An dieser Stelle beantworten KREUZER-Redakteure ausgewählte Leserbriefe. Kunstredakteur Robert Schimke reagiert aktuell auf ein Schreiben der Leipziger Kunsthistorikerin Sandra Kühn, die den Leipziger Malereidiskurs »regionalistisch« findet.
No Frills
Leserbrief zum Beitrag „Das Abflauen des Boulevardgesprächs" im Juli-KREUZER
Der Malerei-Diskurs in Leipzig ist regionalistisch! Namen wie Marlene Dumas, Joan Currin, Luc Tuymans, Kara Walker bleiben unausgesprochen und unsichtbar. Es trugen gewiss auch einige Leipziger Maler mit Neo Rauch an der Spitze einen wichtigen Beitrag zur Blüte des Mediums Malerei, doch trägt dieser Phönix ein mehrköpfiges und international geprägtes Gesicht.
Viele Werke gewinnen durch die Rekontextualisierung der Kunstgeschichte und eine Aufarbeitung des Erzähl-Tabus einen sehr aktuellen Bezug; so dass der Ansatz, diese Strömung als backlash zu verstehen, zu kurz greift.
Der Fakt, dass die Entwicklung von Seiten der Sammler eingeläutet wurde, ist Ausdruck eines authentischen Bedürfnisses nach gemalten Bildern und war nicht von erster Stunde an reine Spekulation. Umgekehrt ist die nachlassende Nachfrage eine ganz natürliche Dekadenbewegung.
Das entscheidende Parameter von »In und Out«-Listen lässt sich auf kommerzielle Erfolge reduzieren. Wir zufällig diese Erfolge sein können, offeriert bereits ein Detail: Der erfolgreichste und international bekannteste Leipziger Galerist, Gerd-Harry Lybke, wählt die Künstler, die er vertritt, nach eigenen Worten ausschließlich nach Sympathie aus. Zu seinen Kunden zählen bekannte Sammler, die sehr gute Kunst, weniger gute Kunst und mitunter auch gutgemachte Pornografie bei ihm kaufen; eben die Kunst von Künstlern, die Lybke mag. Hinter »in« und »out« kann sich also zuweilen das Ranking des Freundeskreises eines Top-Verkäufers verbergen.
Sandra Kühn, Kunsthistorikerin
Liebe Frau Kühn,
mir ist nicht ganz klar, an wen genau sich Ihre Feststellung, der Leipziger Malereidiskurs sei regionalistisch, richtet. Oder wollten Sie nur darauf hinweisen, dass Leipzig nicht das Weltzentrum der Malerei ist, sondern ein Knotenpunkt unter anderen?
Was die Unsichtbarkeit prägender internationaler Maler in Leipzig angeht, ist ja festzustellen, dass Einrichtungen wie die GfZK, verschiedene Kunsträume, auch einige der Galerien und die Kooperationen der HGB sich seit langem um internationale Verknüpfungen und Sichtbarmachung internationaler Bezüge verdient machen. Aber letztlich ist Leipzig nicht Berlin und das Bildermuseum nicht die Tate Modern.
Der Regionalismusvorwurf wäre vor allem an die zu richten, die aus dem Erfolg der Neuen Leipziger Schule schnelle Prestigegewinne für die Stadt realisieren oder Bustouristen nach Plagwitz schicken wollen. Allerdings: Dass dem Erfolg der Leipziger Malerei etwas Regionalistisches anhaftet, ist letztlich ein Begleitumstand seiner Entstehung: Ohne die Weltferne der Stadt und ihrer Akademie vor 1990 ist die spezielle Prägung hiesiger Malerei kaum denkbar.
Die Frage nach dem backlash tauchte nicht primär auf, weil Narration und Figuration in die Malerei zurückkehrten, sondern weil vor Ort gleichzeitig das Bild des fleißigen Nine-to-Five-Malers und der handwerklichen Perfektion propagiert wird. Zusammen mit den apolitischen, etwas gelangweilt, aber gut aussehenden Jugendlichen, die in manchen Bildern zu entdecken waren, erscheint die – offen gestellte, nicht denunziatorische – Frage nach der Rückwärtsrolle legitim.
Dass es eine unbeirrte Vielstimmigkeit an künstlerischen Äußerungen in Leipzig gibt, haben wir in unseren Beiträgen »Short Cuts« und »Das Abflauen des Boulevardgesprächs« deutlich gemacht. Zu spüren ist es auf den Hochschulrundgängen und bei den Diplomausstellungen immer dann, wenn man die Epigonen – Sie sprachen von einer »ganz natürlichen Dekadenbewegung« – mit Wegschauen bedenkt. Der Rest ist spannende Bandbreite.
Mit schönen Grüßen aus dem Felsensteinhaus am Brühl,