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Stadtleben

Wem gehört die Stadt?

Die Bürgerinitiative »Jahrtausendfeld retten« engagiert sich für die Freifläche im Leipziger Westen – nun gibt es eine Ausstellung und eine Podiumsdiskussion

  Wem gehört die Stadt? | Die Bürgerinitiative »Jahrtausendfeld retten« engagiert sich für die Freifläche im Leipziger Westen – nun gibt es eine Ausstellung und eine Podiumsdiskussion  Foto: Jahrtausendfelderwirtschaft 1999/2000 (c) Schaubühne Leipzig

Der Luxus der Leere in einer schrumpfenden Stadt führte vor über 25 Jahren dazu, dass ein Pferd samt Pflug auf dem ehemaligen Betriebsgelände des Bodenbearbeitungsgerätewerkes zugange war – um Roggen in den Boden zu bringen und einer großen Brachfläche neue Bedeutung zu geben: Jahrtausendfeld nannte die Schaubühne Lindenfels diese Aktion damals, mit der die Nutzung der nach und nach größer werdenden Fläche im Leipziger Westen begonnen hat. Damals, im schrumpfenden Leipzig, kaufte die Stadt das Gelände nicht von der TLG Immobilien AG auf. Das tat stattdessen die privatwirtschaftliche Stadtbau AG.

Nach einer konfliktreichen Zeit zwischen der Stadt und der Immobilienfirma – es geht um ein Schulgelände und die Aufhebung des Sanierungsgebietes Plagwitz – sind heute nicht nur fast alle Zeugnisse der engen Bebauung des einstigen Betriebes verschwunden, sondern auch angesiedelte Pflanzen durch den Eigentümer regelmäßig gestutzt worden. Trotzdem stellt das Jahrtausendfeld im mittlerweile wieder dicht besiedelten Westen eine »Grünfläche mit sehr hoher Schutzwürdigkeit« dar, wie in der Karte zur Stadtklimaanalyse 2019 ersichtlich ist. Zwei Jahre später beschloss der Stadtrat ein vorgelagertes Dialogverfahren – also, dass unterschiedliche Menschen aus der Stadtgesellschaft gemeinsam in Werkstätten Ansichten und Empfehlungen entwickeln, die dann in einen Ideenwettbewerb gegeben werden.

Danach tat sich nichts um das Jahrtausendfeld – abgesehen von der Nutzung der Freifläche. Daher kam die Meldung zu einem Dialogverfahren Anfang 2024 für vier Veranstaltungen zum Jahrtausendfeld sehr unverhofft. Idealerweise wären dort Menschen aus der Nachbarschaft, Vertreterinnen und Vertreter der Stadt sowie der Eigentümerin mit Umweltverbänden und Parteien ins Gespräch gekommen, um zu beraten, was mit der ca. 23.000 Quadratmeter großen Fläche geschehen könnte. Allerdings entwickelte sich aus dem betitelten Dialog schnell ein praktizierter Monolog – mit dem Ziel, einen Campus der Leipzig International School (LIS) auf dem Feld zu errichten.

Eine Bürgerinitiative gründete sich, um die Rechte der Nachbarschaft einzubringen – ihre Petition gegen die Bebauung der Fläche unterschrieben 7.700 Menschen. Zu der Veranstaltung »Wir räumen nicht das Feld« im Herbst kamen 500 Menschen, um sich gegen die Bebauung und für einen großen öffentlichen Stadtteilpark auf dem Jahrtausendfeld einzusetzen. Anfang 2025 beschließt der Stadtrat den beschleunigten Bebauungsplan für die Fläche. Mit diesem gewährt sich die Kommune Einfluss darüber, was auf dem Gelände gebaut wird, damit es sich beispielsweise in die bereits vorhandene Umgebung einfügt. Wie der Campus der LIS aussehen soll, ist nach wie vor unklar. Von den auf der vierten Dialogveranstaltung präsentierten Architekturmodellen wurde bisher keins offiziell ausgewählt. 

Bis zum 18. März konnte sich die Stadtgesellschaft nun zum Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren und daher ohne Umweltprüfung über ein Online-Formular einbringen. Auf die Einwände muss die Stadt nicht reagieren. Die bisher von der Stadtbau AG und Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne) unterschriebene Vereinbarung, für einen Bruchteil des Geländes eine öffentliche Nutzung zu gewährleisten, bezeichneten die Bürgerinitiative und der Ökolöwe als »Alibi-Grünstreifen« zwischen bereits versiegelter kommunaler und geschützter Böschungsfläche.

Trotz oder wegen der Entwicklungen im letzten Jahr steckt die Bürgerinitiative nicht auf: »Mit der Auftaktveranstaltung zum sogenannten Dialogverfahren im letzten Jahr wurde unser Viertel vor vollendete Tatsachen gestellt. Uns fehlte in diesem Prozess eine echte Möglichkeit der Teilhabe durch die Anwohner:innen und Transparenz. Also mussten wir selbst durch Flyer, mit Gesprächen und unserer Petition diesen Vorgang ins öffentliche Bewusstsein rücken. Das Jahrtausendfeld ist nicht nur identitätsstiftend für unser Viertel, sondern auch eine der letzten klimatisch wirksamen Grünflächen im Leipziger Westen, die laut Stadtklimaanalyse nicht bebaut werden sollte.«

Am 10. April lädt der kreuzer zu einer Veranstaltung über Bürgerbeteiligung in Leipzig ein und stellt dabei das Jahrtausendfeld in den Mittelpunkt. Dabei geht es um die Fragen: Wie kann sich die Stadtgesellschaft bei der Gestaltung der Stadt einbringen? Was gab und gibt es für Utopien und Pläne fürs Jahrtausendfeld? Was lehren andere Brachen und Initiativen in der Stadt? In der Schaubühne Lindenfels eröffnet um 16 Uhr eine Ausstellung zu verschiedenen Aspekten der Fläche über die Jahrhunderte hinweg – von der Unternehmensgeschichte über Zwangsarbeit bis zu Kulturprojekten und utopischen Modellen. Um 19 Uhr diskutieren im Grünen Salon Ariane Jedlitschka (Mitglied des Vereins Superblock im Leipziger ­Osten), Niclas-Robin Rosendahl (Sprecher für Stadtgrün, Naturschutz und Nachhaltige Stadtentwicklung beim Ökolöwen) und Matilda Oeken (Mitherausgeberin der Broschüre »Stadt für Alle! Strategien der Aneignung stadtpolitischer Prozesse in Leipzig«, 2025). 

 

> »Hallo Jahrtausendfeld, kannst du mich hören?«: 10.4., 16 Uhr Ausstellungseröffnung, 19 Uhr Podiumsdiskussion, Schaubühne Lindenfels – Kooperation der Bürgerinitiative »Jahrtausendfeld retten!«, des Ökolöwe-Umweltbund Leipzig, der Schaubühne Lindenfels und des kreuzer

> Infos zur Veranstaltung gibt es hier

 


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