wer auf eine zufriedenstellende Auflösung hofft, wird ebenso enttäuscht wie alle, die ein leicht goutierbares Spionagespektakel erwarten. »Reflection in A Dead Diamond«, der seine Premiere bei der diesjährigen Berlinale feierte, fordert, dass man sich voll und ganz auf ihn einlässt – und das am besten in einem Kinosaal.

»Reflection in a Dead Diamond«: ab 9.10., Luru-Kino in der Spinnerei



Weitere Filmtermine der Woche

Im Prinzip Familie
D 2024, Dok, R: Daniel Abma, 91 min

Daniel Abma zeigt in seinem gut beobachteten Dokumentarfilm einfühlsam die Gefühlsachterbahnen in einer Betreuungseinrichtung für Kinder.

Cineding, 10.10. 19:00 (Mit Werkstattgespräch)


Mit Herz und Hund
GB 2021, R: Paul Morrison, D: Dave Johns, Alison Steadman, Natalie Simpson, 86 min

Dave und Fern, beide in den Sechzigern, lernen sich auf 23 Spaziergängen mit ihren Hunden kennen und lieben.

Passage-Kinos, 10.10. 18:00 (Welthundetag)


Sudan, Remember Us
F/TUN/QAT 2025, Dok, R: Hind Meddeb, 76 min

Eine behutsame filmische Annäherung an die jungen Menschen auf den Straßen von Khartum, die Widerstand leisten gegen ein diktatorisches Regime, aber vor allem für ein freieres Leben und ihre Selbstbestimmung kämpfen.

Cinémathèque, 09.10. 19:30 (mit Regiegespräch, OmeU)


Achtundzwanzig
D 2022, Dok, R: Cornelia Grünberg, 116 min

Cornelia und Andreas Grünberg begleiteten 2012 vier Mädchen, die mit 14 ungewollt schwanger wurden, mit der Kamera. In der Doku-Fortsetzung zeigen sie, wie die jungen Frauen und ihre Kinder die vergangenen 14 Jahre verbracht haben.

Cinestar, 09.10. 11:45, 11.10. 11:45, 14.10. 11:45


Police Story
HKG 1985, R: Jackie Chan, D: Jackie Chan, Brigitte Lin Ching-hsia, Bill Tung, 100 min

In dieser legendären Actionkomödie inszenierte Jackie Chan sich selbst in der Rolle eines Polizisten, der die Rache eines Gangsterbosses zu spüren bekommt, der ihn jagen lässt, als ein Gerichtsprozess gegen ihn platzt.

Cineplex Cinestar 10.10. 20:15


Mulholland Drive 
USA 2001, D: Naomi Watts, Laura Elena Harring, Justin Theroux, 147 min

Kinobar Prager Frühling, 12.10. 19:30 (OmU, Woche der Seelischen Gesundheit)
Ein typischer David-Lynch-Thriller: toll besetzt und gefilmt, hypnotisch, verschachtelt – und völlig rätselhaft bis zum Schluss.

Cineplex Cinestar 10.10. 20:15


Der Code − The Return from the Other Planet
ISR/D 2023, Dok, R: Assaf Lapid, 81 min

Nach seiner Entlassung aus Auschwitz im Jahr 1945 begann Yechiel De‐Nur seine Erlebnisse niederzuschreiben. Innerhalb von zwei Wochen schuf er unter dem Pseudonym Ka‐Tzetnik, »der Mann aus den Lagern«, eine neue Identität.

Kinobar Prager Frühling, 11.10. 16:15 (OmU, Woche der Seelischen Gesundheit)


Lesvia
GR 2024, Dok, R: Tzeli Hadjidimitriou, 78 min

Seit den 1970er Jahren ist die griechische Insel Lesbos zu einem Zufluchtsort für Lesben aus aller Welt. Im Küstendorf Eressos, dem Geburtsort der antiken Dichterin Sappho, entstand über die Jahrzehnte eine lebendige Gemeinschaft, in der Frauen offen und frei leben und lieben konnten.

Kinobar Prager Frühling, 11.10. 18:00 (Coming Out Day, OmU)


Sie leben! 
USA 1988, R: John Carpenter, D: Keith David, Meg Foster, Roddy Piper, 91 min

Aliens haben die Erde besetzt. Sie benehmen sich ganz »normal« und sehen aus wie du und ich. Nur durch eine Spezialbrille erkennt man ihr wahres Gesicht. Die findet der Gelegenheitsarbeiter Nada und führt einen einsamen Kampf gegen eine gewaltige Übermacht. Satirischer, höchst unterhaltsamer SciFi-Klassiker von John Carpenter, der seine medienkritische Botschaft nicht gerade subtil verpackt.

Luru-Kino in der Spinnerei, 11.10. 21:30 (Best of Cinema)


Being Hipp
D 2025, Dok, R: Anna Schmidt, 52 min

Dokumentarfilm über Jutta Hipp, eine deutsche Jazzpianistin, die sich gegen alle Widerstände in der männerdominierten Jazzwelt New Yorks der 1950er Jahre durchsetzte.

Passage-Kinos, 12.10. 19:30 (Leipziger Jazztage, mit Regiegespräch)


Die Unbeugsamen
D 2019, Dok, R: Torsten Körner, 104 min

Doku über Politikerinnen in den Gründungsjahren der Bundesrepublik.

Zeitgeschichtliches Forum, 13.10. 19:00 (Reihe »Frau. Macht. Politik.«)


Luru-Archive: Kein Mord von der Stange / Die Kettenreaktion

Zwei Science-Fiction-Thriller aus den 1980ern nacheinander.

Luru-Kino in der Spinnerei, 13.10. 20:00

Eraserhead
USA 1977, R: David Lynch, D: Jack Nance, Charlotte Stewart, Allen Joseph, 89 min

Der Nobody Henry und seine Freundin Mary bekommen ein Kind. Das ist allerdings ein wahres Monstrum und lässt das Paar einen Albtraum erleben, aus dem es nur ein böses Erwachen geben kann.

Kinobar Prager Frühling, 13.10. 21:00 (OmU, Woche der Seelischen Gesundheit)


Homo Faber
USA/F/GR/D 1991, R: Volker Schlöndorff, D: Sam Shepard, Julie Delpy, Barbara Sukowa, 117 min

Die Reisen des 50-jährigen emotionslosen Ingenieurs Walter Faber, inszeniert nach dem gleichnamigen Roman von Max Frisch.

Passage-Kinos, 13.10. 18:00 (Literatur trifft Film, mit Einführung und Filmgespräch)

Kurzfilme zum Thema »Grenzen«

Schaubühne Lindenfels, 17.10. 19:30 (12. Festival Politik im Freien Theater, Dokumentarfilm mit Nachgespräch)

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
D 2017, R: Arne Feldhusen, D: Charly Hübner, Detlev Buck, Marc Hosemann, 111 min

Ferdi und Raimund besitzen ein Techno-Label und planen eine Ravetour durch Deutschland. Ihr alter Freund Karl Schmidt soll Fahrer sein, da dieser nüchtern bleiben muss. Auch ohne das Auftauchen von Herrn Lehmann ist die Quasi-Fortsetzung des Kultfilms ein authentisches Vergnügen voller kerniger Figuren, Neunziger-Jahre-Techno-Nostalgie und jeder Menge skurriler Dialoge.

Luru-Kino in der Spinnerei, 14.10. 19:00 (Eintritt frei, Rausch und Stigma mit Gespräch)

Possession

D/F 1981, R: Andrzej Zulawski, D: Isabelle Adjani, Sam Neill, Margit Carstensen, 122 min

Wiederaufführung eines Horrordramas von 1981: Ein Regierungsagent entwickelt nach der Trennung von seiner Frau eine Obsession für diese und erlebt dabei Unvorstellbares.

Ost-Passage-Theater, 15.10. 20:00


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