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Kultur

»Darauf kann die Stadt stolz sein«

Organisatorin Milena Mushak über das Festival Politik im Freien Theater und das Engagement der lokalen Szene

  »Darauf kann die Stadt stolz sein« | Organisatorin Milena Mushak über das Festival Politik im Freien Theater und das Engagement der lokalen Szene  Foto: Oranisatorin Milena Mushak/Bundeszentrale für politische Bildung

Größer als jemals zuvor: Die zwölfte Ausgabe des Festivals Politik im Freien Theater hat mehr Veranstaltungen im Programm und wächst sogar über die Stadtgrenzen hinaus. Das ist nur möglich, weil Leipzig und die lokalen Akteurinnen und Akteure sich so reingehängt haben – sagt Milena Mushak, die als Referentin für die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) die Festivalwoche mitorganisiert hat.

Warum veranstaltet die Bundeszentrale für politische Bildung das Festival?

Es findet seit Ende der achtziger Jahre statt. Damals wurden die Stadttheater als wenig politisch wahrgenommen, also forderte die Freie Szene die konventionelle Theaterlandschaft heraus: Sie arbeiteten kollaborativ und unhierarchisch, das waren andere Arbeitsformen. Auch auf künstlerischer und inhaltlicher Ebene wurde innovativ gedacht. Es ging nicht um den etablierten Kanon, sondern um gesellschaftspolitische Themen der Zeit. So wurde die Freie Szene zum interessanten Partner für die Bundeszentrale.


Weil es eine neue Möglichkeit darstellte, Menschen zu erreichen?

Ja, damals hat sich die politische Bildung neu entworfen und man sah gemeinsame Schnittmengen. Das als einmaliges Event geplante Festival wurde schließlich fest im Portfolio der BpB verankert. Auch wenn heute Stadttheater und Freie Szene oft eng zusammenarbeiten, ist das Festival für unser Haus nach wie vor relevant. Über kulturelle Ereignisse, so die Erfahrung, kann man Themen und Kontroversen anders aufgreifen als mit klassischen Formaten wie beispielsweise Kongressen. Die Verhandlung gesellschaftlicher Fragen mit ästhetischen Mitteln ist für viele Menschen zugänglicher, gerade auch für junge Zielgruppen.


Kunst also gegen Politikverdrossenheit?

Natürlich fassen wir den Begriff des Politischen sehr weit. Wir zielen nicht nur auf die Themen, sondern auch auf die Theaterformen. Zugänge über partizipative, interaktive und inklusive Formen zu schaffen ist Teil einer politischen Produktionsweise. Das würde ein klassisches Publikum vordergründig oft gar nicht als eine politische Praxis bezeichnen, weil es meist eher auf die Themen schaut.


Die Gastspiele thematisieren Krieg, Terrorismus, andere Körper, Selbstoptimierung und Sprachbarrieren. Aber es beginnt schon bei der Form?

Partizipative Formate sind politisch, wenn sie Menschen zusammenbringen, die sonst selten in Kontakt treten – etwa verschiedene Generationen oder soziale Gruppen. So entsteht ein differenziertes Verständnis von Politik. In polarisierten Zeiten ist es wichtig, Räume für Dialog und Austausch zu schaffen. Wir fördern Begegnungen, in denen unterschiedliche Perspektiven gehört und Aushandlungsprozesse möglich werden.


Das Veranstaltungsprogramm ist kein Nebenbei zum Theater?

Nein, beides ist absolut gleichrangig. Die Gastspiele sind die zentrale Kunstform. Aber Politik im Freien Theater versteht sich als Festival für die gesamte Stadt, nicht nur für die Theatercommunity. Darum ist das Angebot so breit.


Warum findet es in Leipzig statt?

Leipzig wurde in einem Bewerbungsverfahren ausgewählt. Nach zwei Festivals in Dresden – zuletzt 2011– freuen wir uns, wieder im Osten zu sein. In Leipzig hat die BpB schon des Öfteren Veranstaltungen durchgeführt. Die Stadt liegt uns am Herzen. Mit dem großen Festival lernen wir sie nun noch intensiver kennen. Wir kooperieren mit über achtzig Partnern in Stadt und Region.


Was hat Sie überrascht?

Mit einigen der kooperierenden Theaterhäuser und der großen Akteure waren wir schon im Vorfeld verdrahtet. Aber auch Vereine wie das Haus der Demokratie, der Verein ZEOK, das Pöge- oder das Erich-Zeigner-Haus sind Juwele für die lokale politische Bildung. Es gilt anzuerkennen, wie viel vor Ort bereits geschieht und wie vielfältig die Wege sind, unterschiedliche Communitys zu erreichen. Die einen kommen über Musik, andere über Diskussionen, wieder andere lassen sich über Stadtgeschichte für gesellschaftliche Fragen begeistern.


Wie haben Sie das Programm zusammengestellt?

Vieles lief über Ausschreibungen und Netzwerke. Beim Gastspielprogramm haben wir einen Open-Call veröffentlicht, auf den hin 455 Bewerbungen kamen. Die Jury hat also ein enormes Sichtungsvolumen bewältigt. Beim Veranstaltungsprogramm haben wir gemeinsam mit den Theaterhäusern unterschiedliche Akteure angesprochen, auch solche, mit denen bislang noch niemand von uns zusammengearbeitet hat, bei denen uns aber klar war, wie wichtig diese sind.


Das Motto »Grenzen« kommt von Ihnen?

Damit hat sich die Stadt Leipzig beworben. Und das ist natürlich ein Thema mit zahlreichen Unteraspekten, wo wir schauen mussten, wo jeweils welche Partner anknüpfen können. So umfangreich, wie das Programm jetzt ist, hatten wir es nicht anvisiert.


Sie haben sogar ein Regionalprogramm etwa in Wurzen, Zwenkau und Pegau.

Das ist in der Festivalgeschichte bislang einmalig und war bereits Teil der Leipziger Bewerbung, die mit Blick auf das Thema Grenzen nicht am Stadtraum haltmachen wollte. Also vergrößerten wir den Fokus. In Wurzen haben wir zum Beispiel ein Ladenlokal angemietet, in dem unter anderem Teppiche präsentiert werden, die früher in der Stadt für den internationalen Markt produziert wurden. Das ist stadthistorisch ein überaus spannendes und für die Menschen vor Ort weiterhin wichtiges Thema.


Ist es noch ein Unterschied, das Festival im Osten oder Westen zu veranstalten?

So würde ich die Trennung nicht sehen, sondern eher zwischen regionalen Prägungen. In Köln haben wir beispielsweise auf viele Mitmachformate gesetzt, weil die Leute aufgrund der Karnevalstradition darüber maximal erreichbar sind. Das würde an einem anderen Ort so nicht funktionieren. Die Leipziger Festivalausgabe wurde von der Stadt in außergewöhnlichem Maße unterstützt – ein Engagement, das auch von der lebendigen Freien Szene in Leipzig getragen wird, die trotz ihrer Heterogenität viele gemeinsame Interessen und Ziele verfolgt. Das war in anderen Städten in dieser Form nicht immer der Fall. Die beeindruckende Beteiligung, mit der sich viele Akteure und Künstler eingebracht haben, kann man nur bewundern. Wir arbeiten hier mit fünf Theaterpartnern, der größten Partnerkonstellation, die es je gegeben hat. Das ist eine unglaublich verlässliche Zusammenarbeit. Darauf kann die Stadt stolz sein, denn das ist alles andere als selbstverständlich. Dass man die lokale Szene und ihre Mitstreiter nunmehr zehn Tage feiert, hat sie verdient.


> Festival Politik im Freien Theater: 16.–25.10., diverse Orte, www.bpb.de


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