anzeige
anzeige
Kultur

»Wir vermissen das Lustige in der Neuen Musik«

Das Duo Stock-Wettin baut mit Akkordeon und Klarinette Barrikaden zur Neuen Musik ab – und mit einer Clownin

  »Wir vermissen das Lustige in der Neuen Musik« | Das Duo Stock-Wettin baut mit Akkordeon und Klarinette Barrikaden zur Neuen Musik ab – und mit einer Clownin  Foto: Stock-Wettin


»Die neue Musik sei im Kopf, nicht im Herzen oder im Ohr entsprungen«, schreibt Theodor W. Adorno in seiner »Philosophie der neuen Musik« (Tübingen 1949) und haderte bereits damals mit jenem Klischee, das zeitgenössischen Kompositionen noch heute anhaftet – was auch Susanne Stock und Georg Wettin beschäftigt. Als Duo mit Akkordeon und Klarinette fanden die Wahlleipzigerin und der Dresdner 2014 zueinander und widmen sich seit jeher Neuer Musik. Das besondere an ihrer Zusammenarbeit ist die Herzlichkeit, mit der sie sich gemeinsam mit dem Publikum den bisweilen als prätentiös verrufenen Stücken nähern. So auch mit ihrer Konzertreihe »Drei auf eins«, bei der sich das Duo für jeden Auftritt je einen Künstler oder eine Künstlerin einlädt, um sich gemeinsam mit ihnen, mit ihren Perspektiven und Hintergründen, mit unterschiedlichen Themen und Herangehensweisen, Neuer Musik zu nähern. Starten werden sie die diesjährige Reihe mit der Clownin Yaëlle Dorison, die ihre Kunst als Ort der Utopie versteht.

Mit Ihrer Konzertreihe laden Sie ihr Publikum, Künstlerinnen und Künstler dazu ein, sich aufeinander einzulassen. Wie glauben Sie, gelingt Ihnen das?

Stock-Wettin: Wir haben mit der Reihe einen Rahmen geschaffen, der in kleiner intimer Atmosphäre dem Publikum ein Ambiente bietet, in dem man sich begegnen kann und sich, so hoffen wir, alle wohlfühlen. Das fängt schon damit an, dass wir alles selbst machen – von der Gestaltung der Programmhefte – die immer etwas mit dem Thema zu tun haben – über die Dekoration und Gestaltung der Räume bis hin zu Einlass und Bar. Auch die Gäste prägen das Konzertprogramm entscheidend mit. Die Clownerie ist per se das perfekte Mittel für Kommunikation und wird – so unser Plan – noch einmal auf einer anderen Ebene zeigen, dass Neue Musik nicht immer nur streng sein muss.


Was hat Sie dazu inspiriert, mit einer Clownin zusammenzuarbeiten?

Stock-Wettin: Wir vermissen immer mal das Lustige in der Neuen Musik, viele Stücke sind sehr intellektuell oder vom Thema her ernst. Dem eine Clownin mit ihrer Energie entgegenzusetzen, war ein schöner Impuls und auch wir haben »weniger ernste« Musik gefunden, die wir im Konzert spielen. Außerdem gibt es eine große Gemeinsamkeit zwischen der Clownerie und der Neuen Musik – beide sind mit vielen Klischees und Vorurteilen behaftet, die gar nicht alle stimmen.


Haben Sie den Eindruck, dadurch wird es fürs Publikum einfacher, die Musik zu fassen?

Stock-Wettin: Ganz allgemein haben wir immer die Erfahrung gemacht, dass der Zugang zur Neuen Musik erleichtert wird, wenn man den Kontext ändert oder andere Kunstformen hinzuzieht. Die Wahrnehmung von Kunst passiert dann auf vielen verschiedenen Ebenen und lässt Zuhörerinnen und Zuhörer nicht nur mit den Ohren allein.

Dorison: Ich glaube, dass die Clownerie ein Türöffner sein kann. Es kann ein Publikum anlocken, dass nie mit Neuer Musik konfrontiert war. Zudem ist bei der Clownsarbeit das Bewundern ganz grundsätzlich: Clowns sind neugierig, haben einen anderen Blick auf die Umgebung und das macht das Publikum neugierig.

Haben Sie das Gefühl, dass es für das Konzert im November einer Übersetzung zwischen den Kunstformen Musik und Clownerie bedarf?

Stock-Wettin: Es geht weniger um Übersetzung. Es gibt für alles Raum. Ein Fokus des Abends liegt auf Perspektivwechseln, sich gegenseitig zu spiegeln und mit dem Spiegelbild etwas Neues zu kreieren, auf Überraschungen und unerwarteten Wendungen.

Dorison: Das ist aber abhängig von den Menschen, die zusammenarbeiten. Ihr beide, Susanne und Georg, habt eine Art zu forschen, die sehr offen ist und damit sehr gut mit der Clownerie zusammenpasst.


Haben Sie durch die Zusammenarbeit etwas voneinander gelernt?

Stock-Wettin: Ja, das ist ein sehr wichtiger Aspekt unserer Reihe, um danach unser künstlerisches Ausdrucksrepertoire zu erweitern. In diesem Falle arbeiten wir viel mit Performance, da gibt uns Yaëlle als Clownin gute Impulse und Inspiration – schon allein durch ihre Anwesenheit und Präsenz in der Probe.

Dorison: Ich singe sehr gern, aber durch die gemeinsame Arbeit komme ich nochmal in eine andere Musikwelt. Ich finde es schön, dass wir uns als Trio ausprobieren können – Georg und Susanne haben Klarinette und Akkordeon, mein Instrument ist der Körper. Dabei lerne ich sehr viel, denn unsere Zusammenarbeit ist ein Forschungsraum, von dem auch das Publikum ein Teil wird. Ich schätze diese Offenheit sehr, denn sie bringt total viel Kreativität mit sich. Jeder Abend wird ein bisschen anders. Zudem lerne ich durch die Wertschätzung der beiden, dass meine Kunstform genauso vollwertig ist wie Neue Musik. Ich habe häufig das Gefühl, Clownerie ist eine Kunstform, die noch nicht anerkannt ist. Man denkt zuerst an Animation, ein »hahahahaha«, aber es hat viel mehr Facetten als die tollpatschige Kinderfigur.


Frau Dorison, Sie beschreiben die Clownerie als Ort der Utopie und Ihre Arbeit als »lebendige Dichtungen, als kleine Revolutionen«. Können Sie etwas näher darauf eingehen?

Dorison: Ich arbeite als Clownin im Pflegeheim und wenn wir dort sind mit unserer Energie, ändert sich alles. Beispielsweise sehen wir den Menschen und nicht den Patienten dort. Während der Coronazeit habe ich in meinem Stadteil »Utopie-Sprechstunden« angeboten. Die Clownsfigur nimmt alles auf und wahr, ohne zu urteilen. Diese Begegnung kann zu Veränderungen führen. Durch den anderen Blick, aber auch durch kleine Zaubereien, gemeinsam leise oder ganz laut zu Atmen oder ein Gedicht. Die Sprechstunden sind ein Ort für alle Gefühle. Aus dieser Sprechstunde, die einmal in der Woche in der Johannstadt in Dresden stattfanden, haben sich viele weitere Formate entwickelt, wie etwa die Hoffnungspoesie, die Glückstauschbörse. Ein schöner Satz, der mir neulich begegnet ist, lautet: »Wenn man lacht, kann man nicht gleichzeitig Angst haben.« Ich finde das gut, weil Angst zwar ein Gefühl ist, das uns hilft, aber auch Starre mit sich bringt. In Zeiten von Krisen ist es gut, die Hoffnung nicht zu verlieren. Wenn man lacht, hat man noch Kapazitäten für Veränderungen.


>»Stille Illusion – zwischen A und B liegt lila« – Auftakt der Reihe »Drei auf eins«: 13.11., 19 Uhr, Kulturnhalle, www.duostockwettin.de


Kommentieren


0 Kommentar(e)