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Kultur

»Das Gegenteil von Resignation«

Die Schriftstellerin Dorothee Elmiger über ihr neues Buch »Die Holländerinnen«

  »Das Gegenteil von Resignation« | Die Schriftstellerin Dorothee Elmiger über ihr neues Buch »Die Holländerinnen«  Foto: Georg Gatsas

Die Schweizer Autorin und Übersetzerin Dorothee Elmiger steht mit ihrem vierten Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Dem logbuch erzählt die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin von Inspirationen für »Die Holländerinnen« und vom Reiz des Gefährlichen.

Worum geht es in Ihrem neuen Buch?

Auf der Oberfläche geht es um eine Gruppe von Theaterleuten, die in einem tropischen Waldgebiet eine Art Recherche durchführt und sich auf ein Stück vorbereitet. Auf einer tieferen Ebene ging es mir unter anderem um die Frage, wie verschiedene Formen von Gewalt miteinander in Verbindung stehen beziehungsweise ob all unsere Verhältnisse immer und immer noch von Gewalt geprägt sind. Im Buch wird das anhand des Verhältnisses zur Natur, etwa im Bändigen von Tieren, im Geschlechterverhältnis oder auch im Zusammenhang mit kolonialen Verhältnissen thematisiert.


Der Titel Ihres Buches lautet »Die Holländerinnen«. Was hat es damit auf sich?

Die Geschichte der Holländerinnen ist angelehnt an eine Geschichte von zwei Frauen, die sich tatsächlich ereignet hat: Sie sind in Panama verschwunden und später fand man eine Kamera von ihnen mit einer ganzen Serie von Fotografien, die nachts aufgenommen wurden und auf denen eigentlich »nichts« zu sehen ist. Mich haben diese Bilder sehr interessiert. Ich habe lange überlegt, wie ich mit diesem realen Fall umgehe. Eine Weile dachte ich darüber nach, Österreicherinnen oder Schweizerinnen aus ihnen zu machen. Aber dann schien es mir eben doch ganz richtig, dass es Holländerinnen sind, auch wegen des historischen Bezugs. Das hat für mich noch mal einen Assoziationsraum geöffnet, der für den Text wichtig war.


Was war der Ausgangspunkt für Ihre Arbeit an dem Buch, gab es eine Art Initialszene?

Das ist schwierig zu beschreiben. Ich habe eigentlich schon 2019 eine Vorform von diesem Buch angefangen, aber das war äußerlich ein ganz anderer Text und ich habe dann mehrere Jahre alle Versuche verworfen, bis ich diesen Text geschrieben habe. Was all diese Entwürfe verband, war keine konkrete Szene, vielmehr ging es mir um eine Wahrnehmung der Gegenwart, um eine große Desillusionierung. Ich bin in den Achtzigern geboren und in den Neunzigern aufgewachsen und bezüglich bestimmter Bereiche gab es in meiner Jugend doch das Gefühl, dass man sich gesellschaftlich auf einem Pfad der Besserung befindet – was die patriarchalen Verhältnisse betrifft zum Beispiel. All meinen Versuchen lag das Gefühl zugrunde, dass sich das eben doch nicht bewahrheitet hat. Irgendwann hatte ich schlicht alle vorhergehenden Fassungen verworfen und dann fing dieser Text an.


Im Gegensatz zu Ihrem vorherigen Buch »Aus der Zuckerfabrik« gibt es diesmal eine lineare Handlung. Was waren die Gründe dafür, von einer Art Montage zu einer geschlossenen Erzählform zu gehen?

Nach der Arbeit an der »Zuckerfabrik« hat es sich zunächst logisch angefühlt, in gleicher Form weiterzumachen, mit einer Art Gefäß, in das ich alles Mögliche reinpacken konnte. Mir war aber bald klar, dass ich mich formal nicht wiederholen konnte oder wollte. Für mich hat die Entscheidung für eine bestimmte Erzählweise etwas mit dem konkreten Stoff zu tun, zugleich ist es vermutlich auch eine Reaktion auf eine Gegenwart und wie sie erlebt wird. In Zeiten der Verunsicherung ist, glaube ich, das Bedürfnis nach einer kohärenten Erzählung größer. In meinem Roman ist das selbst ein großes Thema – dieses Erzählen gegen die Angst – und ich denke, dass mein Text das auch tut, trotz des Wissens, das damit die Dinge nicht gelöst werden. Gleichzeitig hatte ich auch einfach Lust darauf, mal zu erzählen, wobei dieses Erzählen durch die verschachtelte Struktur und die indirekte Rede natürlich nicht naiv ist, sondern ein sehr gebrochenes und künstliches Erzählen.


An einer Stelle in Ihrem Buch heißt es, dass sich der Horror nicht benennen, sondern nur umkreisen lässt. Was ist damit gemeint?

Der Horror an dieser Stelle ist auch ein Zitat: Es sind die letzten Worte des Elfenbeinhändlers Kurtz in Joseph Conrads »Herz der Finsternis«, die dann auch in Coppolas »Apocalypse Now« vorkommen. Bei mir ist der Horror nicht zuletzt ein existenzieller, kosmischer: das »Nichts«, das eben auch auf den Fotos der Holländerinnen zu sehen ist. Die Zufälligkeit unserer Existenz, die Abwesenheit eines letzten Grunds. Und diese Abwesenheit lässt sich eben gerade mit Sprache nicht beschreiben.


Eine zentrale Figur in Ihrem Buch ist der Theatermacher, die treibende Kraft hinter dem Projekt. Was ist das für eine Figur?

Ich glaube, für mich war der Theatermacher eine gute Figur, weil sich an ihm sehr pointiert gewisse Fragen darstellen lassen, die natürlich auch auf mein eigenes Schaffen zutreffen. Also die Frage nach dem Verhältnis von Kunst, die irgendeinen Anspruch hat, und dem Leben der Person, die diese Kunst schafft und selbst ja wiederum verstrickt ist in die Welt. Der Regisseur Werner Herzog – ein Vorbild für den Theatermacher – ist ein gutes Beispiel: »Fitzcarraldo« ist ein großartiger Film – aber es gibt eben auch das Wissen darüber, dass diesen Film zu machen einen Preis hatte, der nicht klein war. Wenn all unsere Verhältnisse von Gewalt und Herrschaft geprägt sind, dann kann man die Kunst eben nicht davon ausnehmen.


Ihr Buch ist voller Verweise. Welche Quellen waren besonders wichtig für Sie und welche Rolle haben die Klassiker des »Dschungel-Horrors« von Joseph Conrad oder Francis Ford Coppola gespielt?

Ich habe Joseph Conrad natürlich gelesen, vor Jahren, und man besteht ja sowieso aus allen Texten, die man gelesen hat. Coppola und Conrad sind im Laufe meiner Arbeit an dem Text irgendwann aufgetaucht. Sie waren aber keine expliziten Vorbilder, ich habe mich eher pflichtbewusst mit diesen Referenzen befasst. Im Grunde ist so ein Treck durch den Wald und das Verschwinden darin ja ein eigenes Genre. Das ist eine total unoriginelle Idee, das gibt es tausendfach. Für mich war, ähnlich wie für Coppola, das Ende ein großes Problem und ich habe mich gefragt, ob vielleicht in der Struktur einer solchen Erzählung gewisse Fragen und Lösungen schon angelegt sind. Also, dass es zum Beispiel eben nicht wirklich enden kann. Ansonsten war Ingeborg Bachmann sehr wichtig für mich. Die Frage nach der Verbindung verschiedener Formen von Gewalt, die ihrem Todesartenprojekt zugrunde liegt, hat mich auch während der Arbeit an »Die Holländerinnen« beschäftigt. Auch die »Dialektik der Aufklärung«, die zwei-, dreimal zitiert wird, ist ein Text, zu dem ich noch mal zurückgekehrt bin.


Warum folgen die Leute eigentlich dem Theatermacher in den Dschungel?

Einerseits gibt es natürlich Lohnverhältnisse – die Leute werden bezahlt, das sind ihre Jobs und da gibt es also eine Unfreiheit. Gleichzeitig gibt es in Gruppen bestimmte Dynamiken: Wer traut sich, was zu sagen, wer widerspricht wann, was ist möglich, was ist wem möglich? Der Theatermacher ist ja eine charismatische Figur und auch nicht blöd, es gibt ein positives Versprechen, etwas gemeinsam zu schaffen oder zu finden. Und dann gibt es eine gewisse Faszination für die Gefahr. Ich habe mich auch schon in solchen Situationen wiedergefunden, in denen man ständig überlegt: Verlasse ich jetzt den Raum oder sage ich was oder nicht? Das sind manchmal ja ganz herausfordernde Situationen.


Zugleich ist es ja etwas zutiefst Menschliches, sich ohne Notwenigkeit für eine in gewisser Weise völlig nutzlose Sache wie so ein Theaterprojekt herzugeben und dabei vielleicht sogar sein Leben zu riskieren …

Als Autorin habe ich auch oft das Gefühl, dass es eigentlich überhaupt keinen Sinn ergibt, dass ich selbst immer wieder an den Schreibtisch zurückkehre, weil das Schreiben oft auch eine furchtbar einsame, schwierige Erfahrung ist. Und trotzdem gibt es doch so einen Antrieb weiterzumachen, obwohl man beim Schreiben nie weiß, wo man am Ende rauskommt. Dieses Mal bin ich auch immer wieder selbst erschrocken darüber, wie düster der Text war. Gleichzeitig sind aber das Schreiben selbst und der Umgang mit der Sprache eigentlich etwas total Bejahendes. Das ist auch immer eine Arbeit gegen die Angst, eigentlich das Gegenteil von Resignation.


Dieser Text stammt aus dem logbuch. Unserer Beilage zur Frankfurter Buchmesse. Darin finden Sie noch weitere Rezensionen, Interviews und Artikel zum Gastland Philippinen. Das logbuch gibt es hier als kostenloses ePaper.

> Dorothee Elmiger: Die Holländerinnen. München: Hanser 2025. 160 S., 23 €


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