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Kultur

»Plattenfirmen sind keine Sozialvereine«

Schlager-Ikone Marianne Rosenberg im Interview vor ihrem Konzert im Felsenkeller

  »Plattenfirmen sind keine Sozialvereine« | Schlager-Ikone Marianne Rosenberg im Interview vor ihrem Konzert im Felsenkeller  Foto: GABO

Seit über 55 Jahren steht die Berliner Sängerin Marianne Rosenberg auf der Bühne. Anfang des Jahres feierte sie ihren 70. Geburtstag. Ein Gespräch über Introvertiertheit, ihre Zeit bei den Autonomen und ihren Status als queere Ikone.

Frau Rosenberg, Ihr Kollege Udo Jürgens hat mal gesungen: »Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.« Sie stehen seit 55 Jahren auf der Bühne, aber die Zeile passt trotzdem ganz gut, oder?

In der Tat hatte ich 2020, also mit 65 Jahren, mein erstes Nummer-eins-Album: »Im Namen der Liebe«. Die unglaublich vielen tollen Reaktionen der Menschen auf meine Musik geben mir das Feedback, nach dem sich sicher jeder Künstler sehnt.


Sie haben schon sehr jung vor Publikum gesungen.
Wie kam das?

Ich habe in der Familie auf Geburtstagen und Hochzeiten gesungen. Dann wurde ich bei einem Nachwuchswettbewerb im damaligen Romanischen Café entdeckt. Das war mein erster öffentlicher Auftritt.


Sie haben mal gesagt, Sie seien ein introvertiertes Kind gewesen. Was bedeutete das für Sie, so früh im Mittelpunkt zu stehen?

Nach dem Mittelpunkt muss ich mich ja offensichtlich gesehnt haben. Als drittes von sieben Kindern ein nachvollziehbarer Wunsch. Sängerin werden zu wollen, ständig zu üben und sich mit Tischen und Stühlen Bühnen zu bauen, bedeutet: Da möchte jemand gehört werden. Als ich dann auch gesehen wurde, war ich in der Pubertät und auf dem Weg zur Frau. Da möchte man dann wieder nicht so gern im Mittelpunkt sein, bis man endlich eine Frau ist. That’s life.


Wie haben Sie die Zeit, als Sie mit 15 Ihren kommerziellen Durchbruch hatten, in Erinnerung?

Als sehr aufregend, aber auch sehr anstrengend. Wenn man als Teenager auf dem Schulhof um ein Autogramm gebeten wird, bedeutet das auch, dass man nicht mehr so wahrgenommen wird, wie man ist. Ein Mensch in der Öffentlichkeit bietet Projektionsfläche. Alle glauben, sie kennen dich, niemand möchte dich mehr kennenlernen. Es wird mehr über dich geredet als mit dir. Außerdem begann der Prozess durch die Plattenfirma, aus einem Teenager einen Star zu formen, so wie die sich das vorstellten. Dabei wurde alles dem Erfolg untergeordnet, auch und gerade meine Person.


Wie haben Sie die Schlager-Szene in jenen Jahren
wahrgenommen?

Unterschiedlich. Nicht alle wollten die Musik machen, für die sie bekannt waren. Denken Sie an Roy Black oder Rex Gildo. Auch denen hat man ein Image auferlegt, das nicht mit ihrem Ich in Deckung zu bringen war. Hauptsache Erfolg – auch und gerade für die Industrie. Aber Plattenfirmen sind keine Sozialvereine, sie müssen gewinnbringend arbeiten, sonst rollen die Köpfe.


Was würden Sie Ihrem jungen Teenager-Ich mit Ihrer heutigen Lebenserfahrung mit auf den Weg
geben?

Dass das Älterwerden durchaus auch positive Seiten hat. Man verliert sicher etwas Spontanität, aber man gewinnt an Erfahrungen und Bewusstsein, auch an Selbstbewusstsein. Und ich würde dem Teenager-Ich sagen, dass es sich unbedingt lohnt, seinen eigenen Weg zu suchen.


In den achtziger Jahren haben Sie für einige Jahre
mit dem Musikbusiness gebrochen. Warum?

Ich habe Ende der Siebziger nach neuen Arbeitsformen gesucht, ich war ja herausgewachsen aus der von der Industrie festgelegten Schablone. Herausgewachsen aus Klischee und Rolle. Ich wollte auch gänzlich raus aus dieser Form des fremdbestimmten Business. Gerade auch im Umgang mit der eigenen Kunst. Helfen musste ich mir selbst. Das brauchte Mut, eigene Entscheidungen durchzusetzen. Mut zum Scheitern. Mut zum Misserfolg. Mut, die zu sein, die ich glaubte, zu sein. Man hatte ein Produkt aus mir gemacht und darunter litt die Seele. Aber der Mensch ist wichtiger als der Erfolg. Und so begann ein neuer Weg, hin zum selbstbestimmten Arbeiten. Kollegen und Freunde wie Rio Reiser oder Marianne Enzensberger waren hier eine große Unterstützung.


Rio Reiser wollte in jener Zeit als Underground-
Künstler Popstar werden. Sie wollten gewissermaßen den umgekehrten Weg gehen. Was an seinem damals alles andere als glamourösen Leben hat Sie fasziniert?

Er war der erste Mensch, der mich fasziniert hat. Rio war einer der größten Poeten in der deutschen Musiklandschaft. Und er hat seine Ideale konsequent gelebt. Auch in der Musik. Er zeigte mir, wie man selber textet und selbstbestimmter arbeitet. Wir sind uns in der Mitte des Sees begegnet, wobei jeder an ein anderes Ufer wollte.


Sie haben damals mit den Autonomen demonstriert –
wofür oder wogegen sind Sie auf die Straße gegangen?

Die Autonomen, unter denen sehr viele Freunde und Bekannte von mir waren, hatten keine starre Ideologie, eher einen libertären Ansatz. Wir haben gegen Atomkraft und die Politik der USA demonstriert, gegen alle autoritären Strukturen. Das finde ich richtig und wichtig, auch heute noch.


Die Schlager-Szene, in der Sie sich bis heute bewegen,
gilt als stark entpolitisiert. Würden Sie sich gegenwärtig im Angesicht eines wiedererstarkenden Faschismus mehr Courage und Haltung auch in der Unterhaltungsbranche wünschen?

Haltung zu zeigen, ist gerade jetzt wieder sehr wichtig geworden. Vielleicht wichtiger als in all den Jahrzehnten zuvor, in denen wir glaubten, Demokratie und Freiheit seien etwas Selbstverständliches. Die demokratischen Stimmen in unserem Land sind zurückhaltend, fast still geworden. Ich wünsche mir nicht, dass ein bestimmtes Musikgenre aufwacht, ich wünsche mir, dass wir alle den Ernst der Lage begreifen, damit unser Land das bleibt, was es ist, eine Demokratie.


Über die Jahre sind Sie zu einer Ikone der queeren Bewegung geworden. Wie erklären Sie sich das?

Erklären kann man das nicht. Aber ich empfinde es als eine große Auszeichnung. Sicherlich hat mein Song »Er gehört zu mir«, der in diesem Jahr 50-jähriges Jubiläum feiert, dazu beigetragen. Wer konnte denn in den Siebzigern authentisch mit seiner Sexualität umgehen? Queer zu sein, bedeutete oft das gesellschaftliche und berufliche Aus. Conchita Wurst, selbst erst 1988 geboren, hat mir mal gesagt: »Wenn man es laut mitsang, wurde die Identität ein Stück wirklicher.« Mit ihrer Aussage und ihrer berührenden Interpretation hat sie mir den Song 50 Jahre später noch einmal sehr nahegebracht.


Nervt es Sie manchmal, dass Sie vor allem für Ihre Lieder aus den siebziger Jahren wahrgenommen
werden?

In meiner Umbruchzeit Ende der Achtziger hat es mich sehr genervt. Heute nicht mehr. Meine Siebziger-Jahre-Songs waren dem damaligen deutschen Zeitgeist des Musikbusiness weit voraus und sehr international produziert, was sicherlich auch der Grund dafür ist, dass sie bis heute populär sind.


Sie haben mal gesagt, Sie nähmen das Publikum im Osten Deutschlands als aufmerksamer als das im Westen wahr. Inwiefern?

Ob das heute noch so stimmt, weiß ich nicht. Aber bei meinen ersten Konzerten nach der Wende war ich beeindruckt, wie aufmerksam jeder Satz und jeder Ton wahrgenommen wurde. Die Menschen haben damals Musik noch nicht konsumiert, sondern suchten nach Botschaften in den Kunstformen. Aus ihrer Geschichte heraus durfte man ja nicht alles öffentlich sagen. Widerstand und Meinungsfreiheit fanden somit auch in künstlerischer Form statt. Entertainment ist ein Wort aus dem Westen.

> 17.11., 20 Uhr, Felsenkeller


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