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Stadtleben

»Verbindlichkeit muss wachsen«

Ralf Elsässer über die Arbeit der Freiwilligenagentur in Leipzig, die vor 25 Jahren gegründet wurde

  »Verbindlichkeit muss wachsen« | Ralf Elsässer über die Arbeit der Freiwilligenagentur in Leipzig, die vor 25 Jahren gegründet wurde  Foto: Christiane Gundlach

Vor 25 Jahren wurde die Freiwilligenagentur in Leipzig gegründet, die seitdem Menschen und Organisationen zu ehrenamtlichem Engagement berät. Ralf Elsässer war damals dabei und ist nach wie vor Vorstandsmitglied des Vereins. Wir sprachen mit ihm über seine Motivation und darüber, wie sich ehrenamtliche Arbeit seitdem verändert hat.

Woher kam vor 25 Jahren die Idee für die Freiwilligenagentur?

Im Rahmen der Leipziger Agenda 21, die es als offenen Netzwerkprozess seit 1997 gibt und die inzwischen Forum Nachhaltiges Leipzig heißt, ging es auch darum, wie man ehrenamtliches Engagement stärken kann. In Halle gab es damals schon eine Freiwilligenagentur und ich dachte: »Mensch, toll! So was brauchen wir in Leipzig auch.«


Warum braucht Leipzig so was?

Wir wollten ehrenamtliches Engagement auf mehreren Ebenen fördern. Womit die Freiwilligenagentur angefangen hat und was sie immer noch tut, ist die direkte Beratung von Menschen, um das für sie passende Ehrenamt zu finden. Außerdem wollten wir für ehrenamtliches Engagement werben. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die Anerkennung der Ehrenamtlichen. Später haben wir gemerkt, dass es genauso wichtig ist, die Organisationen, die das Ehrenamt anbieten, zu unterstützen, etwa bei der Vereinsgründung oder rechtlichen Themen. All diese Aspekte bündeln wir in der Freiwilligenagentur.


Apropos Anerkennung: Wie kann Arbeit
wertgeschätzt werden, die nicht mit Geld
entlohnt wird?

Wir machen das vor allem über den Ehrenamtspass. Ich habe ihn Anfang der 2000er schon in Dresden gesehen und wollte die Idee nach Leipzig holen. Wir haben es dann recht schnell geschafft, Kooperationspartner zu finden, die spürbare Rabatte für Ehrenamtliche anbieten. Den Ehrenamtspass gibt es bis heute, und inzwischen bekommen ihn jährlich über 5.000 Menschen – wobei es nicht so ist, dass die Leute etwas ehrenamtlich tun, weil sie dafür materielle Vorteile bekommen. Wir versuchen auch, mehr Sichtbarkeit für ehrenamtliches Engagement zu schaffen. Auch zu diesem Thema beraten wir Vereine: wie sie Menschen, die Lust haben, sich zu engagieren, längerfristig halten können.


Wie hat sich die Arbeit der Freiwilligen
agentur in den letzten 25 Jahren verändert?

Zum einen war die Arbeit der Agentur am Anfang selbst komplett ehrenamtlich. Nach seiner Wiederwahl als Leipzigs OBM 2005 hat Wolfgang Tiefensee eine Grundsatzerklärung veröffentlicht, dass er ehrenamtliches Engagement in der Stadt fördern will. Das haben wir zum Anlass genommen, ein Gespräch mit ihm und dem damaligen Sozialbürgermeister Burkhard Jung zu suchen. Dabei wurde uns die institutionelle Förderung (2005 konnte eine Teilzeitstelle finanziert werden, inzwischen sind es vier, Anm. d. Red.) zugesagt. Für den Verein war das wie ein Ritterschlag: Wir konnten ab da mit einer Basisfinanzierung rechnen, die unserer Arbeit Kontinuität verleiht.


Hat sich das ehrenamtliche Engagement über die Jahre verändert?

Die Themen, für die man sich in der Stadt engagiert, sind recht ähnlich geblieben. Allerdings sind neue Aktionsformen dazugekommen, etwa die Reparaturcafés oder Verschenkeläden. Bei Älteren hat sich das Engagement nicht wesentlich verändert. Ich sehe aber bei Jüngeren den Trend, sich eher projektbezogen zu engagieren. Das ist eine Herausforderung, da klassische Vereinsstrukturen eher auf Kontinuität ausgerichtet sind.


Haben Sie eine Erklärung, warum das so ist?

Die Möglichkeiten sind einfach vielfältiger geworden. Es gibt so viele Anregungen in der Welt, mit denen man sich beschäftigen kann. Das Bedürfnis wird größer, sich nicht so lange zu binden und viel Verschiedenes zu erleben.


Was raten Sie Vereinen, um junge Menschen anzusprechen und Verbindlichkeit herzustellen?

Verbindlichkeit entsteht nicht von jetzt auf gleich, sondern muss wachsen. Wichtig ist, dass Menschen sich selbst verwirklichen und etwas Eigenes in den bestehenden Strukturen gestalten können. Deshalb sollten neue Ehrenamtliche nicht nur einen bestehenden Platz ausfüllen, sondern eben auch Raum für Neues bekommen.


Welche Motivation haben Menschen überhaupt, sich ehrenamtlich zu
engagieren?

Selbstwirksamkeit auf jeden Fall. Viele motiviert auch, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sie im alltäglichen Leben nicht treffen würden. Und ein weiterer Grund ist natürlich, helfen zu können. Das Wissen darum, dass mein Handeln jemandem guttut, tut mir auch gut. – Was ich wichtig finde, was aber oft im Hintergrund passiert, ist, dass ein Ehrenamt auch eine wichtige Weiterbildungsquelle ist. Man lernt vieles, das man im beruflichen Kontext so nicht gelernt hätte. Ich bin selbst ein gutes Beispiel: Ich arbeite seit 35 Jahren freiberuflich, in einem ganz anderen Bereich als dem, den ich studiert habe. Über mein Ehrenamt habe ich praktisch gelernt, wie Konzeptentwicklung und Moderation funktionieren oder wie ich Geld für Projekte akquiriere. In Bewerbungsverfahren achte ich selbst auch darauf, denn ehrenamtliches Engagement zeigt, dass jemand von seiner Grundhaltung her motiviert und engagiert ist.


Ist ehrenamtliches Engagement nicht auch ein gewisser Luxus, den man sich leisten können muss?

Es gibt sicherlich Menschen, die so viel arbeiten müssen, dass sie daneben keine Zeit für Ehrenamt mehr haben. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass sich gerade die engagieren, die sowieso schon an anderer Stelle oder im Berufsleben stark eingebunden sind. Wir haben eine Zeit lang intensiv versucht, Menschen anzusprechen, die in den Ruhestand gehen. Aber wir haben gemerkt, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass Menschen, die davor schon ehrenamtlich gearbeitet haben, ihr Engagement ausbauen, als dass die, die davor nichts gemacht haben, damit anfangen. Es hat also viel mit der eigenen Haltung und mit Gewohnheit zu tun und weniger damit, ob man viel oder wenig Geld oder Zeit hat.

INTERVIEW: MAIKA SCHMITT


> www.freiwilligen-agentur-leipzig.de


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