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Stadtleben

»Es macht einen Unterschied, ob dieses Haus existiert«

Wie die Gemeinschaft E97 um ihr Haus auf der Eisenbahnstraße kämpft

  »Es macht einen Unterschied, ob dieses Haus existiert« | Wie die Gemeinschaft E97 um ihr Haus auf der Eisenbahnstraße kämpft  Foto: Tim Pawletta

»Eigentlich müsste man daraus ein Theaterstück machen«, sagt Jens* am Ende unseres Gesprächs. Gemeinsam mit Willy* schildert er dem kreuzer die Erlebnisse der Hausgemeinschaft der Eisenbahnstraße 97 (E97). Über den Kampf der Mieterinnen berichtete der kreuzer zuletzt im Sommer, als nach der Übernahme durch Orhan Altun ohne Vorwarnung die Gasversorgung des Hauses gekappt wurde. Seit Ende Oktober funktioniert alles wieder – ein Erfolg, den die E97 vor Gericht erstreiten musste. Im Gespräch erzählen Jens und Willy, was ihnen das alles abverlangt, für welche größeren Prozesse ihr Haus ein Symbol darstellt und wie sie mit den Kündigungen umgehen, die sie nun erhielten.


Sie hatten fünf Monate lang keine Gasversorgung, mussten diese erst wieder erstreiten. Wie haben Sie das gelöst?

Jens: Nachdem das Gas aus war, haben die Stadtwerke im Keller festgestellt, dass der Haupthahn verschlossen ist. Da die davon ausgehen, dass der aus Gründen verschlossen wurde, einem Notfall etwa, haben die den verplombt. Der war dann erstmal zu. Hier ist die Infrastruktur relativ fragil: Wir kochen mit Gas, wir heizen mit Gas, wir haben Warmwasser mit Gas. Das Ganze wieder instand zu setzen, ist Aufgabe des Eigentümers und da haben wir dann angerufen, mehrfach und mehrere Leute.

Der Eigentümer ist seit August 2023 Orhan Altun und das Unternehmen NAS Immobilien verwaltet das Haus?

Jens: Ja, genau. Da tat sich nicht so viel und dann haben wir nach zwei Wochen mit unserem Anwalt einstweilige Verfügungen formuliert und mit drei WGs eingereicht. Dann gingen drei Verfahren los, die wir letztendlich alle gewinnen konnten.

Und von Orhan Altun oder NAS Immobilien haben Sie nie eine Antwort bekommen?

Jens: Erstmal nicht. Wir haben ab dem Zeitpunkt nur noch über unsere Anwälte kommuniziert. Vor Gericht hat der Eigentümer unterschiedliche Narrative eingenommen: Mal hieß es »Wir kümmern uns« und mal, dass dieses Haus hier eine Bruchbude sei, es wurde teilweise als »baufällige Ruine« bezeichnet. Der Eigentümer hat das Narrativ entwickelt, dass er das Haus retten und uns Bewohner schützen wolle, indem er das Gas nicht wieder anstellt. In dem Verfahren meiner WG ist dann sehr schnell entschieden worden: Ihr seid die verantwortlichen Eigentümer, ihr müsst die Grundversorgung stellen - macht das bitte. Dann ist ein langer Schriftsatz beim Amtsgericht eingegangen, wo eben dieses Narrativ entwickelt wurde, und in unserem Fall hat der Amtsrichter seinen Beschluss ohne eine Anhörung wieder rückgängig gemacht. Das ist tatsächlich rechtswidrig. Das Verfahren ging vor das Landgericht und hat sich über drei Monate hingezogen - und wir hatten immer noch kein Gas! Am Ende durften wir mit richterlicher Erlaubnis jemanden beauftragen, der die Gasversorgung wieder herstellt.

Das war dann Ende Oktober letzten Jahres?

Jens: Genau. Völlig absurd wurde es dann, als wir den Installateur, der das Gas wieder angestellt hat, im Keller beschützen mussten. Beim ersten Versuch ist nämlich der Hausverwalter, Ido Altun, vorbeigekommen, hat ihm den Schlüssel abgenommen und ihn aus dem Keller verjagt.

Was war das für eine Zeit für Sie? Ohne Warmwasser und parallel dazu noch ein Gerichtsverfahren.

Jens: Man merkt, dass einem ganz schön was fehlt. Dadurch, dass die Gasversorgung im Mai ausfiel, ist es nicht direkt offensichtlich geworden. Aber kalt duschen, wenn im Zimmer 13 Grad sind? Das ist mir am Ende schon krass auf die Moral geschlagen. Dazu haben wir im Haus versucht, die Prozesse in die richtige Richtung zu lenken. Das hat ewig gedauert und in vielen Fällen nicht funktioniert, da ist das Vertrauen in die Justiz ganz schön geschwunden. Es bleibt ein gewisses Gefühl von Ohnmacht.

Willy: Und man muss auch sagen: Die Menschen, die die Entscheidungen treffen als Richterinnen, als Juristinnen, viele von denen sind auch Hausbesitzer oder haben eine Eigentumswohnung und sind nicht mehr damit konfrontiert, zur Miete zu leben.

Ihr Haus hat eine klassische Geschichte hinter sich: Privatisierungswelle und erzwungene Rückgabe in den 90ern, Leerstand, Sanierung, Verkauf und vor allem Gewinnmaximierung. Sehen Sie das Haus im größeren Kontext exemplarisch für diese Art von Prozessen?

Jens: Absolut. Es ist krass, dass das Haus, seitdem es bewohnt ist, diesen Charakter eines Spekulationsobjekts nicht verloren hat. Seit über zehn Jahren. Hier sind die Leute eingezogen unter der Prämisse, ihr könnt hier wohnen und keine Miete zahlen, wenn ihr die Bude bewohnbar macht. Die Leute wurden dafür benutzt, einen Wohnraum zu schaffen, der ohne deren Investitionen überhaupt nicht da gewesen wäre. Die darauffolgenden Eigentümer aus Berlin haben dann dringend notwendige Instandsetzungen verweigert und es war eine Qual mit der Hausverwaltung auf die Beseitigung der Mängel zu drängen. Jetzt mit dem erneuten Hausverkauf ist es wieder ein Investor, dem Geld mehr bedeutet als die Menschen, die hier wohnen. Dass Läden sterben, Kneipen zu machen müssen oder selbstverwaltete Läden es schwer haben, das betrifft ganz Leipzig. Es macht einen Unterschied, ob dieses Haus existiert oder nicht. Für den Mietspiegel und für dieses Viertel.

Etwas provokant gefragt: Gibt es noch schöne Momente bei Ihnen im Haus?

Willy: Absolut. Allein durch diesen ganzen Scheiß, durch den wir hier gehen. Das hat die Hausgemeinschaft wieder voll zusammengebracht.

Jens: Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft! Wo gibt es das noch, dass du zu einem echt guten Preis in einem teilsanierten Haus lebst, was ausschließlich von WGs bewohnt wird?

Neuerdings hat Ihnen Ihr Vermieter Kündigungen ausgesprochen. Wie geht’s weiter?

Jens: Ja, die haben wir erhalten. Wir haben Mietverträge hier und wenn der uns kündigen will, dann kann er das gerne versuchen. Dann machen wir das mit. Aber ich ziehe jetzt nicht aus, wenn ich eine Kündigung Briefkasten habe. Weißt du, was ich meine? Trotzdem hat es nicht den Anschein, dass wir hier gerne gesehen sind, dass wir hier wohnen bleiben sollen. Das äußert sich dann zum Beispiel darin, dass diese Gasgeschichte so ewig dauert. Wir bleiben widerständig und verteidigen unser Recht, hier zu wohnen – und zwar mit allen Mitteln.

Willy: Wir fühlen uns hier ja auch wohl. Also das Narrativ, dass es hier scheiße ist zu leben, ist ja bullshit. Das sehen wir anders (lacht). Sonst würden wir ja nicht darum kämpfen!


* Die Namen wurden aus Privatsphäregründen von der Redaktion geändert. Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt.


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