Timm Rauterts erste Kamera kam aus Leipzig. Verwandte seiner Mutter, die Leipzigerin war, hatten sie ihm geschenkt. War er hier zu Besuch, streifte der junge Rautert mit einem Freund an der Elster entlang und fotografierte. Zum Beispiel eine Birke, die aus dem Asphalt wuchs – „ein grässliches Kitschding“, sagt Rautert fast fünfzig Jahre später. Seit 1993 ist er ist wieder in Leipzig – nun allerdings als Professor für künstlerische Fotografie an der HGB.
Timm Rauterts erste Kamera kam aus Leipzig. Verwandte seiner Mutter, die Leipzigerin war, hatten sie ihm geschenkt. War er hier zu Besuch, streifte der junge Rautert mit einem Freund an der Elster entlang und fotografierte. Zum Beispiel eine Birke, die aus dem Asphalt wuchs – „ein grässliches Kitschding“, sagt Rautert fast fünfzig Jahre später. Seit 1993 ist er ist wieder in Leipzig – nun allerdings als Professor für künstlerische Fotografie an der HGB. Im Herbst 2006 sollte Rautert, gerade 65 Jahre alt geworden, nach 13 Jahren an der Hochschule in den Ruhestand gehen. Doch ein geeigneter Nachfolger war nicht in Sicht. Auch zu Beginn des laufenden Sommersemesters suchte die Hochschule noch, der Professor blieb – und vertrat sich selbst.
Nun endlich steht der Nachfolger fest. Der Düsseldorfer Christopher Muller wird zum Wintersemester das große Erbe antreten. „Nach Rautert zu kommen ist extrem schwierig“, glaubt sein ehemaliger Mitarbeiter Florian Ebner. „Alles hat seine Zeit“, sagt der scheidende Stelleninhaber; er gehe davon aus, dass der Nachfolger eine eigene Linie finden werde. „Hm“, sagen die Studenten. Begeistert sind sie nicht davon, dass ihr Professor geht. Von einem extrem starkem Klassenverband erzählen seine Schüler und von Gesprächen in einer Intensität, die an der Hochschule nicht selbstverständlich sei. „Rautert hat wahnsinnig viel von sich investiert, es ist sein Verdienst, dass die Klasse so einen Drive hat“, sagt Ebner, der von 2000 bis 2006 Assistent des Professors war. Zusammen mit dessen regulärer Stelle lief auch sein Vertrag aus.
„Viel hilft viel“, steht auf dem bröckeligen Lebkuchenherz, das Studenten ihrem Professor einmal geschenkt haben und das nun hinter seinem Schreibtisch hängt. „Vielfalt hilft viel“, müsste es eigentlich heißen, denn kaum ein deutscher Fotokünstler bedient ein breiteres Spektrum als Rautert. Auf einer Retrospektive im Bildermuseum konnte man sich letzten Winter davon überzeugen. „Die Fotografie ist viel zu schade, um sie nur für Kunst zu benutzen“, sagt Rautert, der seine Karriere mit journalistischen Arbeiten begonnen hat. Mit den Bildern von Contergan-Geschädigten erreichte er eine Auflage in Millionenhöhe – statt der in der künstlerischen Fotografie üblichen 25 Abzüge und weniger. Heute spiegelt seine Karriere die Fotografiegeschichte der letzten Jahrzehnte.
Die Vielgesichtigkeit des Professors zeigt sich auch in den Arbeiten seiner zahlreichen erfolgreichen Schüler. Weitaus häufiger als der Durchschnitt der Kunststudenten werden sie von Galerien vertreten und sind in Ausstellungen zu finden. Die Arbeiten seiner ehemaligen Studentin Ricarda Roggan etwa sind zu begehrten und teuren Sammlerstücken geworden.Auch Laura Bielau ist Rautert-Schülerin. Wie ihr Professor hat sie sich die Probevorlesungen der möglichen Nachfolger angesehen. „Die Auswahl war nicht überragend“, meint die 25-Jährige, bei einigen Anwärtern habe man den Eindruck gewonnen, sie hätten sich mit dem Profil der Stelle gar nicht richtig auseinandergesetzt.
Rautert selbst spricht von „großen Unterschieden in der Qualität“. Ebner räumt ein, er habe sich von einigen mehr versprochen. Ob nicht offensiv genug gesucht wurde oder die Befristung der Stelle auf sechs Jahre manch einen abgeschreckt hat – die Meinungen über die Ursachen gehen auseinander. Mit dem Abschied von Rautert hätten sich die Studenten zwar inzwischen abgefunden, sagt Bielau, doch auf die Nachfolge hätten sich „nicht unbedingt die wirklich guten Typen“ beworben. An der Entscheidung für Muller war Rautert nicht beteiligt – „zum Glück“, sagt er. Ohnehin sieht man es im Wissenschaftsministerium in Dresden nicht gern, wenn Professoren direkt an der Auswahl ihrer Nachfolger beteiligt sind. Die Berufungskommission habe aber gut gewählt: „Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.“ Gemeinsam mit seinen Studenten und dem Neuen will Rautert im Herbst noch zur Biennale nach Venedig fahren, bevor er sich aus der Hochschule verabschiedet.
Was ihm am meisten fehlen wird? „Die Studenten.“ Das Verhältnis zu ihnen sei von ruhiger Höflichkeit geprägt gewesen, sagt Rautert, er sei ihnen weder Freund noch Vater, sondern schlicht und einfach Lehrer. Kein Geduze, kein Schüren von unberechtigten Weltmeisterhoffnungen, dafür Realismus und die Erkenntnis: „Künstler ist ein Beruf wie jeder andere. Er mag mehr Spaß machen, aber Arbeit macht er auch.“